Sorgen Sie sich gelegentlich um Ihre eigene Schönheit, Ihr Aussehen oder Ihre Attraktivität? Oder anders gefragt: Sind Sie eitel?

Was ist Eitelkeit?

Wie viel Eitelkeit ist normal? Die Schuhe auf Hochglanz poliert, ein extravaganter Anzug und eine farbige Krawatte aus edelsten Stoffen, eine Armbanduhr, die mehr gekostet hat als ein bürgerliches Auto, die Haare perfekt frisiert, die Augen hinter einer Designer-Sonnenbrille versteckt. Dazu ein cooles Lächeln, ausschliesslich gemächliche und elegante Bewegungen, meist in Begleitung von hübschen Damen, natürlich unterwegs in den nobelsten Karossen und in den teuersten Hotels. So präsentieren sich gewisse Herren in unserer modernen Welt. Dass in der Finanzbranche tätige Männer nicht mit zerrissenen Jeans und einem günstigen T-Shirt aus der Dominikanischen Republik herumlaufen können, ist ja verständlich. Doch scheint es, dass sich gewisse Herren um ihr Aussehen, ihre Schönheit, ihre Attraktivität und ihren Körper in einem Ausmass sorgen, welches das Normale bei Weitem übersteigt. Eitelkeit nennt man das.

Kleine Anekdote

Ob das immer gut endet? Wahrscheinlich nicht, wie folgende Anekdote zeigt:

Nach einem Herzinfarkt wird eine ältere Dame ins Spital eingeliefert. Während einer tiefen Ohnmacht hat sie ein Nahtoderlebnis. Sie trifft Gott. «Du lieber Himmel», sagt die Dame, «bin ich jetzt schon tot?» Mit gütiger Stimme antwortet Gott: «Nein. Zudem hast du auch keinen Grund, dich zu fürchten. Du sollst noch weitere 40 Jahre glücklich leben können.»

Ein paar Wochen nach ihrer Genesung geht sie für ein paar Tage ins Spital. Sie lässt sich ihr Gesicht liften, ihre Oberweite vergrössern, das Fett an den Beinen absaugen, ebenso lässt sie sich ihre Lippen formen, die Falten entfernen und schliesslich auch noch die leicht gekrümmte und etwas zu grosse Nase korrigieren. «Wenn ich doch noch 40 Jahre zu leben habe», sagt sie sich, «möchte ich doch auch das Beste daraus machen. Und zum Besten gehört doch auch, dass ich gut aussehe.»

Ein paar Tage nach all diesen Eingriffen verlässt die Dame das Spital. Doch vor dem Spital wird sie von einem heranrasenden Krankenwagen überfahren und ist sofort tot. Sekunden später steht sie wieder vor Gott. «Mein lieber Gott», sagt sie, «vor Wochen hast Du mir versprochen, dass ich noch 40 Jahre leben darf. Doch jetzt bin ich schon tot. Was ist denn eigentlich los?» Darauf antwortet Gott: «Nun, das stimmt, das habe ich dir versprochen. Und es tut mir auch schrecklich leid. Aber ich habe dich einfach nicht wiedererkannt …»

Bild eines Mannes, der sich Botox spritzen lässt

Schmale Grenzen

Wo liegt die Grenze zwischen Konsequenz und Sturheit? Wo liegt die Grenze zwischen Hilfsbereitschaft und Aufopferung? Oder wo liegt die Grenze zwischen Kommunikationsfreudigkeit und Schwatzhaftigkeit? In vielen Bereichen des Lebens ist es nicht ganz einfach zu definieren, wo die Grenze zwischen einem «normalen» und einem «abnormalen» Verhalten liegt. So auch bei der Eitelkeit.

Freude zu haben am eigenen Körper, an der eigenen Schönheit, zu schauen, dass man attraktiv ist (und bleibt), ist doch absolut in Ordnung. Doch man kann es auch übertreiben. Wo sich dieser Punkt befindet, ist kaum definierbar. Er hängt von den Umständen, der Zeit und der gesellschaftlichen Ordnung ab. Und letztlich ist eine Beurteilung ja immer etwas Individuelles. Was die einen noch als angebracht betrachten, ist für andere schon masslos.

Kann Eitelkeit auch positiv sein?

«Der Mensch besteht aus Knochen, Fleisch, Blut, Speichel, Zellen und Eitelkeit.» Dieser doch recht zynischen Bemerkung von Kurt Tucholsky wäre eigentlich zu entnehmen, dass wir alle mehr oder weniger eitel sind. Schlimmer noch:

«Wir ärgern uns über die Eitelkeit anderer, weil wir es selbst sind.»
Albin Rohrer

Dieser Meinung jedenfalls war Friedrich Nietzsche: «Die Eitelkeit anderer geht uns nur dann wider den Geschmack», meinte er, «wenn sie wider unsere Eitelkeit geht.» Dass das Thema übrigens schon recht alt ist, beweist auch ein Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach: «Die Wunden, die unserer Eitelkeit geschlagen werden, sind halb geheilt, wenn es uns gelingt, sie zu verbergen.»

