17. August 2022

Der, die oder das?

Der, die oder das?
Lesezeit ca. 6 min

In der deutschen Sprache gibt es bekanntlich männliche, weibliche und sächliche Begriffe. Warum ist das eigentlich so? Und weshalb sieht es in anderen Sprachen ganz anders aus?

Männlich gleich schlecht? Weiblich gleich gut?

Bei einer gemütlichen Jassrunde wird plötzlich der Krieg in der Ukraine ein Thema. Klar, er beschäftigt uns alle sehr. Und so lässt sich eine Kollegin zu einer spitzen Bemerkung hinreissen: «Der Krieg ist doch eine reine Männersache», sagt sie. Das Wort «Krieg» sei ja auch männlich und nicht weiblich. «Das stimmt», antworte ich, «es heisst tatsächlich ‚der Krieg‘ und nicht ‚die Krieg‘ – leider.»

Doch bei genauerer Betrachtung und im Verlauf der aufkommenden Diskussion wird die Sache dann doch etwas kompliziert. Man kann nämlich gar nicht sagen, dass alles Böse männlich und alles Gute weiblich daherkommt. «Bekanntlich ist auch ‚der Frieden‘ männlich», sage ich und merke, dass ich jetzt in einen Verteidigungs- und Angriffsmodus gewechselt habe. Ich weise die Kollegin darauf hin, dass es offenbar ganz viele negativ besetzte Begriffe gibt, die weiblich sind. So zum Beispiel die Gier, die Eifersucht, die Habsucht, die Täuschung – um nur ein paar wenige zu nennen. Die Kollegin kontert und meint, es gäbe auch noch viele männliche Begriffe, die negativ besetzt seien. So zum Beispiel der Streit, der Hass, der Mord oder der Raub.

So geht die Diskussion weiter. Wir finden offenbar ebenso viele weibliche wie männliche Begriffe, die gut oder böse sein können. Der Wettkampf endet schliesslich unentschieden; und wir alle stellen uns die Frage: «Weshalb sind eigentlich bestimmte Begriffe männlich, andere weiblich und wieder andere sächlich?»

Andere Sprachen – anderes Empfinden

Schliesslich beginnen wir, Männlichkeit und Weiblichkeit in anderen Sprachen zu untersuchen. Dabei stellen wir fest, dass es wenig Übereinstimmungen zum Deutschen gibt. So sind zum Beispiel im Italienischen der Krieg («la guerra»), aber auch der Friede («la pace») weiblich. Das finde ich fair: Wenn der Krieg schon einem Geschlecht zugewiesen wird, soll doch auch der Friede dem gleichen Geschlecht angehören. Im Französischen ist es übrigens genauso («la guerre», «la paix»), ebenfalls im Spanischen («la guerra», «la paz»). Und wir suchen weiter. Spannend: Wir finden Begriffe, die in mehreren Sprachen dem gleichen Geschlecht zugewiesen sind. Bei ganz vielen Begriffen sind sich aber die vier Sprachen bezüglich Männlichkeit und Weiblichkeit gar nicht einig.

«Das Fazit: Offenbar ist die Welt männlich und weiblich – es gibt im Männlichen ebenso viel Gutes und Böses wie im Weiblichen. Vielleicht, weil letztlich Männer wie Frauen genauso gut wie böse sein können, vermute ich.»
Albin Rohrer

Aber halt! Da gibt es noch die englische Sprache. Sie kennt weder männlich noch weiblich und auch kein sächlich. Es heisst zum Beispiel «the man» (der Mann), «the women» (die Frau) und «the child» (das Kind). In englischsprachigen Gegenden kommen somit Diskussionen über das Geschlecht von Gut und Böse gar nicht erst auf. Wie schön. So bleibt den Menschen in diesen Regionen auch das sogenannte «Gendern» – das geschlechtergerechte Formulieren – erspart. Darüber wird bekanntlich seit einiger Zeit heftig diskutiert und auch gestritten. Die einen wenden diesbezüglich moderne Schreibformen konsequent an, andere wehren sich mit Händen und Füssen dagegen.

Geschlechtergerecht formulieren

Genderfreundliche Schreibweise bedeutet, Menschen mit all ihren Unterschieden auch in der Sprache sichtbar zu machen. Sollen Frauen und Männer angesprochen werden, so müs- sen – gemäss Verfechtern der genderfreundlichen Schreibweise – beide explizit genannt werden. Frauen und Männer sollen so gleichwertig und symmetrisch in der Sprache präsent sein.

Nehmen wir an, zwei Schulkassen machen mit ihren Lehrern einen Ausflug nach Bern ins Parlament. Wie sollen wir das jetzt beschreiben? Etwa so: «Die Schülerinnen und Schüler besuchten zusammen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern die Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Auf der Tribüne im Bundeshaus sassen viele Zuschauerinnen und Zuschauer.» Wer möchte eine solche Formulierung lesen? Da wird es einem ja fast schwindlig. Allerdings wäre diese Formulierung absolut gendergerecht. Solche Sätze sind aber wirklich fürchterlich – ich lese sie gar nicht gerne.

Was können wir jetzt tun? Lange Zeit wurde folgende Schreibweise verwendet: Schüler/ innen und Lehrer/innen besuchten die Parlamentarier/innen. Das scheint aber heutzutage nicht mehr konform. Man sagt, dass die Frauen damit nur als Anhängsel erwähnt würden.

Seit einiger Zeit werden verschiedene neue Schreibweisen benutzt: Schüler*innen, Lehrer:innen, Parlamentarier_innen oder auch ZuschauerInnen. Tja … man kann darüber streiten. Wie so vieles ist auch das wohl Ansichtssache.

Eine gute Idee wäre meines Erachtens folgendes: «Die Schulkinder besuchten zusammen mit ihren Lehrkräften die Mitglieder des Parlaments. Auf der Tribüne befand sich eine grosse Zuhörerschaft.» Es gibt für viele Begriffe Ausweichmöglichkeiten, die grundsätzlich geschlechtsneutral sind. Zum Beispiel «die Mitarbeitenden» statt «Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter», «die Leiterschaft» statt die «Leiterinnen und Leiter», «das Publikum« statt «die Zuhörerinnen und Zuhörer».

Gleichbehandlung

Auch für mich ist schon lange klar, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sein müssen. Das war leider in unserer Kultur jahrhundertelang nicht der Fall. Unsere Gesellschaft ist (oder war) grundsätzlich patriarchalisch aufgebaut. Offiziell hatten die Männer das Sagen. Das hat sich zum Glück verändert – wenn auch noch nicht in allen Belangen.

«So verdienen Frauen vielerorts für die gleiche Arbeit immer noch weniger als Männer. Das finde ich absolut nicht in Ordnung. Doch können wir das Problem denn mit einer genderspezifischen Sprache lösen?»
Albin Rohrer

Wohl kaum! Letztlich soll es doch darum gehen, dass die Männer die Frauen akzeptieren und umgekehrt. Männer und Frauen sollten meines Erachtens nicht gleich, aber unbedingt gleichberechtigt sein!