Wissen über Sexualität, Fortpflanzung und den Körper an die eigenen Kinder weitergeben – locker, häppchenweise, aufs Alter abgestimmt: Diese Guidelines helfen, wenn es um die Aufklärung von Kindern geht, um Sexualpädagogik.

Die Sonne strahlt in den Singsaal des Schulhauses Bannfeld in Olten. Achtzehn Buben zwischen zehn und dreizehn Jahren sitzen an diesem Samstagmorgen im Kreis und blicken zu Gianluca Venditti. «Eine Eizelle reift in der Gebärmutter», sagt er, «es ist die grösste Zelle, die es gibt. Man kann sie als Punkt sehen.»

Er reicht einen Papierstreifen herum, auf dem man eine Eizelle erkennen kann. Wir sind mitten in einem Workshop des Schweizerischen Roten Kreuzes Kanton Solothurn, in dem Buben zwischen zehn und dreizehn Jahren auf die Pubertät vorbereitet werden. Dazu gibt es ein Pendant, bei dem gleichaltrige Mädchen erfahren, was in ihrem Körper passiert, wenn sie zur Frau werden. Sie lernen alles über Zyklus und Menstruation. Vor beiden Kursen findet jeweils ein Informationsanlass für Eltern statt.

Alles fragen dürfen

Zurück zum Workshop mit den Jungs. «Ab wann kann ein Mädchen schwanger werden?», fragt Kursleiter Gianluca Venditti. «Ab neun», sagt ein Bube; «ab vierzehn», mutmasst ein weiterer, bevor ein anderer ergänzt: «Wenn der Zyklus eines Mädchens regelmässig ist.» Das sei fast korrekt, sagt Gianluca Venditti und präzisiert: «Wenn ein Mädchen die erste Monatsblutung hat. Mit neun wäre dies enorm früh und geschieht äusserst selten; mit vierzehn haben die meisten Mädchen ihre Periode schon länger. Sie setzt mit etwa zwölf oder dreizehn Jahren ein. Ein Mädchen in der sechsten Klasse könnte also schon schwanger werden – wobei das viel zu früh und sie ihrer Rolle als Mutter noch nicht gewachsen wäre.»

Kursleiter Gianluca Venditti ist hauptberuflich Lehrer. «Da es deutlich mehr Frauen in der Primarschule gibt und viele Mütter alleinerziehend sind, finde ich es wichtig, dass man auf die Buben spezifisch eingeht.

«Bei Bubenthemen kennt sich ein Mann besser aus, weil er selbst mal ein Bub war. Deshalb erzähle ich viel von mir selbst und lege Wert auf eine Atmosphäre, in der man alles fragen darf; wobei ich den Kurs als Ergänzung zur Aufklärungsarbeit der Eltern verstehe.»
Gianluca Venditti
MFM-Kursleiter und Lehrer

So schnell wie Spermien

Jetzt hält Gianluca Venditti ein plüschiges Etwas in der Hand. «Was ist das? Genau, ein Spermium, eine Samenzelle. Sperma, das sind viele Samenzellen», erklärt er. «Ab 12 bis 14 Jahren entstehen in den Hoden Spermien. Wobei an deinem 13. Geburtstag nicht der Pöstler klingelt und dir ein Paket mit Spermien überbringt.» Die Buben grinsen. «Das passiert nicht bei allen zur gleichen Zeit. Wenn man einen Samenerguss hat, dann kann man Vater werden. Bis ins hohe Alter, bis zum letzten Tag – bis wir sterben.»

Das Hirn sage zum Hoden: mach Sämli. «Wenn dich deine Mama bittet, den Abfall rauszutragen oder die Hausaufgaben zu machen und du keine Lust hast, kannst du sagen: Ich kann grad nicht, ich mach schon etwas; ich mache Sämli», grinst einer der Jungs. Das sei zwar wahr, sagt Gianluca Venditti, «aber deine Mama würde das nicht gelten lassen, weil es eine faule Ausrede ist. Trotzdem: Jeder Mann macht nonstop Spermien. Wie eine Spermienfabrik.»

Nun werden die Buben zu Fabrikarbeitern: Drei Minuten lang gilt es, im Akkord Spermien aus einem Seidenpapier auszuschneiden. Musik ertönt – der italienische Rapper Jovanotti gibt in der Spermienfabrik den Takt an.

«Geeignete Gelegenheiten nutzen»

Die Kinder in einen Workshop schicken, bevor sie in die Pubertät kommen: Reicht das? Dann ist man zwar fein raus – aber zur umfassenden Information braucht es die Eltern an der Seite, wie Bernadette Schnider sagt. Sie ist seit neunzehn Jahren Bereichsleiterin Sexualpädagogik bei der Berner Gesundheit.

