Seit sieben Jahren ist Patrick Fischer als Nati-Coach Vordenker, Lenker und unermüdlicher Antreiber der Eishockey-Nationalmannschaft. Unter seiner Führung hat sich so einiges verändert im Team: Hochgesteckte Ziele, mehr Swissness, klares Commitment der Spieler, Generationenwechsel – einfühlsam moderiert von einer facettenreichen, in sich ruhenden Persönlichkeit.
Nein, eine Homestory soll es nicht werden; und ich entdecke bei der Recherche vieles, was über Patrick Fischer schon bekannt und geschrieben worden ist. Kein Wunder, steht er doch schon viele Jahre in der Öffentlichkeit, ist auch ausserhalb des Eishockeys als Coach und Referent tätig und hat 2021 seine Biografie1 veröffentlicht.
Zwei Begriffe setzen sich fest, die sich wie ein roter Faden durch die Vorbereitung ziehen: Spannung und Entspannung. Zwei Pole, die sich gegenseitig bedingen, sich anziehen und gleichzeitig abstossen; sei es im Sport, im Team, in einem Turnier – im Leben.
Ja, das mag auf den ersten Blick erstaunen. In meiner Wahrnehmung sind wir alle spirituelle Wesen, hat alles eine Energie; dieses Geistige, Spirituelle ist halt nicht fassbar. Ich selbst habe es erst entdeckt, als ich in der «harten Materie», im Eishockey, erstmals Schiffbruch erlitten habe: durch eine schwere Knorpelverletzung im Knie, die nicht therapierbar war. Die Mediziner sagten mir, das sei mein Ende als Spieler – was ich natürlich erst mal nicht wahrhaben wollte. Ich bin dann auf die Suche gegangen nach mehr, anderem; und habe über den schamanischen Weg Heil gefunden: Da gab es eine andere Ebene, nicht nur den Körper. Mein Körperbewusstsein hat sich in ein universelles Bewusstsein erweitert.1
Seither habe ich in allem diese universelle Wahrnehmung: sei es die Familie, das Eishockey, das Zuhause, es sind letztlich Energien und Beziehungen.
Früher als Spieler, war der Spieler Patrick viel zu stark: Ich war als Mensch viel zu abhängig von meiner Rolle als Hockey-Spieler. Da war kein Gleichgewicht. Heute versuche ich, diese verschiedenen Beziehungen mit all ihren Aspekten viel bewusster wahrzunehmen.
Auch da habe ich mir anfangs die Frage gestellt, wie sich die neue Rolle auswirkt: Was ist meine Motivation? Nimmt der Job mein Leben komplett ein, sodass ich mich nicht mehr auf andere Sachen konzentrieren kann? Nein! Ich habe mir bewusst vorgenommen, die Rolle als Nati-Coach zu einhundert Prozent anzunehmen, sie ist eine grosse Ehre für mich; und ich gehe voll in die Spannung rein, aber nachher auch wieder ganz gezielt in die Entspannung.
Aber auch hier bin ich nicht mehr abhängig von Resultaten, im Sinne von: Ich gebe mein Bestes, wünsche mir nichts sehnlicher als Erfolg für unser Land und den Sport – aber wenn es nicht sein soll, dann ist das so. Und ich akzeptiere das. Du merkst, ich denke «rund»; immer im Sinne der Grundmotivation.
Glück!
Sobald ich «Bauchschmerzen» kriege, muss ich der Sache auf den Grund gehen. Wenn alles stimmig ist, habe ich auch meine innere Ruhe: Das ist für mich Glück.
… ja, absolut. Ich sage immer: Mut ist der Gamechanger. Wenn wir die Emotionsskala anschauen, ist da ganz unten die Scham über sich selbst, es gibt nichts Schlimmeres; dann die Schuld, Ängste, Zweifel, das Misstrauen … alles nur allzu Menschliches, das uns runterzieht. Dann kommt der Mut – und das ist die Wende.
