Emil Steinberger © Niccel Steinberger und Ursula Hersperger

Ab Ende September schnädered Emil Steinberger wieder. Im Interview blickt der gebürtige Luzerner mit einem lachenden Auge auf seine Karriere zurück. Auch aktuelle Themen kommen zur Sprache. Dabei kann sich der Altmeister den ein oder anderen Seitenhieb nicht verkneifen; typisch Emil eben.

Herr Steinberger, welche Geschichte ist im Rückblick die schönste, die das Leben für Sie bisher geschrieben hat?

Meine Geschichte beginnt mit einem jungen Mädchen, das ihren Flausen im Kopf nacheifert. Nach einem Besuch beim Circus Roncalli, 1980, will sie Clownin werden. Das Mädchen sucht nach Mitteln und Wegen, den Beruf von der Pike auf zu erlernen. Eines Tages fasst sie sich ein Herz und kontaktiert einen gewissen Emil Steinberger, den sie aus dem Fernsehen kennt und schreibt ihm einen langen Brief, in dem sie ihm ihren Herzenswunsch schildert. Jahre später wird Emil ihr gestehen, dass er es war, der die Regie dieses besagten Circusprogramms führte. Und seit 1999 ist sie meine Frau.

Sie sind seit 70 Jahren ein gefeierter Star. Erzählen Sie von Ihren Anfängen.

Ursprünglich erlernte ich den Beruf des Postbeamten. Schnell wurde mir klar, dass ich mir eine Karriere hinter dem Schalter abschminken konnte. Nach neun Jahren warf ich das Handtuch. Nicht nur für meine Eltern, die darauf gedrängt hatten, dass ich einen soliden Beruf erlernte, ein Ding der Unmöglichkeit. Dann besuchte ich die Schule für Gestaltung in Luzern und erlernte den Beruf des Grafikers.

«Bereits während meiner Zeit bei der Post war ich Mitglied eines Cabaret-Ensembles. Meine Eltern wussten lange Zeit nichts von meinem verborgenen Talent. Es fehlte ihnen neben jeglichem Verständnis auch an Zuspruch und Unterstützung für meine Kunst.»
Emil Steinberger

In den eigenen vier Wänden galt es als Tabuthema. Was meinen Eltern verwehrt blieb, fiel anderen auf, die mich schon als Kind darin bestärkten, den Beruf des Schauspielers zu erlernen. Tatsächlich habe ich an einem Termin bei der Berufsberatung vorsichtig «Schauspieler» als Berufstraum angekreuzt. Damals war ich gerade einmal 17 Jahre alt. Die richtige Richtung spürte ich bereits früh, und ich habe über Jahre, trotz schwieriger Momente, diesen Weg weiterverfolgt. Mit Erfolg, wie sich später herausstellen sollte.

Wie beurteilen Sie die heutige Kabarett- und Comedy-Szene?

Wir leben in einer Zeit der Konfrontationen. Gesagtes landet nicht selten im falschen Hals. Oftmals nehmen Menschen Kritik zum Anlass für eine Retourkutsche, die sich gewaschen hat. Obwohl ich mich als Mensch des Dialoges sehe und konstruktive Kritik seit jeher als eine Art des Fortschritts betrachte, habe ich mir angewöhnt, mir hie und da auf die Zunge zu beissen. Ich empfinde es als Fehler, Berufe mit dem Ziel auszuüben, eines Tages berühmt werden zu wollen. Wesentlichen Anteil daran hat nach meiner Auffassung die Presse. In den wenigsten Fällen berichtet sie über Durchschnittsmenschen; vielmehr stehen die Schönen und Reichen im Fokus. Klar, dass die heutige Jugend dem Glamour nacheifert und nach dem schnellen Geld lechzt. Ich hatte nie die Absicht, Kabarettist, geschweige denn berühmt zu werden.

«Zudem habe ich weder eine Schauspiel- noch eine Sprechausbildung durchlaufen. Vielmehr war es eine Gabe, die mir wohl in die Wiege gelegt wurde. Dafür bin ich sehr dankbar und gehe demütig durchs Leben.»
Emil Steinberger

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Ihren Blick in Richtung Moskau richten?

