Der hormonische Mann
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Sie merken es nicht, interpretieren es anders oder haben ein müdes Lächeln dafür übrig: Doch auch Männer kommen in die Wechseljahre, in die Andropause. Ein paar Dinge sind ähnlich wie bei Frauen – aber nicht alles ist gleich.

Andropause: Wechseljahre des Mannes

Wellen von Hitze, die den Körper erfassen: Frauen, welche die Wechseljahre erfahren oder sie hinter sich haben, kennen dies bestens. Dieses Phänomen kann auch Männern widerfahren. «Solche Hitzewellen», offenbart ein betroffener Mann im Internet, «die gibt es. Hab ich am eigenen Leib erfahren. War nicht schön.»

Meist sind es nicht gleich Wallungen, die darauf hinweisen, dass sich auch beim Mann der Hormonhaushalt verändert – er in den Wechseljahren ist, in der Andropause. Dieser Name ist zum einen abgeleitet von andro (Mann) und pausis (Ende), zum anderen von den Androgenen: Den Geschlechtshormonen, die an der Entwicklung männlicher Geschlechtsmerkmale beteiligt sind. Das Phänomen hat weitere Namen wie Klimakterium virile, Aging Male Syndrom.

Symptome einer Andropause

Die Symptome lassen sich in drei Kategorien einteilen: Körper, Psyche, Sexualität.

Körperlich kann es sein, dass man mehr schwitzt, die Muskulatur und die Kräfte abnehmen, die Müdigkeit zunimmt, der Bauch runder wird, Knochen und Gelenke schmerzen.

Auf der psychischen Ebene können sich depressive Verstimmungen einschleichen, Schlafprobleme einnisten und sich eine generelle Nervosität breitmachen.

Auch bei der Sexualität kann sich dies zeigen: Mit der Erektion klappt es nicht wie gewünscht, die Lust auf Sex schwindet.

Veränderung des Hormonhaushalts

Wie bei Frauen haben die Wechseljahre des Mannes mit den Hormonen zu tun: Der Körper produziert weniger Testosteron. Ab etwa Mitte dreissig nimmt das männliche Sexualhormon pro Jahr um rund ein Prozent ab. Darum werden die männlichen Wechseljahre auch Testosteron-Mangel-Syndrom TMS genannt.

Die Veränderungen betreffen jedoch nicht alleine das Testosteron, wie Christine Rosa Thanner vom Zentrum für Vitalität und Hormon-Power weiss. So variiere zum Beispiel auch das Hormon Progesteron (siehe Kasten unten) oder das Cortisol, das in engem Zusammenhang mit der Regulierung von Stress steht. «Zu tiefe Hormonwerte treten bei Männern zum Teil bereits ab dreissig auf. Die Symptome und Beschwerden der Andropause hängen meist mit den körpereigenen Hormonen zusammen. Sie steuern, beeinflussen alles: Zellen, Organe, körperliche Funktionen, Psyche, Gehirnfunktionen – bei Frauen wie bei Männern. Vom ersten Erdentag an bis zum letzten.»

Der Hormonhaushalt der Männer verändert sich schleichend. Meist merken sie dies nicht oder interpretieren die Symptome anders, da diese auf vielerlei hindeuten können. Bemerkbar macht sich der hormonelle Wechsel meist zwischen dem fünfzigsten und sechzigsten Lebensjahr; dauern kann er bis etwa fünfundsiebzig.

Nicht zu vergleichen

Die Andropause ist umstritten. So existiert sie gemäss Sandra Fatio nicht, leitende Ärztin Endokrinologie am Spitalzentrum Biel. Sie stört sich an der Bezeichnung. «Der Begriff ist erfunden worden als Pendant zur Menopause der Frau. Aber die zwei Situationen sind nicht vergleichbar:»

«Der Verlust der Sexualhormone und der Fruchtbarkeit geschieht bei Frauen innerhalb von zwei Jahren. Zwar sinken die Sexualhormone auch bei den Männern, doch dies dauert über längere Zeit – ohne dass sie die Fruchtbarkeit verlieren und ohne dass gleich das Niveau Null erreicht wird wie bei den Frauen.»
Sandra Fatio
Leitende Ärztin Endokrinologie am Spitalzentrum Biel

Mehr als ein Ammenmärchen

Für Christine Rosa Thanner vom Zentrum für Vitalität und Hormon-Power sind die Wechseljahre des Mannes mehr als ein Ammenmärchen. Sie fasst die Definition weiter: «Als Andropause bezeichnet man den Lebensabschnitt des Mannes, der von nachlassender Hormonproduktion gekennzeichnet ist. Der Zeitraum für deren Auftreten liegt zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr.»

