Michel Fornasier kam ohne rechte Hand zur Welt. Mobbing, Diskriminierung und Ausgrenzung erlebte er am eigenen Leib, bis ihm eine bionische Hand neue Lebenskraft verlieh. Dies machte den bis dato scheuen Zeitgenossen zu einem selbstbewussten jungen Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht.
Zusammen mit meinem jüngeren Bruder, der anders als ich mit beiden Händen zur Welt kam, wuchs ich sehr behütet auf. Unsere Eltern legten grossen Wert darauf, uns gleichermassen – also mit gleich viel Liebe, aber auch mit derselben Strenge – zu erziehen, was sich für meinen weiteren Lebensweg als eine grosse Hilfe erweisen sollte.
Dass ich anders bin als meine Spielkameraden, fiel mir erst im Kindergarten auf. Sie waren mir bei vielem einen Schritt voraus. Während ihnen beispielsweise das Spielen mit Bauklötzen leicht von der Hand ging, tat ich mich schwer damit. Im Kleinkindalter hatte ich mir nichts dabei gedacht. Ich hatte einfach alles mit links erledigt.
Zu spüren bekam ich mein «Anderssein» besonders während meiner Pubertät. Oftmals wurde getuschelt, was mich tief verletzte. Es wäre vielleicht anders gewesen, wenn mich meine gleichaltrigen Kameraden, deren Eltern und andere, die mich sahen, direkt auf meine Beeinträchtigung angesprochen hätten.
Als grosser Fan der amerikanischen Basketball Profiliga wollte ich im Alter von 13 Jahren Teil der Basketballmannschaft meiner Heimatregion werden. Dazu fand ein lokales Aufnahmetraining statt. Euphorisch und voller Tatendrang fuhr ich an dieses Aufnahmecamp. Als der Aufnahmeleiter sah, dass mir die rechte Hand fehlt, zeigte er mir mit den Worten «Wir sind hier nicht bei den Paralympics» die rote Karte. Diese Aussage, ohne mich spielen gesehen zu haben, hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen. Wäre ich aufgrund schlechter Leistungen aussortiert worden, hätte ich es akzeptiert. So habe ich nicht einmal die Möglichkeit erhalten, mein Können unter Beweis zu stellen.
Klar gab es Tränen der Enttäuschung. Immer wieder musste ich mir die Frage nach dem «Warum ich?» stellen. Ob zum Geburtstag, zu Weihnachten oder zu Ostern: Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht als eine zweite menschliche Hand. Mit der Zeit habe ich mein Schicksal akzeptiert und Frieden mit mir selbst geschlossen. Heute ist meine vermeintliche Schwäche meine grösste Stärke. Zudem bin ich gesund, das ist ein Privileg – besonders in dieser Zeit.
Eine fehlende Hand ist kein schlimmes, jedoch ein sichtbares Handicap. Offen zu meiner Beeinträchtigung zu stehen, wäre eine Option gewesen. Da ich, wie bereits erwähnt, als Jugendlicher gemobbt wurde und von Natur aus eher schüchtern war, hatte ich mich dazu entschieden, meine fehlende Hand vor den Blicken der anderen zu verstecken und mich damit selbst zu schützen. Beim ersten Date mit meiner ersten grossen Liebe präsentierte ich ihr einen Gipsverband und behauptete, beim Skateboarden gestürzt zu sein. Natürlich konnte ich dies nicht ewig in die Länge ziehen. Irgendwann musste ich die Katze aus dem Sack lassen und legte die Karten auf den Tisch. Die Reaktion meiner damaligen Freundin tat mir als Teenager besonders gut. Sie sagte nur: «Michel, ich mag dich so wie du bist.» Heute ist sie Mutter von drei Mädchen und wir haben immer noch einen engen Draht zueinander.
Auf die bionische Hand aufmerksam wurde ich durch eine medizinische Fernsehsendung. Nach ein paar Wochen konnte ich den Träger der Hand ausfindig machen und wir verstanden uns auf Anhieb. Der Mann, der damals an der Universität Zürich dozierte, half mir, an eine solche Prothese zu kommen. Es war ein langer, aber erfolgreicher Weg. Nach etwa neun Monaten war ich im Besitz der bionischen Hand. Sie hat mein Leben in vielerlei Hinsicht erleichtert, kein Vergleich zu meiner ersten Prothese, die ich aus kosmetischen Gründen im Alter von sieben Jahren bekam und eher widerwillig und selten trug.
Meine bionische Handprothese ist rein muskelbetrieben, mit der ich beispielsweise meinem Hobby, dem Radfahren frönen kann. Im Schaft der Prothese befinden sich zwei Elektroden. Wenn ich mein Handgelenk nach oben bewege, tuschiert der Obermuskel die obere Elektrode und sorgt so dafür, dass sich die Hand öffnet. Bewege ich das Handgelenk nach unten, tuschiert der Untermuskel die untere Elektrode. So schliesst sich meine Hand wieder. Mir stehen derzeit 25 Griffmuster zur Verfügung, von denen ich drei standardmässig definieren und bei Bedarf ändern kann. Die Griffmuster werden regelmässig erweitert, sodass ich sie mir auf mein Smartphone laden kann.
