19. Oktober 2019

Chips verändern das Alter

Chips verändern das Alter
Lesezeit ca. 7 min

In immer mehr Bereichen des Alltags fasst der digitale Wandel Fuss. Seniorinnen und Senioren sind ohne Computer aufgewachsen, für sie ist die Umgewöhnung herausfordernd. Die kleinen Chips können jedoch gerade im Alter zur geschätzten Hilfe werden.

Bis vor rund zwanzig Jahren übergab man nach den Ferien seine Filme per Versandbeutel der Post oder brachte sie ins Fotogeschäft. Wenige Tage später hielt man die Papierbilder in der Hand. Heute ist das mit der Digitalkamera oder dem Smartphone aufgenommene Bild sofort verfügbar. Dieses Beispiel veranschaulicht, wie sich alltägliche Vorgänge nach und nach verändern. Fachleute sprechen von einer eigentlichen Revolution, die momentan vonstattengeht; sie wird den Alltag in den kommenden Jahren weiter erheblich umgestalten.

Beschleunigter Alltag 

In der Vergangenheit gab es ähnliche Phasen grundlegenden Wandels. Vor rund zweihundert Jahren veränderten die damals aufkommenden Maschinen den Alltag; Dampfkraft beförderte in der Eisenbahn und per Schiff Personen und Waren. Fabriken entstanden. Viele Menschen waren zuvor in der Landwirtschaft beschäftigt, die Industrie bot neue Einkommensmöglichkeiten. Aus Landwirten wurden Fabrikarbeiter. Mit der Bahn veränderte sich der Lebensradius, Menschen konnten verhältnismässig rasch entferntere Orte erreichen, für die sie zuvor mit der Postkutsche tagelang unterwegs waren. Eine Dampflok war schneller am Ziel als ein Fuhrwerk.
Ab 1850 wurden Kabel in den Meeren versenkt, durch sie konnten Nachrichten mittels Telegrafie blitzschnell von Kontinent zu Kontinent übermittelt werden. Später wurde die Funkübertragung möglich. Vor ungefähr hundert Jahren setzte sich die Elektrizität im Alltag immer mehr durch: Wohnstuben, Büros und Einkaufsläden wurden plötzlich heller. Um zu kochen und zu waschen musste man kein Feuer mehr entfachen, dies erleichterte den Alltag. In den folgenden Jahrzehnten wurden nach und nach Telefon, Radio und Fernseher in den Haushalten Standard.   

Alles verbindet sich  

Heute sind es winzige digitale Bauteile, die völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Sie stecken in Waschmaschinen, Kochherden, Fotokameras, Billettautomaten, Autos, Smartphones, Tabletcomputern, Laptops und vielem mehr. Dass sich all diese Geräte via Internet untereinander verbinden können, macht deren Fähigkeiten besonders wirkungsvoll: Beispielsweise können Röntgenbilder und medizinische Laborergebnisse blitzschnell von der Arztpraxis ins Spital übermittelt werden, Bahnverbindungen von jedem beliebigen Ort abgerufen und Geldüberweisungen bequem von zu Hause aus erledigt werden. Opa und Oma können sich mit ihren Enkeln über grosse Entfernungen via Skype unterhalten. Vor fünfzig Jahren hätten derartige Perspektiven als Visionen einiger Fantasten gegolten, heute sind sie normal.  

Weitere, teils ungeahnte Entwicklungen werden in den nächsten Jahren auf die Menschen zukommen. Bereits jetzt kann man beispielsweise auf dem Bildschirm in einer Liegenschaft unterwegs sein, bevor sie überhaupt gebaut wurde; Computer ahmen die Wirklichkeit täuschend echt nach. Im Weiteren ist es der Forschung gelungen, einen Rollstuhl nur mit Gedankenkraft zu lenken. Dies lässt erahnen, wie körperbehinderte Menschen ihre Bewegungsmöglichkeiten in Zukunft verbessern können. Diese Entwicklung wird allerdings noch einige Jahre benötigen, bis sie praxistauglich ist.  
Auch mit der Nachbildung von ausgefallenen Körperorganen mit digitaler Hilfe beschäftigt sich die Forschung. Eingepflanzte Chips sollen eines Tages bei Lähmungen Körperfunktion steuern. Die hochpräzise Vermessung von Gelenkprothesen ist bereits jetzt möglich, dadurch lassen sich passgenaue Kopien anfertigen. Auch Operationen mit der Unterstützung von Robotern werden schon ausgeführt. Spezialisierte Chirurgen können dank Digitaltechnik eine komplizierte Operation, die in einem Spital auf einem anderen Kontinent ausgeführt wird, fachlich begleiten.  

