Eigentlich müssten wir etwas nur loslassen, um es dann zu erhalten. Doch so ganz einfach ist das nicht immer!

Wer aufhört zu suchen, der findet

Manchmal ist das Leben schon komisch. Da suchen wir krampfhaft etwas, geben uns alle Mühe, setzten sämtliche Hebel in Bewegung und werden nicht fündig. Nach langem Kämpfen, Ringen und Bemühen lassen wir dann endlich los. «Es soll», denken wir, «offenbar einfach nicht sein.» Und was passiert dann? Ja genau! Dann dauert es nicht lange, bis genau das kommt, was wir so lange gesucht und nicht gefunden haben. Scheinbar mühelos, einfach so, unverhofft. Es steht einfach plötzlich vor der Türe, so wie unerwarteter Besuch. Und wir können es kaum glauben. «Das gibt’s doch nicht», denken wir dann. Aber das gibt es tatsächlich! «Wer sucht, der findet», besagt ein altes Sprichwort. Doch stimmt das wirklich? Müsste es nicht eher heissen, «wer aufhört zu suchen, der findet»?

Grosse Hoffnungen

Die Beispiele dazu sind zahlreich, wie ich bei mir selbst und auch in meinem Umfeld schon erleben konnte. So etwa das Folgende: Ein junges Ehepaar wünschte sich unbedingt ein Kind. Sie suchten nach einer passenden Wohnung und richteten unter anderem auch ein Kinderzimmer ein. Wickeltisch, Kinderbett, Spielsachen, Kinderkleider, Windeln! Alles wurde bereitgestellt, auch die Namen für ein Mädchen und einen Knaben waren schon gefunden. Doch jeden Monat aufs Neue die grosse Enttäuschung. Wieder hatte es nicht geklappt. Sowohl er als auch sie liessen sich ärztlich untersuchen. Gefunden wurde nichts, was gegen eine Schwangerschaft gesprochen hätte.

Sie fuhren zusammen in die Ferien, mit der Absicht, in aller Ruhe und entspannt sich der Sache anzunehmen. Es fruchtete nicht. Und eines Tages, als sie gerade bei einer gynäkologischen Untersuchung war, sagte ihr der Arzt, dass jetzt gerade die besten Stunden des Monats für eine Empfängnis wären. Sie ging nach Hause, rief ihren Ehemann an, er liess im Büro sofort alles liegen und fuhr nach Hause. Doch zwei Wochen später war klar: Es hat wieder nicht geklappt. Grosse Enttäuschung breitete sich aus. Das Paar versuchte es wieder und wieder. Vier Jahre lang.

Überraschender Kindersegen

Dann entschieden sich die beiden dafür, das Projekt «Kind» loszulassen. Wenn es nicht sein soll, dann soll es halt nicht sein, sagten sie sich. Das Kinderzimmer rüsteten sie in der Folge in ein Bastelzimmer um und beide konzentrierten sich intensiv auf ihre Berufslaufbahn. Kurze Zeit später dann die grosse Überraschung. Er kommt von der Arbeit nach Hause, sie umarmt ihn und sagt: «Schatz, ich bin schwanger.» Beide konnten es kaum glauben und waren fassungslos. Die Freude war gross und nur wenige Tage später war das Kinderzimmer wieder eingerichtet.

Verstehen konnten es beide nicht, doch das spielte schliesslich auch keine Rolle mehr. Vielleicht aber hatte es tatsächlich mit dem Thema «Loslassen» zu tun.

«Unbedingt etwas zu wollen und krampfhaft alles dafür zu tun, dass es geschieht, ist offenbar nicht immer der richtige Weg, um das zu erreichen, was man sich wünscht.»
Albin Rohrer

Liebe im Kreisel

Ganz ähnlich erging es einer Bekannten. Ein halbes Jahr nach der Scheidung verspürte sie ein grosses Bedürfnis nach einer neuen Partnerschaft. Sie besuchte Clubs und Bars, sie meldete sich bei verschiedenen Plattformen im Internet an, schrieb unzählige Mails, traf Männer, einen nach dem anderen. Doch es wollte und wollte nicht klappen. Eine Enttäuschung jagte die nächste, mit keinem schien es zu passen. Je länger es dauerte, desto grösser wurde ihre Verzweiflung. Sie zweifelte an sich und vor allem auch daran, ob es für sie überhaupt noch einen passenden Partner geben würde.

Irgendwann hatte sie genug. «Fertig mit der Sucherei», sagte sie sich, «dann bleibe ich eben allein, ich kann auch ohne Partner ein gutes Leben führen.»

