30. Juni 2022

«Das ist jetzt modern»

«Das ist jetzt  modern»
Lesezeit ca. 8 min

Die Mode wechselt bekanntlich ständig. Doch: Wir können selbst entscheiden, ob wir dabei mitmachen oder nicht. Was mich betrifft: Ich mache nicht immer mit.

Modische Trends

Schon lange hätte ich es tun müssen. Doch es gibt im Leben so einige Dinge, die man gerne vor sich herschiebt; sie sind eben etwas unangenehm, brauchen Zeit und kosten manchmal auch viel Geld. Zu diesen Dingen gehört – jedenfalls für mich – die Neuanschaffung eines Natels.

So mache ich mich auf den Weg in einen entsprechenden Shop, lasse mir mein Gerät vom Fachmann anschauen und was ich eigentlich schon wusste, bestätigt sich nun: Es liegt wohl am Akku. Offenbar ist die Lebensdauer von Akkus beschränkt.

«Wir haben hier eine ganze Kollektion mit neuen Geräten», sagt er; und ehe er den Satz ausgesprochen hat, drückt er mir bereits ein erstes Modell in die Hand. «Eigentlich gefällt mir mein Modell immer noch sehr gut», antworte ich ihm, ausserdem hätte ich mich so daran gewöhnt, dass ich es nur ungern auswechseln würde. «Tja …», meint er dann, «Ihr Modell entspricht aber längst nicht mehr dem modischen Trend, heute benutzt man ganz andere Geräte. Bessere Geräte!» Einen kurzen Moment zögere ich … merke dann aber schnell, dass ich nicht gewillt bin, darauf einzusteigen. «Viele unserer Kunden haben sich in letzter Zeit neue Geräte angeschafft», fügt er hinzu – und noch einmal bekräftigt er, dass man heute solche Geräte nicht mehr benutze. Mit Betonung auf «man». «Solche Geräte benutzt man heute», sagt er noch einmal ziemlich vehement und drückt mir das neueste Modell in die Hand.

Wer ist «man»?

Mindestens fünfmal hat er mir jetzt erklärt, dass «man» heute andere Geräte benutze. Das verleitet mich zu einer – ich muss gestehen – doch etwas bösen Frage. Ich frage ihn, wer denn eigentlich «man» sei? «Hm …» stottert er, das seien eben die Leute, die in seinem Shop neue Geräte kaufen würden. «Welche Leute denn?», frage ich nach. «Meine Kunden eben, die Leute, die Natels benutzen, und heutzutage benutzt ja fast jedermann ein Natel.» Unschwer ist festzustellen, dass der Verkäufer wenig Lust auf einen philosophischen Diskurs hat. Viel lieber möchte er mir ein neues Gerät verkaufen. Ich will nicht sogleich lockerlassen und stelle ihm noch eine Frage: «Wie viele Personen sind eigentlich notwendig, bis man offiziell von ‹man› sprechen kann?», frage ich ihn. Oder konkret: «Wenn beispielsweise in der Schweiz zweitausend Personen ein solches Gerät benutzen, kann man dann schon von ‹man benutzt› sprechen?»

Oh … jetzt wird es schwierig. Langsam zieht der Verkäufer seine Augenbrauen hinter seinem dunklen, übergrossen Brillengestell hoch und beginnt tief zu atmen. Es ist unübersehbar, dass ich ihn nerve. Und das ziemlich heftig. Nun, denke ich, ich bin ja nicht gekommen, um mit ihm zu philosophieren. Er hat wahrscheinlich noch anderes zu tun und ich im Übrigen auch. Einen Trumpf habe ich allerdings noch im Ärmel und diesen werde ich jetzt ausspielen. «Ich kenne mindestens drei Personen, die genau das gleiche Gerät benutzen wie ich.» Zum Thema «neueste Mode» habe ich ihm das einfach noch sagen wollen. Er hört es und lächelt. Der Verkäufer ist eigentlich ein ganz liebenswerter Mensch. Das Einzige, was uns trennt, sind unsere Ansichten über moderne Geräte und unsere Absichten, ein solches jetzt den Besitzer wechseln zu lassen.

Ich weiss es, ich bin nicht modern und ich benutze nicht unbedingt immer das, was «man» halt so benutzt.