Ich erklär’s jeweils mit dem kleinen Mädchen, das auf seiner Geige vorspielen soll. Natürlich hat es Angst und zweifelt, nimmt aber schliesslich all seinen Mut zusammen, tritt auf die Bühne, beginnt zu spielen … und dann wächst langsam das Vertrauen, es findet sich zurecht in diesen neuen Energien, die da frei werden.
Unbedingt. Vielen Menschen fehlt der Mut, auszubrechen oder mal ehrlich zu sagen: «Das will ich gar nicht!» Wir alle sind geprägt von Erziehung, Konventionen, Erwartungen – in meinen Augen eine alte Leier und auch eine (willkommene) Ausrede. Als Kind oder Jugendlicher okay, aber als Erwachsener musst du nichts mehr, du kannst selbst entscheiden – wenn du den Mut hast. Es geht auch nicht darum, auf einen Schlag alles hinzuschmeissen; aber man kann sich Schritt für Schritt annähern an seine Berufung, seine Passion. Langsam, aber sicher auf seinen Herzensweg gehen.
Lugano war meine erste Stelle als Headcoach, und ich habe es sehr genossen: Voll engagiert, aber innerlich mit genügend Distanz, was mir sehr viel Handlungsfreiheit gegeben und gleichzeitig enormen Druck genommen hat. Ich habe mir anscheinend da schon einen Namen gemacht, weil ich sehr viel verändert, den Teamumbruch begleitet und viele junge Spieler integriert habe. Das war wohl der Auslöser für die Anfrage als Nati-Coach: Auch da stand ein Wechsel an, man wollte mehr Swissness.
Ich brauche immer wieder die Challenge, mich ausserhalb der Komfortzone zu bewegen; das ist mein Antrieb. Gleichstand, Stillstand, das ist nicht meins. Ich war schon als Spieler so: Wenn wir etwas Grosses gewonnen hatten, musste ich weg – etwas Neues anfangen.
Patrick Fischer, geb. 1975, Cheftrainer der Schweizer Eishockey-Nati seit Dezember 2015.
Stationen als Spieler (1992–2009):
Patrick Fischer lebt mit Partnerin Mädy Georgusis und Tochter Oceania in der Nähe von Luzern, Sohn Kimi (20) bei seiner Ex-Frau im Tessin.
Gut beobachtet. Ja, das ist eine Herausforderung – vor allem anfangs. Für uns als neuer Staff mit neuen Ideen war der Einstieg holprig; und es braucht mindestens ein bis zwei Jahre, bis sich eine Philosophie, ein Wertesystem, eine Spielweise in den Köpfen festgesetzt hat. Inzwischen sind wir im siebten Jahr, die Spieler kennen uns und wir sie. Die «Nati-DNA» ist implementiert: Jetzt ist es eher ein Erinnern, die Adaption passiert jeweils sehr schnell.
Wir versuchen jeweils, die Transformation vom Club zur Nati sehr sachte zu machen: von Tag zu Tag, von Thema zu Thema. Beim letzten Turnier beispielsweise (Karjala-Cup in Finnland, die Red.) haben wir die Offensive komplett «weggelassen» und uns nur auf die Defensive konzentriert. Es ist immer ein Abwägen: Wenn zu viel Neues kommt, ein Spieler zu viel im Kopf hat und nachdenken muss, wird er langsam. In einer WM-Vorbereitung über vier Wochen können wir Schritt für Schritt vorgehen; mehr Zeit macht es für die Spieler und für uns einfacher.
Ja, das hilft mir enorm; und es gibt die Profile übrigens auch von uns, vom Staff. Darin finden sich verschiedenste Aspekte, etwa die Grundmotivation, Verhaltensweisen und -muster, Kommunikation, worauf jemand anspricht; aber auch körperliche Details wie die Haltung – eher nach vorn oder nach hinten gerichtet –, was für Massage und Übungen wichtig ist.