Bernadette Schnider, braucht es Kurse, damit ein Kind beim Thema Sexualität fit ist?

Sexualerziehung ist meiner Ansicht nach eine gemeinsame Sache von Eltern und Kindern. Das schulische Angebot oder ein externer Kurs kann jedoch eine gute Ergänzung sein. Oft begrüssen es Kinder und Jugendliche, mit jemandem, den sie nicht so gut kennen, über dieses Thema zu reden.

Als Eltern spielt man bei der Aufklärung eine zentrale Rolle. Worauf soll man achten?

Geeignete Gelegenheiten nutzen. Früh und immer wieder.

Was meinen Sie damit?

Sexualpädagogik ist keine einmalige Sache, sondern es gibt immer wieder einen Anlass, einen Aspekt zu thematisieren: Ist im näheren Umfeld eine Frau schwanger, kann man dies nutzen, um über Schwangerschaft und Geburt zu erzählen; in einer Sprache, die dem Alter des Kindes angepasst ist. Wohnt ein lesbisches Paar in der Nachbarschaft oder lebt ein Bekannter mit einem Mann zusammen, kann man darauf hinweisen, dass Liebe vom Geschlecht unabhängig ist. Ein Kind soll früh über ein Grundwissen zu Körper und Sexualität verfügen, bereits im Kindergarten.

«Die meisten Kinder sind neugierig»

Warum so früh?

Es gibt noch immer den Mythos, man solle sich mit Aufklären zurückhalten, bis das Kind von sich aus fragt. Wartet man jedoch, ist man meiner Meinung nach zu spät dran. Kinder schnappen Dinge aus der Werbung auf, über die Medien oder auf dem Pausenplatz.

«Es ist wichtig, Kinder beim Einordnen zu unterstützen. Aufgeklärte Kinder sind besser vor sexuellen Grenzverletzungen geschützt. Grundlage ist eine offene, respekt- und vertrauensvolle Beziehung.»
Bernadette Schnider
Bereichsleiterin Sexualpädagogik, Berner Gesundheit

Inwiefern kann man dabei auf das Interesse der Kinder zählen?

Die meisten Kinder sind neugierig. Meistens sind sie zufrieden, wenn sie auf eine einfache Frage eine einfache Antwort erhalten. Vermittelt man ihnen das Gefühl, dass sie alles fragen dürfen, ist eine gute Basis gelegt. Die Informationen sollen nah an der Lebenswelt des Kin- des sein. Geht es zum ersten Mal alleine in die Badi, ist es wertvoll, dass es weiss: Ich alleine bestimme, wer mich berührt. Oder später, wenn es das erste Mal bei seinem Freund oder seiner Freundin übernachtet: dass es über Verhütung Bescheid weiss.

Und wenn sich ein Kind nicht für dieses Thema interessiert?

Blocken Kinder ein Gespräch ab, kann man das Thema ruhen lassen – um es später wieder zu versuchen. Oder Informationsbroschüren zum Lesen geben und ein Gespräch anbieten. Unbedingt am Thema dranbleiben. Denn jedes fünfte Mädchen bekommt die Mens mittlerweile mit elf Jahren. Es soll damit rechnen und es als etwas Natürliches erleben, wenn es so weit ist. Man kann zum Beispiel beiläufig erwähnen, weshalb Tampons und Binden im Bad herumliegen. Je natürlicher und offener man damit umgeht, umso besser.

Etlichen Menschen fällt es jedoch schwer, über Sexualität zu sprechen.

Dann kann man seinen Kindern sagen: Ich bin nicht geübt, darüber zu sprechen. Oder: Es ist mir zwar peinlich, aber wichtig, mit dir darüber zu sprechen. Das so auszudrücken, kann entlasten. Und Kinder lernen, dass man das sagen kann. Ideal ist, wenn sich sowohl die Mutter als auch der Vater einbringen. So kann man zwei Erlebens- und Sichtweisen einbringen, die sich ergänzen. Es gibt zudem einige gute Bücher, die Eltern den Einstieg erleichtern und über die man mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch kommen kann. Möglich ist auch, sich mit anderen Eltern auszutauschen oder ein sexualpädagogisches Beratungsangebot zu nutzen.

Welche Haltung ist dabei hilfreich?

Sexualität ist etwas Lebensbejahendes, Kreatives, Angenehmes, Erfreuliches. Schwingt dies mit, freuen sich Jugendliche auf die ersten Entdeckungen und Erfahrungen.