Mit Sicherheit aber hat die Eitelkeit Hochkonjunktur seit der Erfindung des Fernsehers. Hier wollen doch alle schön sein, und hier treiben der Drang und das Bedürfnis nach Attraktivität und Schönheit manchmal seltsame Blüten. Nicht wenige Zeitgenossen sind denn auch der Auffassung, dass sich die eitelsten Personen nicht in der Modewelt, sondern vielmehr im Fernsehen tummeln. «Eitle Fernsehjournalisten », sagte Ernst Probst, «halten sich für mindestens ebenso bedeutend wie ihre prominenten Interviewpartner.» In der christlichen, besonders in der katholischen Theologie, zählt die Eitelkeit übrigens zu den Sieben Todsünden. Die Eitelkeit lenke das Denken des Menschen von Gott ab und hin zu sich selbst, zu seinem Körper, seinem Äusseren, seinen Trieben und Bedürfnissen.

Nicht ganz so tragisch betrachtet es George Sand. Sie gewinnt der Eitelkeit sogar einen positiven Aspekt ab: «Nach der Liebe ist die Eitelkeit die schönste Leidenschaft des Menschen. Sie zwingt uns, gut zu sein, aus dem Drang heraus, so zu scheinen.»

Männer und Frauen im Vergleich

In einem Seminar zum Thema «Zeit- und Arbeitsplanung» entflammte eine Diskussion darüber, wie viel Zeit wir jeweils morgens im Bad vor dem Spiegel verbringen. Die Unterschiede waren frappant: Den Minusrekord nahm ein Mann für sich in Anspruch (zwei Minuten duschen, zwei Minuten abtrocknen, zwei Minuten rasieren, zwei Minuten Zähne putzen). Das Maximum erreichte eine Dame: 90 Minuten verwende sie jeden Morgen, um sich zu pflegen, zu schminken und schön zu machen. Klar, Frauen legen in der Regel grösseren Wert darauf, sich äusserlich auf Hochglanz zu polieren. So könnte man meinen, dass sie dementsprechend eitler seien als Männer.

«Doch das stimmt nicht, Männer sind genauso eitel wie Frauen. Dies jedoch mit dem Unterschied, dass sie nicht morgens stundenlang vor dem Spiegel stehen, sondern sich dafür tagelang in Fitnesszentren herumplagen.»
Albin Rohrer

Muskelaufbau oder besser gesagt Eitelkeit ist dabei ein grosses Thema.

In England haben sich Psychologen mit diesem Phänomen befasst und Folgendes herausgefunden:

Viele Männer wünschten sich für ihren Idealkörper 13 Kilogramm mehr Muskelmasse als diese der Durchschnittsmann hat. Diese Untersuchung hat ebenso hervorgebracht, dass bereits viele 11- bis 16-Jährige von ihrem Aussehen besessen sind. Über 30 Prozent der Befragten wollten beispielsweise Gewicht verlieren und über 50 Prozent gaben an, lieber besser aussehen zu wollen, als gut Fussball spielen zu können. 25 Prozent sagten, sie wären viel lieber schön als reich; und fast so viele würden zur Verbesserung ihres Aussehens gar einen plastisch-chirurgischen Eingriff in Erwägung ziehen.

Bild junger Menschen in Fitnessstudio

Gesellschaftliche Ideale

Weshalb denn das? Louise Payne, die Leiterin dieser Untersuchung, ist der Ansicht, dass die Gesellschaft übersättigt sei mit Bildern von Menschen, die man attraktiv finden solle. Auf heranwachsende Jugendliche laste ein bedenklicher Druck, diesen Idealen zu entsprechen. Das stimmt ganz sicher, wenn man sich die Werbung anschaut; lauter schöne, gesunde und glückliche Männer, Frauen und Kinder werden darin präsentiert. Dies meist noch in einer wunderschönen Umgebung. Kein Wunder, dass demzufolge bei «normalen» Menschen das Gefühl aufkommen kann, selbst zu wenig attraktiv zu sein. Männer beginnen dann wie wild zu trainieren, Frauen reagieren auf diesen Druck oft auch mit massiven Essstörungen. Man nimmt alles in Kauf, um dem gesellschaftlichen Idealbild zu entsprechen.

Dabei wäre doch Schönheit ein relativer Begriff. Übrigens: Der Begriff «Eitelkeit» hatte früher auch noch eine andere Bedeutung. Er stand für Nichtigkeit, Leerheit, Vergeblichkeit und … Vergänglichkeit …