Modernste Therapie- und Trainingsmethoden 

Computerbasierte Trainingsprogramme helfen Schlaganfallpatienten wirkungsvoll bei der Rehabilitation. Bisher eintönige Wiederholungen von Bewegungen der erkrankten Gliedmassen werden zum unterhaltsamen Geschicklichkeitsspiel am Bildschirm.  
Die Chips verbessern auch die Funktionalität von Hörgeräten. Andere Anwendungen stärken bei Schizophrenie-Kranken via Trainingsprogramme einzelne Hirnzentren; in der Folge werden sie weniger von Symptomen gequält, ihre Lebensqualität steigt. Menschen mit Höhenangst oder anderen Panikattacken können mit Simulationsprogrammen unter Begleitung einer Therapeutin üben, entsprechende Situationen angstfreier durchzustehen. Und auch Depressionskranke trainieren mit digitaler Hilfe ihre negativen Gedankenmuster in positivere um. Da speziell in ländlichen Gebieten ein Mangel an Psychotherapieplätzen besteht, kann Hilfe übers Internet viel psychisches Leiden lindern.

Digital wird alltäglich 

Für Menschen, die alters- oder krankheitsbedingt wenig mobil sind, lässt sich vieles im Haushalt mit dem Antippen des entsprechenden Symbols auf dem Tabletcomputer vom Sessel oder Bett aus erledigen: Heizung regulieren, Rollläden öffnen oder schliessen, Kaffeemaschine ein- und ausschalten, Licht in einzelnen Räumen anknipsen, Hilfe holen. Auf diese Weise können betagte Menschen länger in ihren eigenen vier Wänden leben.
Und auch für Menschen mit eingeschränkten Sinnesfunktionen können spezialisierte Programme das Leben erleichtern, nachfolgend einige Beispiele: Manche Smartphone-Apps sind als sprechende Strassenkarten konstruiert, mit ihnen können Sehbehinderte eine gesuchte Adresse leichter anpeilen.
Im Weiteren lassen sich auch barrierefreie Gaststätten, Kinos, Theater sowie Toiletten per App finden. Eine andere App liest Seheingeschränkten abfotografierte Texte vor. Im Kino liefert eine App Gehörlosen die Untertitel zu den Szenen auf der Leinwand. Weitere Apps setzen gesprochene Sprache simultan in Schrift oder in Gebärdensprache um. Für die Benützung des ÖVs genügt mancherorts ein Smartphone. 

Spezialisierte Kurse helfen  

Doch auch diese Medaille hat eine Kehrseite: Die unendlich vielen Möglichkeiten, welche die digitalen Medien bereits jetzt bieten, können überfordern. Für ältere Menschen sind diese durch die Digitalisierung ausgelösten Veränderungen zum Teil sehr irritierend. Sie verlangen ihnen eine Umgewöhnung und eine veränderte Denkweise ab; denn sie sind nicht von Kindesbeinen an mit der digitalen Welt vertraut. Der Wandel des Alltags beunruhigt viele: Wird es beispielsweise in Zukunft noch gedruckte Zeitungen geben oder muss man sich ans Lesen am Bildschirm gewöhnen? Sitzen in einigen Jahren keine Kassiererinnen mehr im Grossverteiler an der Kasse? Muss man selber sehen, wie man die Einkäufe mit dem Lesegerät abrechnet? 

Für junge Menschen stellen sich derartige Fragen kaum, sie können sich einen Alltag ohne Smartphone, Suchmaschinen und Online-Buchungen kaum vorstellen. Sie haben nie etwas anderes erlebt. Ein Teil der Seniorinnen und Senioren findet sich im digitalen Wandel bereits gut zurecht. Sie nutzen auf dem Smartphone verschiedene Apps, bearbeiten Fotos digital und kommunizieren per WhatsApp mit Familienangehörigen. Für einen anderen Teil sind dies alles Fremdwörter. Manche waren noch nie im Internet. Für sie verändert sich der Alltag in einer irritierenden und beängstigenden Weise. Leicht kann so das Gefühl des Ausgeschlossenseins entstehen.  
Zum Glück bieten Volkshochschulen sowie Organisationen wie Pro Senectute auf ältere Menschen zugeschnittene Kurse an, in denen sie den Umgang mit den neuen Geräten sorgfältig erlernen und üben können; damit sie den Anschluss an die neue Zeit und den gesellschaftlichen Wandel nicht verlieren.