In der Schweiz tragen mittlerweile zwölf Menschen eine solche bionische Handprothese. Sie deckt 15 Prozent der Mobilität einer menschlichen Hand ab und wiegt knapp drei Kilogramm. Es dauerte etwas mehr als ein halbes Jahr und bedurfte tägliche Trainings, um mich an meine bionische Hand zu gewöhnen. Heute bin ich dankbar für meine Hand und möchte sie nicht missen.
Da ist noch Luft nach oben, insbesondere was das Thema Geschwindigkeit und Gewicht angeht.
Die Hand verfügt über einen Index-Finger mit speziellem Überzug. Damit kann ich den Touchscreen des Tablets bedienen. Die Kinder, die den Finger sahen, verglichen ihn mit dem Finger von Spider-Man und löcherten mich mit Fragen wie:
Immer mehr Kinder äusserten den Wunsch nach einer bionischen Hand mit dem «Spider-Man-Finger». So habe ich mich entschlossen, meine Geschichte als Autor in den Mund des Bionicman zu legen. David Boller, den ich durch die Arbeit bei Amnesty International kennengelernt hatte und der für DC Comics und Marvel zeichnete, konnte ich für die Illustrationen gewinnen.
In einem der Comic Abenteuer entwickelt ein Fiesling eine sternenschluckende Maschine. Für jedes Kind, das gemobbt wird, verschwindet ein Stern vom Himmel. Da Bionicman weiss, was bei Mobbing zu tun ist, besucht er Schule um Schule und berichtet den Kindern von der Geschichte. Damit wieder mehr Sterne am Himmel funkeln, hat sich Bionicman zum Ziel gesetzt, Kindern Mut zu machen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und auf friedliche Weise zu enthindern. Für mich ist es eine Art Vergangenheitsbewältigung. Eine Rückmeldung eines Jungen, dem so wie mir eine Hand fehlt, zeigt, dass die Botschaft bei Kindern Gehör findet. Zwei seiner Schulkameraden mobbten ihn aufgrund seiner Beeinträchtigung, worauf der Junge vor sie trat und stolz kundtat: «Ja, ich habe nur eine Hand, aber Bionicman hat auch nur eine und ist ein Superheld. Also bin auch ich ein Superheld!» Und genau diese Haltung möchte ich bei Kindern erreichen.
… Teenagern und Kindern, die eine sichtbare Beeinträchtigung haben und offen dazu stehen.
Den Ausschlag gab mein erster Besuch als 7-jähriger Junge beim Orthopädietechniker. Im Wartezimmer sah ich unzählige hautfarbene, menschenähnliche Hände und Beine aus Kunststoff. Der damalige Anblick traumatisierte mich so sehr, dass sich der Wunsch in mir manifestierte, eines Tages Prothesen für Kinder zu entwickeln und zu designen, die nicht furchteinflössend auf sie wirken. So gründete ich die Stiftung «Give CHILDREN a Hand».
Der Name der Stiftung lautet «Give CHILDREN a Hand». Uns ist es wichtig, dass es sich bei den Betroffenen um Kinder und um Handprothesen handelt. Zudem können die Kinder ihre Hand durch Schablonen mitgestalten. Als Superhelden können sie zwischen «Bionicman«, dem weiblichen Pendant «Bionica» und «Bioc», einem Hund mit einer fehlenden Pfote, wählen. Alle Charaktere, die in Comicbüchern erscheinen, existieren auch im echten Leben.
Der Preis einer Prothese beziehungsweise «Zauberhand» liegt zwischen 500 bis 1000 Franken.
Nein, damit die Kosten von der Invalidenversicherung übernommen werden können, muss die Prothese auf einer entsprechenden Liste aufgeführt sein. Das ist ein langer und kostspieliger Prozess. Unser Fokus liegt dabei in der Entwicklung und Finanzierung von Handprothesen für Kinder, welchen wir Hand in Hand mit Start-ups und Jungunternehmen umsetzen.
Die Prothesen werden mithilfe von Body-Scan-Geräten und 3-D-Druckern hergestellt und angepasst. Bis zur Fertigstellung einer Prothese dauert es in etwa acht Stunden. Die fertigen Einzelteile können, wie die einzelnen Griffmuster auch, nach dem Bausteinsystem zusammengesteckt werden. Der Schaft besteht aus weichem Material und ist bei 30 Grad waschbar. Die Kinderprothesen wiegen etwa 150 Gramm.
Bald werden wir eine «Super Confidence Hand», eine Hand des Selbstvertrauens, vollgepackt mit Superkräften, welche auch Kinder ohne Beeinträchtigung in Form eines multifunktionalen Handschuhs tragen können, lancieren. Unsere Vision ist es, dass sich beeinträchtigte und nicht beeinträchtigte Kinder die Hand geben, um frei von Vorurteilen gemeinsam durchs Leben zu gehen.
Durch den Erwerb der Comicbücher. Deren Erlös kommt vollumfänglich der Stiftung «Give CHILDREN a Hand» zugute. Bionicman kann man auch als lebensgrosse Figur erwerben und so eine Handprothese für Kinder mitfinanzieren. Gleichzeitig hilft man mit der Superhelden-Figur, das Selbstvertrauen im Allgemeinen zu stärken.
Wir konnten mit Alberto Foche einen weiteren erstklassigen Zeichner gewinnen. Alberto stammt aus Barcelona, einer der Hochburgen in Sachen Comic-Illustrationen, lebt in Amerika und arbeitet ebenso wie seinerzeit David Boller für DC Comics und Marvel.
Werdet nie (ganz) erwachsen.