CBD: Mythos oder grosses Potenzial?
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Der Trend um legalen Hanf ist auch in der Schweiz angekommen. Der Handel mit solchen Produkten boomt – alleine in der Schweiz gibt es über 500 Anbieter dafür.

Leuchtend grüne, auffällig gezackte Blätter und ein prägnanter, harziger Duft – diese Merkmale beschreiben eine Cannabis-Pflanze wohl am besten. Ursprünglich aus Zentralasien stammend, gehört Cannabis sativa L., so ihr wissenschaftlicher Name, zu den ältesten bekannten Heil- und Nutzpflanzen, ihre Verwendung ist bis in vorchristliche Zeiten belegt. Im antiken China wurde Hanf bei Entzündungsschmerzen genutzt, während die alten Griechen Kleider aus Hanffasern fertigten und die Germanen Hanfsamen als Grabgeschenk mitgaben.

Inhalts- und Wirkstoffe

Die Hanfpflanze besitzt über 80 natürliche Inhalts- beziehungsweise Wirkstoffe, so genannte Cannabinoide. Die höchste Konzentration der Cannabinoide findet sich in den Blüten, doch auch in Blättern und Stielen kommen sie vor.

Durch seine berauschende Wirkung ist Tetrahydrocannabinol (THC) wohl das bekannteste Cannabinoid, doch ein weiterer Wirkstoff der Pflanze fand in den letzten Jahren eine immer breitere Anwendung: Cannabidiol (CBD). Er kommt in der Hanfpflanze ebenfalls in grossen Mengen vor. Anders als Tetrahydrocannabinol aber ist Cannabidiol nicht psychoaktiv, das heisst, es löst keine Rauschzustände aus.

Bei Kopfschmerzen und trockener Haut, unterstützt durch den Trend in den USA, findet Cannabidiol auch in der Schweiz als Lifestyle- und Wohlfühlallzweckmittel breite Akzeptanz.

Cannabidiol wird eine beruhigende und entspannende Wirkung nachgesagt, es soll auch Entzündungen heilen und Krämpfe lösen. In den unterschiedlichsten Formen – als Kapsel, Öl, Tinktur, Kaugummi, Inhalt für E-Zigaretten oder Tabakersatz-Produkt – soll es bei Alltagsbeschwerden wie Kopfschmerzen, Schlafproblemen und Angstzuständen helfen. Auch die Kosmetikindustrie hat die Hanfpflanze für sich entdeckt. Für Haut und Haare gibt es eine breite Produktpalette mit dem Inhaltsstoff Cannabidiol. Weil das aus den Samen gepresste Hanföl reich an ungesättigten Fettsäuren ist, werden Cannabis-Pflegeprodukten hautberuhigende Wirkungen zugesagt, die den Alterungsprozess der Haut verhindern sollen.

Das lukrative Geschäft mit legalem Hanf

In der Schweiz ist die Herstellung von Cannabidiol-Hanf seit 2016 legal. Produkte mit einem Tetrahydrocannabinol-Gehalt über einem Prozent sind aber weiterhin verboten und unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz. Legal verkauft und erworben dürfen hierzulande nur Produkte mit einem Tetrahydrocannabinol-Gehalt tiefer als ein Prozent – dazu gehören klassischerweise Produkte aus Cannabidiol-Hanf.

In dieses lukrative Geschäft sind in den letzten vier Jahren über 500 Produzenten eingestiegen. Doch längst nicht alle erfüllen die Standards des Bundesamts für Lebensmittel und Veterinärwesen (BLV), wie Rudolf Brenneisen kritisiert. Der führende Hanf-Experte der Schweiz und Vorstandsmitglied der Schweizer Arbeitsgruppe für Cannabinoide in der Medizin SACM sagt:

«Leider funktioniert die Qualitätsgarantie in der Praxis nicht immer. So werden bei nicht-medizinischen Cannabis-Produkten immer wieder toxische Produktionsrückstände wie etwa Pestizide gefunden.»
Rudolf Brenneisen

Zudem werde das Verbot der Heilversprechung am Ladentisch nicht immer eingehalten.

Medizinischer Cannabis unterliegt vielen Auflagen

Parallel zum Interesse an Cannabis als Lifestyle-Produkt ist auch in der Schweiz das Interesse an cannabishaltigen Arzneimitteln in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Sogar das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hält diesen Trend auf seiner Website fest.

Für Rudolf Brenneisen haben verschiedene Faktoren diese Entstigmatisierung beeinflusst: «Neben einem Trend zu Naturheil­mitteln und positiven Berichten auf Social Media über Selbstmedikation mit Cannabis spielt es sicher eine Rolle, dass es bei korrekter und kontrollierter medizinischer Anwendung eine geringe therapeutische Toxizität gibt», sagt er.