Die verschiedenen Typen und Charaktere brauchen eine unterschiedliche Ansprache: die eine Gruppe benötigt sehr viel Vertrauen des Coaches, den täglichen Austausch; andere wiederum gar nicht. Für mich ist es tatsächlich ein Schlüssel, um rasch ins Gespräch zu kommen, um zu verstehen, wer klare Ansagen braucht und wer nur «das grosse Ganze». So weiss ich auch, wen ich wie motivieren muss: die einen eher rational über Leistungswerte und -zahlen, andere wiederum übers Verständnis für die Rolle, die wir ihnen anvertrauen.
Auch im Umgang untereinander ist es hilfreich, für uns alle. Wenn man sich in jemand anderen hineinversetzen und nachvollziehen kann, warum er so tickt, wie er tickt; oder warum eine Botschaft nicht ankommt. In der Kommunikation den richtigen Ton zu treffen, jemanden abzuholen, ist so wichtig. Genauso wie die Klärung von Rollen und Erwartungen; man kann einem Spieler auch zu viel aufladen.
Wir versuchen, diesen Wechsel im Mindset mit den immer gleichen Abläufen zu unterstützen, mit ähnlichen Trainings auch; und die Spieler machen das wirklich gut, sind schnell in unserer Welt drin. Das ist dieses Erinnern. Ausserdem bemühen wir uns um einen roten Faden von der A-Nati bis in die Junioren-Auswahlen, damit alle die gleiche Sprache sprechen; sonst wird es schwierig.
Wir haben uns dazu sehr viele Gedanken gemacht, weil unsere Spielweise auch über die Intensität läuft, wir viel Energie verbrauchen. Ein Puzzlesteinchen ist die «SAC-Hütte», die wir während einer WM jeweils einrichten: Ein kleines Stück Schweiz, mit Bildern, Suppe, Käse, Salsiz … Ein Rückzugsort, wo sich die Spieler wohlfühlen; jassen, massieren, auch mal ein Bierchen trinken können. Zusammen «loslassen », anstatt dass jeder allein auf dem Zimmer sitzt und nur am Hockey herumstudiert. Auch Freiraum lassen ist wichtig und den Kopf auslüften können. In Finnland waren wir gemeinsam auf einer Saunainsel, das hat gutgetan, auch für die mentale Frische. Und: Während einer WM trainieren wir sehr wenig und fokussieren unsere Energie auf die Spiele.
Ja, dessen werden wir uns immer mehr bewusst. Nachdem wir nun dreimal in Folge im Viertelfinale ausgeschieden sind, fragen wir uns natürlich: Wie schaffen wir es, auch am finalen Weekend noch genügend Energie zu haben? Es wird unsere nächste Challenge sein, diesen Fokus zu verändern. Wir haben in den letzten drei K.-o.-Spielen zwar vieles richtig gemacht, aber sind noch nicht belohnt worden. Daran wachsen wir und sind jedes Jahr reifer.
Draussen in der Natur – oder in der Sauna. Ich bin ein Feuertyp und liebe die Hitze, geniesse die Gegensätze, heiss und eiskalt: für mich eine wunderbare Medizin, um zur Ruhe zu kommen. Das Privileg einer eigenen Sauna nutze ich zwei- bis dreimal wöchentlich. Daraus hat sich gar eine Zusammenarbeit entwickelt mit dem Lieferanten Küng Sauna.
Ich bin enorm dankbar dafür, wie es zurzeit läuft mit der Familie, meiner Partnerin, den Kindern; alles bestens, alle sind gesund. Im Sport war ich immer der festen Überzeugung, dass alles möglich sei: Greif nach den Sternen! So habe ich alle meine persönlichen Ziele erreicht. Bei der Nati gibt es dieses eine deklarierte Ziel, diesen «Leuchtturm»: die WM-Goldmedaille. Das ist es, was mich bewegt, die Motivation, darauf arbeiten wir kontinuierlich hin.
Was passieren wird, wenn wir den Leuchtturm erreicht haben? Das kann ich dir jetzt noch nicht sagen.
1 Biografie, mit Doris Büchel: GAME TIME. Zwei Welten. Ein Weg. Wörterseh Verlag, Lachen SZ 2021.