«Ich beharre – meinem sturen Naturell entsprechend – auf ein wenig Individualität und schaffe mir nur Geräte an, die meinen Vorstellungen entsprechen. Ob diese dann modern sind oder nicht, spielt für mich keine entscheidende Rolle.»
Albin Rohrer

Genauso verhalte ich mich, wenn es darum geht, neue Hosen, ein neues Hemd oder neue Schuhe zu kaufen. Auch in Kleider- und Schuhgeschäften hatte ich schon ähnliche Diskussionen. Hosen müssen mir erstens gefallen und zweitens sollten sie bequem zu tragen sein. Ob diese dann modern sind und ob «man» solche Hosen überhaupt noch trägt, ist für mich kaum von Bedeutung.

Ohne Karten

Nach dem Besuch des Shops mit den Natels muss ich Einkäufe tätigen. Dabei besuche ich zwei grössere Ladenketten und weiss schon bevor ich an der Kasse stehe, dass ich mir zum x-ten Mal die gleiche Frage stellen lassen muss. Eine Frage, die auch etwas mit «man hat doch» zu tun hat. Die Frage nämlich:

«Haben Sie auch eine Kundenkarte?» Schon seit Jahren gibt es fast in jedem Geschäft diese Kundenkarten; und obschon «man» diese Karten hat, habe ich sie selbst noch immer nicht. Und ich werde sie im Übrigen auch nie haben. Den Verkäufer*innen nehme ich es nicht übel, dass sie mich jedes Mal danach fragen, obschon sie mich längst kennen. Wahrscheinlich sind sie verpflichtet, diese Frage zu stellen.

Was mich aber immer wieder in Erstaunen versetzt, ist der erstaunte Blick der Verkäufer*innen, wenn ich ihnen erkläre, dass ich keine einzige Kundenkarte besitze. Heutzutage hat «man» diese Karten doch einfach, ich aber habe sie nicht. Ich vermisse sie auch nicht, ich kann ganz gut ohne sie leben. Genauso wie ich mit meinem schon aus der Mode gekommenen Natel sehr gut leben kann. Wenn ich damit telefoniere oder eine Nachricht schreibe, hat sich auf der Gegenseite noch nie jemand darüber beklagt …

Übermässiges Tempo

Nein, nein, ich habe gar nichts gegen die Mode. Ich weiss auch, dass sich die Welt stetig verändert und dass das grundsätzlich nicht nur schlecht ist. Wer von uns möchte denn schon mit den gleichen Klamotten herumlaufen wie unsere Vorfahren im 11. Jahrhundert?

«Wichtig aber ist mir, dass ich selbst entscheiden kann, was sich in meinem Leben verändern soll und was nicht. Ausserdem bin ich der Überzeugung, dass wir trotz der Notwendigkeit der stetigen Veränderung auch ein wenig auf das Tempo achten sollten. Muss sich denn alles immer in diesem rasenden Tempo verändern?»
Albin Rohrer

Gerade bei vielen technischen Geräten geht es mir manchmal einfach zu schnell. Kaum habe ich etwas gekauft, ist es bereits wieder veraltet. Wie steht es denn dabei um die Nachhaltigkeit? Könnte diese denn tatsächlich nicht etwas ausgeprägter sein?

Ich bin nicht alleine

Aufgrund meiner Abneigung dem ständig wechselnden Modegeschehen gegenüber habe ich auch schon daran gedacht, dass mit mir irgendetwas nicht stimmen könnte. Doch mit meinen Widerständen dem sogenannt «Modernen» gegenüber stehe ich zum Glück nicht ganz allein da.

So sagte doch einmal Peter Altenberg:

«Die Mode ist ein ästhetisches Verbrechen an und für sich. Sie will nicht das endgültig Gute, das Schöne und das Zweckmässige, sie will nur immer etwas Anderes.»
Peter Altenberg
Österreichischer Schriftsteller (1859 - 1919)

Wie recht er doch hat! Und auch Henry David Thoreau hat die Sache durchschaut: «Jede Generation lacht über alte Moden. Jedoch folgt sie treu den neuen Moden.» Ja genau, das, was «man» heute will, ist dann genau das, worüber man schon bald lachen wird. Auf den Punkt gebracht hat es Clint Eastwood mit seiner Aussage: «Die Gesellschaft hat uns eingeredet, wir sollten unser Leben lang wie ein 18-jähriges Model aussehen. Aber ich denke, ich kann genauso gut auch das sein, was ich bin.»

Längst habe ich für mich entschieden, das zu sein, was ich bin. Und so werde ich auch weiterhin nur das kaufen, was für mich passt und was mir gefällt – unabhängig davon, ob das modern ist oder eben nicht …