Doch für cannabisbasierte Medikamente ist der Weg kein einfacher. Sie müssen heilmittelrechtlichen Sicherheits- und Qualitätskriterien genügen und unterliegen zudem je nach Tetrahydrocannabinol-Gehalt dem Betäubungsmittelgesetz. Auch verwendungsfertige cannabidiol­haltige Medikamente – also Produkte ohne Rauschwirkung, aber mit medizinischer Zweckbestimmung – gelten als Arzneimittel und dürfen nur von medizinischen Fachpersonen abgegeben werden.

CBD: Mythos oder grosses Potenzial?

Verfahren in der Schweiz erleichtert

Ein grosser Schritt für den einfacheren Einsatz von medizinischem Cannabis wurde in der Schweiz mit der Gesetzesänderung vom 24. Juni 2020 erreicht: Tritt sie in Kraft, können sich Patienten direkt Behandlungen auf Cannabis-Basis verschreiben lassen, ohne dass ihr Arzt beim Bundesamt für Gesundheit eine Spezialbewilligung einholen muss. Das ermöglicht einerseits einen schnelleren Behandlungs­prozess, anderseits müssen sich interessierte Patienten Cannabis nicht mehr illegal beschaffen. «Die administrativen Vorteile durch diese vereinfachte Rezeptierbarkeit liegen auf der Hand», sagt Rudolf Brenneisen.

Trotzdem wird die Schweiz wohl kaum von Cannabis-Medikamenten überrollt werden – dazu fehlt der Pflanze schlichtweg die Lobby. Zudem bleibt die Schwierigkeit der Standardisierung. Der Cannabinoid-Gehalt von Cannabisblüten variiert in einem Bereich von bis zu 20 Prozent. Das widerspricht den Vorgaben des Schweizerischen amtlichen Arzneibuches, das bei Präparaten aus nur einer Substanz eine Varianz von höchstens zehn Prozent erlaubt. «Eine Wirkstoff-Standardisierung ist nur durch Verarbeitung realisierbar, also etwa in Form einer Extrakt-Herstellung», erklärt Rudolf Brenneisen. «Folglich sollten Cannabisblüten in der Apotheke bevorzugt als Rohstoffe für die Herstellung von Magistralrezepturen und nicht als Medikamente per se gehandhabt werden.»

Mangelnde Studienlage

«Aktuell wird in der medizinischen Anwendung vor allem die schmerzlindernde und entkrampfende Wirkung von Cannabis genutzt. So etwa um die chronischen Schmerzen einer Krebserkrankung zu lindern oder Übelkeit und Appetitverlust nach einer Chemotherapie zu überwinden.»
Manuela Donati

Auch als Mittel gegen Spastiken und Krämpfe, wie sie durch Multiple Sklerose und Epilepsie ausgelöst werden, kommt medizinisches Cannabis zum Einsatz. In der Schweiz ist allerdings erst ein Medikament auf Cannabis-Basis zugelassen: ein Mundspray, der bei Multipler Sklerose Beschwerden lindert und antispastische Eigenschaften hat.

Obwohl in den letzten Jahren immer häufiger Cannabis zu medizinischen Zwecken genutzt wird, ist es schwierig, das medizinische Potenzial der Pflanze richtig einzuordnen. Bisher haben sich nur wenige klinische Studien mit Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Cannabis befasst. Bei psychischen Störungen, Migräne oder Krebs gibt es gemäss Rudolf Brenneisen vielversprechende präklinische Daten und Fallstudien. Für Spastiken, chronische Schmerzen und gewisse neurologische Krankheiten, wie zum Beispiel dem Tourettesyndrom, ist die klinische Evidenz für eine Indikation einigermassen gegeben, noch nicht aber für Krebs.

Hanf als Ergänzungstherapie

Doch der Hanf-Experte sieht die Chance für Cannabis-Medikamente vor allem im Nischenbereich:

«Bei therapieresistenten Krankheiten oder Krankheiten, die nur mit stark nebenwirkenden Medikamenten therapiert werden können, bestehen meiner Meinung nach realistische Chancen.»
Rudolf Brenneisen
Führender Hanf-Experte der Schweiz und Vorstandsmitglied der Schweizer Arbeitsgruppe für Cannabinoide in der Medizin SACM

Dazu gehören unter anderem juvenile Epilepsie, ADHS, Posttraumatische Belastungsstörung, Schizophrenie oder Parkinson.

Rudolf Brenneisen findet zudem die Option «Add-On» prüfenswert, also zur schulmedizinischen Verschreibung zusätzlich bestimmte Cannabis-Sorten zu verschreiben. Erfahrungen aus Israel würden belegen, dass dadurch beispielsweise bei der Therapie von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa stark belastende Medikamente wie etwa Steroide weggelassen oder zumindest reduziert werden konnten.