Behandlungsmöglichkeiten

Um die erwähnten Symptome zu lindern, reicht es manchmal, den Lebensstil anzupassen:

Sich gesund ernähren, nicht rauchen, sich mit Alkohol mässigen und ein Leben führen, in dem man nicht dauernd unter Druck ist, sich Zeiten des Erholens gönnt und beim Sex das Geniessen und Zelebrieren zum Zug kommen lässt. All dies regt den Hormonhaushalt an, insbesondere das Testosteron.

So muss man bei Beschwerden nicht gleich zu Hormonen greifen, wovon auch Sandra Fatio vom Spitalzentrum Biel tendenziell abrät: «Eine Hormonbehandlung mit Testosteron ist nur bei einer Erkrankung der Hypophyse im Gehirn oder der Hoden angezeigt. Und nur dann, wenn der Hormongehalt in Bezug aufs Alter deutlich zu niedrig ist. Um der Diagnose sicher zu sein, sind mehrere Analysen nötig.»

Auch wegen möglicher Nebenwirkungen: Solche Hormonersatz-Therapien können zu Brustschmerzen führen und erhöhen zudem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Prostatakrebs.

Dass es solche Hormon-Grenzwerte gibt, auf denen eine entsprechende Therapie basiert, ist umstritten.

«Denn jeder Hormonhaushalt ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Zudem sind die Symptome der Andropause diffus: Müdigkeit, Kraftlosigkeit und Stimmungstief sind persönliche Einschätzungen.»
Marcel Friedli

An die Ursachen gelangen

Andere Erkrankungen, die Lebensumstände und der klassische Alterungsprozess können solche gesundheitlichen Probleme auslösen. Eine Krise in der Lebensmitte, die Midlife-Crisis, ist nicht durch den Testosteronmangel bedingt; sondern psychologisch durch Lebensumbrüche, die Männer in diesem Alter vermehrt bewältigen müssen. Dann ist es angezeigt, die Ursachen psychotherapeutisch anzugehen – und nicht, indem man ein Hormon abgibt.

«Es ist ratsam, an die Ursachen zu gelangen», bestätigt Hormon-Expertin Christine Rosa Thanner. Sind die Hormonwerte allgemein – nicht nur des Testosterons – ermittelt, bietet sie ein natürliches und ganzheitliches Coaching an. «Mit Empfehlungen für Pflanzen und Nahrung sowie weiteren Möglichkeiten, abgestimmt auf Hormondefizite.»

Behandeln mit Naturheilmittel und Bewegung

So gibt es einige Pflanzen, denen nachgesagt wird, dass sie die Symptome der Wechseljahrbeschwerden abschwächen können. Dazu gehört die Brennnessel: Als Tee getrunken, beugt sie der Vergrösserung der Prostata vor und hält den Stoffwechsel aktiv. Bei Schlafstörungen und  Stimmungsschwankungen wirkt Johanniskraut lindernd. Zu erholsamer Nachtruhe können Melisse, Hopfen und Baldrian beitragen.

Ergänzend dazu hilft Bewegung: sei es Joggen, Walken, Wandern oder Spazieren, Yoga, Rudern, Boxen, Thai Chi, Pilates: All dies tut nicht nur dem Körper gut und lüftet den Kopf – sondern trägt dazu bei, den Hormonhaushalt zu harmonisieren. Christine Rosa Thanner: «Jene Bewegungsform, welche individuell zum Mann passt: zu seinen Vorlieben, seiner individuellen Situation und auch seinen Hormonwerten. Das können auch Kraftübungen mit dem eigenen Körpergewicht sein oder Übungen im Wald.»

Hormon-Lexikon

Östrogen

Beeinflusst Lust, Laune und Fruchtbarkeit, Knochen, Haut, Schlaf, Bindegewebe, Blutgerinnung.

Testosteron

Fördert Muskel- und Knochenaufbau, Libido und Haarwuchs. Mit Sport lässt sich der Wert deutlich steigern.

Progesteron

Wirkt auf Brust, Knochen, Gefässe und Haut, löst Ängste, schützt Nervenzellen. In Karotten und Spargel enthalten.

Wachstumshormone

Wichtig für Muskelaufbau und Abbau von Fett sowie für Zellreparaturen.

Schilddrüsenhormone

Sie beeinflussen Körpertemperatur, Herzschlag, Stimmung, Knochenstärke, Verdauung und Gewicht.

Melatonin

Regelt den Schlaf-Wach-Rhythmus. Dunkelheit im Schlafzimmer fördert es.