Ich verfiel wohl wie viele andere dem Irrglauben, dass derartige Zeiten hinter uns liegen. Es ist schwer, mit anzusehen und zu ertragen, wie es einem Menschen gelingt, die Welt derart zu terrorisieren. Einen Krieg im Europa des 21. Jahrhunderts anzuzetteln, ist schon unbegreiflich. Hinzu kommt die zunehmende Hungersnot, die der Tyrann durch seine gegenwärtige Getreidepolitik schürt. Es ist ein Konflikt überdimensionalen Ausmasses, wofür mir als Normalbürger das Verständnis fehlt. Trotzdem kommt man immer wieder in Gefahr, Stellung zu beziehen.

Sie waren von 1971 bis 1983 Kinobesitzer. Wie denken Sie über die diesjährige Revision des Filmgesetzes?

Die Abstimmung als solche war ein schwieriges Unterfangen, da den meisten der Sinn und Zweck nicht klar genug erläutert wurde. Jedoch bin ich der Meinung, dass es eine gute Lösung ist. Damit stehen ab dem Jahr 2024 neben den nationalen Fernsehsendern neu auch Streamingdienste in der Pflicht, vier Prozent ihrer Einnahmen in den Schweizer Film zu investieren. Das halte ich nicht nur für gerechtfertigt, sondern auch für logisch.

Das Kleintheater Luzern ist ihr Kind. Wie kam es dazu?

Es war wie mein Wohnzimmer. Die derzeitigen Betreiber*innen haben mir die Tür vor der Nase zugeschlagen. Es hiess damals, sie wollten das Programm verjüngen. Das war eine bittere Pille, die sie mir und anderen Künstlern zu schlucken gaben. Der Gedanke daran stimmt mich traurig.

Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Mir fiel in den 60er-Jahren auf, dass all die guten Künstler*innen einen Bogen um Luzern machten. Um diesem Zustand Einhalt zu gebieten, machte ich mich auf die Suche nach einer geeigneten Lokalität und wurde fündig. Ich fand ein Tele-Café mit etwa 200 Sitzplätzen. Darin projizierten die damaligen Besitzer Köche während ihrer Arbeit und boten den Gästen vor Ort Degustationen an.

Im Laufe der Zeit konnte sich fast jeder einen Fernseher leisten, und das Interesse an diesem Konzept liess nach. Ich kann von Glück sprechen, dass ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war, um dieses Lokal in ein Kleintheater umzubauen. Einer Gratiszeitung, die ich an alle Haushalte schickte, legte ich einen Einzahlungsschein mit dem Aufdruck drei Franken bei, schrieb aber dazu, dass man vor die drei noch eine eins schreiben solle, wenn man meine, dass ein Kleintheater für Luzern eine gute Idee sei; und eine weitere eins davor schreiben solle, wenn man es für eine sehr gute Idee halte. So konnte ich die ersten wichtigen Umbauten finanzieren. Ich kann also mit Stolz behaupten, dass ich der Erste bin, der Crowdfunding machte, um zum Theaterbesitzer zu werden – und zwar im Jahr 1967.

Einer deutschen Zirkusfamilie, die auf den Knie(n) lag, halfen Sie auf die Beine.

Im Jahr 1980 rief mich Bernhard Paul, der Direktor des Circus Roncalli, an. Er erzählte mir von der Trennung von André Heller, mit dem er den Circus gegründet hatte. Bernhard Paul bat mich um Hilfe, seinen Traum von einem Neustart zu realisieren. Ich half mit Sponsoren, die nötigen Finanzen zu sammeln. Beim Circus Knie hatte ich bereits 1977 durch mein Gastspiel Erfahrungen in der Manege gesammelt. So brachte ich mich bei Roncalli auch mit meiner Regiearbeit ins Premierenprogramm ein. Am 4. Juni 1980 hob sich der Vorhang, und wir feierten eine fulminante Premiere.

Sie sind ein Tausendsassa, der seinesgleichen sucht. Wie schafften Sie es seinerzeit, alles unter einen Hut zu bekommen?

Im Augenblick arbeite ich an meiner Autobiografie. Da gibt es Momente, in denen ich mir genau diese Frage stelle. Die Möglichkeiten, die mir heute noch geboten werden, sind vielfältig. Auch wenn ich aus Zeitgründen das eine oder andere absagen muss, versuche ich, die Anfragen damals wie heute bestmöglich zu meistern.