Nur kurze Zeit später war sie mit dem Auto unterwegs und fuhr etwas zackig in einen Kreisel. Es kam zu einer leichten Kollision mit einem anderen Auto. Sie stieg ziemlich erschrocken und auch verärgert aus. Und wer kam ihr entgegen? Ja, genau! Ein Mann. Also nicht nur irgendein Mann, sondern DER Mann. Die beiden kamen ins Gespräch, fanden sich sympathisch, trafen sich ein paar Tage später wieder und verliebten sich ineinander. Heute, einige Jahre danach, wohnen die beiden zusammen und führen eine wunderschöne und befriedigende Beziehung.

Alles nur Zufall?

Natürlich könnte man in beiden Fällen denken, es sei alles nur Zufall gewesen und das Loslassen hätte nichts damit zu tun. Aber an Zufälle mag ich irgendwie einfach nicht so recht glauben. Schon eher glaube ich daran, dass im Leben immer wieder das passiert, was passieren muss. Ich glaube nicht daran, dass wir Menschen immer alles kontrollieren können und immer genau das geschieht, was wir uns wünschen. Manchmal vielleicht schon, aber sicher nicht immer.

«Vielleicht schenkt uns das Leben eben nicht nur das, was wir wollen, sondern auch das, was wir brauchen. Und das, was wir brauchen, ist offenbar nicht immer das, was wir wollen …»
Albin Rohrer

Laotse und sein Weg

Das Thema «Loslassen» ist schon alt. Bereits im «Tao te king», im berühmten «Buch des Weges», welches Laotse vor 2500 Jahren verfasste, ist davon die Rede. Etwa im Kapitel 22. «Willst du ganz werden, so sei ruhig halb. Willst du gerade werden, so sei ruhig krumm. Willst du voll werden, so sei ruhig leer. Willst du wiedergeboren werden, so stirb ruhig. Willst du, dass dir alles gegeben wird, dann gib alles hin.»

Was aber hier so einfach klingt, ist in der Praxis leider nicht immer so einfach umzusetzen. Alles hergeben? Wer möchte das schon? Wer hat schon den Mut dazu? In unzähligen Diskussionen zu diesem Thema ist mir schon aufgefallen, dass viele Menschen zwar darüber reden und irgendwie wissen, dass sie etwas loslassen müssten, um es zu erhalten. Doch sie tun es dann trotzdem nicht. Oder nicht ganz. Sie sagen es nur.

Was heist «Loslassen»?

Loslassen aber ist nicht etwas, was im Kopf, in den Gedanken passiert. Es liegt viel tiefer. Vielleicht im Herzen, vielleicht im Bauch? Es ist eine Haltung, die ihren Kern im tiefsten Innern verbirgt. Nur dann nämlich hat diese Haltung ihre Wirkung. Letztlich hat es vielleicht sogar etwas mit Demut zu tun. Mit Demut dem Leben und den Geschehnissen gegenüber.

«Loslassen hat nichts mit Resignation oder mit Frust zu tun. Es hat auch nichts mit Gleichgültigkeit zu tun. Gleichgültigkeit ist nämlich eine sehr passive Haltung. Loslassen hingegen ist etwas Aktives.»
Albin Rohrer

Es ist Gelassenheit – etwas sein lassen zu können und trotzdem eine aktive und positive Haltung zu bewahren.

Buddhas Grundphilosophie

Übrigens: Auch Buddha beschäftigte sich mit diesem Thema. Seine Grundphilosophie ist folgende: «Das Leben ist Leiden. Das Leiden entsteht aus dem Begehren. Wer aufhört zu begehren, bei dem endet das Leiden.» Das heisst nichts anderes, als dass wir aufhören sollten, unbedingt etwas zu wollen und krampfhaft danach zu begehren und zu streben. Klar ist, dass wir alle immer wieder Wünsche und Ziele haben. Und das ist auch gut so. Doch wir sollten nicht krampfhaft versuchen, an unseren Wünschen zu kleben und etwas erreichen zu wollen, was das Leben für uns vielleicht gar nicht vorgesehen hat. Und wir sollten unbedingt lernen, mit der Tatsache umgehen zu können, dass nicht immer alles ganz so ist oder so wird, wie wir es uns vorgestellt haben.

Einfach ist das nicht, das habe ich selbst schon mehrfach erfahren und ich erfahre es immer wieder. Aber ich möchte am Thema dranbleiben …