Um Abstand zu gewinnen, gingen Sie 1993 nach Amerika.

Nach dem Programm «Feuerabend» aus dem Jahr 1980 lief ich Gefahr, mich mit meinen Sketchen zu wiederholen. Also kündigte ich «Feuerabend» als mein letztes Programm an. Die Presse liess das kalt, was mich erstaunte. Nachdem ich aufgehört hatte zu spielen, wurde ich mit so vielen Anfragen und Aufgaben überschüttet, dass ich mich für eine Weile zurückziehen musste. Ich plante, für ein Jahr nach New York zu gehen. Geblieben bin ich deren fünf. Ich schlenderte von einem Theater zum nächsten, liess mich inspirieren, genoss die Kultur und genoss es, mich als «Mister Nobody» bewegen zu können. Wenn mir Niccel nicht über den Weg gelaufen wäre, wäre ich womöglich heute noch dort.

Nachdem ich in New York angekommen war, wurde ich erneut mit Anfragen überflutet. Plötzlich wollte jeder wissen, wie und wo ich dort lebe und was ich arbeite. Journalisten und Fernsehsender rannten mir die Tür ein. Auch während meiner Zeit in Amerika war ich also wieder hoch im Kurs. Schlussendlich arbeitete ich so viel für Europa, dass es Sinn machte, in die Schweiz zurückzukehren – mit Niccel an meiner Seite.

Sie sind ein ausgezeichneter Künstler. Was bedeuten Ihnen all die Preise?

Besonders die Auszeichnungen in Zusammenhang mit meiner Heimatstadt Luzern sind ein Beweis dafür, dass die Menschen realisiert haben, was ich aus kultureller Sicht für diese Stadt geleistet und aufgebaut habe.

Verraten Sie mir die Kraft, die im Kopf für Frische sorgt?

«Die Liebe meiner Frau und die Wertschätzung meines Publikums halten mich jung. Ein Tag kann noch so kräftezehrend sein: sobald ich auf der Bühne stehe und mir die positive Energie des Publikums entgegenströmt, sind meine Akkus vollständig geladen.»
Emil Steinberger

Dazu kommt, dass ich Zeit meines Lebens nie etwas geplant habe. Ich sage mir also nicht: In einem Jahr möchte ich dies oder jenes erreicht haben; dafür hält uns das Leben zu viele Überraschungen parat. Zum anderen lebe ich nach dem Motto: neugierig sein. Wer fit und gesund bleiben möchte, muss neugierig bleiben, aktiv sein, sich interessieren und informieren – egal wie alt er ist.

Wie bereiten Sie sich auf Ihre Auftritte vor?

Bei einem neuen Programm dauert es etwa 20 Vorführungen, bis der Text so geformt ist, dass ich nichts mehr daran ändere. Ich habe keinen Regisseur, probe meine Auftritte nicht. Mir ist es wichtig, authentisch auf der Bühne zu stehen. Ich erinnere mich an die Premiere von «Alles Emil, oder?!». Mir fiel die Schlusspointe zum Matterhorn-Sketch nicht mehr ein. Da sagte ich mit einem Lächeln im Gesicht: «Mir kommt die Schlusspointe nicht in den Sinn.» Grosses Gelächter und starker Applaus. Ich sah, dass mir die Fans verziehen haben und es sogar menschlich fanden. Bei einer Vorführung im Gefängnis habe ich in den 80er-Jahren den Sketch «Die Polizei­hauptwache» gespielt. Vor mir sassen etwa 400 Gefängnisinsassen. Man konnte den Raum nicht verdunkeln, sodass ich alle Gesichter der Insassen sah, was mich stark ablenkte. Plötzlich verlor ich den Faden und wusste nicht mehr weiter im Text. Und wie aus dem Nichts rief mir ein Insasse meinen Text zu. Darauf mussten wir alle so lachen, dass ich erst mal nicht weiterspielen konnte.

Ab Ende September steht Emil wieder mit «Emil schnädered» auf der Bühne. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich freue mich auf die Tournee im Herbst und hoffe, dass meine Autobiografie bald erscheinen kann. Und was die Zukunft angeht: Ich plane nichts, ich lass mich überraschen.