Gene sind Abschnitte auf unserer Erbanlage und Baupläne für unsere Proteine. Die Proteine wiederum sind Grundbausteine unserer Zellen und bestimmen unsere Körperstruktur. Diese Bausteine mit den Grundinformationen vererben uns unsere Eltern: Dazu gehören nicht nur äussere Merkmale wie die Augen- oder Haarfarbe, sondern auch Stoffe wie die Hormone, ohne die wir nicht leben könnten; und leider auch Krankheiten.

Unter Erbkrankheiten versteht man alle krankmachenden Abweichungen im Erbgut. Feststellen lassen sich Erbkrankheiten durch genetische Diagnostik von Blut- oder Speichelproben. Bei Chorea Huntington zum Beispiel lässt sich die genetische Veränderung genau diagnostizieren. Auf dem Chromosom vier ist eine Sequenz, die sich mehrfach wiederholt. Das heisst, dieser Baustein hat zusätzliche Kopien und deshalb wird ein krankmachendes Protein gebildet. Dieses zerstört gesunde Nervenzellen.

Geschichte des Begriffs «Erbkrankheit»

Besonders die Bluterkrankheit, die medizinisch Hämophilie genannt wird, hat frü die Aufmerksamkeit der Ärzte geweckt. Ausschlaggebend war die Häufung der Krankheit am englischen Hof. Damals gab es noch keine Behandlungsmöglichkeiten, und die betroffenen männlichen Nachfolger des Königshauses starben bereits im frühen Erwachsenenalter. Man nannte die Krankheit deshalb auch königliche Krankheit, und die Forscher waren natürlich sehr interessiert daran, dem Phänomen auf die Spur zu kommen. Im Jahre 1823 nannte ein angehender Arzt in seiner Dissertation die Krankheit erstmals Hämophilie.

Der Begriff «Erbkrankheit» wird erst seit dem zwanzigsten Jahrhundert verwendet; und das ist aus heutiger Sicht auch noch falsch.  Anfänglich ging man nämlich davon aus, dass kriminelle Neigungen oder asoziales Verhalten erblich bedingt seien. Aus diesem Grund sterilisierte man Menschen ohne deren Einwilligung, damit sich diese gesellschaftlich unerwünschten Neigungen in der Bevölkerung nicht weiter vermehren. Ein wahrlich dunkles Kapitel der Medizingeschichte.

Heute werden nur noch Krankheiten, die auf einen vererbten Gendefekt beruhen, als Erbkrankheiten bezeichnet. Der Grund sind eine oder mehrere Mutationen, also Veränderungen von Genen, die entweder ein oder beide Elternteile in sich tragen.
Bei der Bluterkrankheit liegt das kranke Gen auf dem X-Chromosom. Wenn Töchter noch ein gesundes X-Chromosom erben, werden sie nicht krank. Söhne jedoch, die nebst dem Y-Chromosom des Vaters ein krankes X-Chromosom der Mutter vererbt bekommen, erkranken an der Bluterkrankheit.

Damals am englischen Königshaus kannte man diese Zusammenhänge noch nicht, und es stand keine Behandlung zur Verfügung. Deshalb starben die Knaben meist früh und hatten selbst keine Kinder. Die Hämophilie ist bis heute eine schwere Krankheit, aber da man den Gerinnungsfaktor künstlich zusetzen kann, lässt es sich damit leben.

Seltene Erbkrankheiten

Heute sind über zehntausend unterschiedliche Erbkrankheiten bekannt. Viele davon sind äusserst selten. Bei über zweitausend Krankheiten sind die Gene und ihre Veränderungen genau untersucht und beschrieben worden. Zu den häufigen Erbkrankheiten gehören Lippen-Kiefer-Gaumenspaltung und Zystennieren. Sehr viel seltener sind Albinismus oder Chorea Huntington.

«Bei seltenen Erkrankungen wird weniger geforscht, und es stehen in der Regel weniger Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Das ist logisch, denn Forschungsarbeit und die Entwicklung von Medikamenten sind kosten- und zeitintensiv.»
Judith Dominguez

Firmen, die sich darum kümmern, machen ihre Rechenaufgaben. Sie wollen nach der Investition damit Geld verdienen und benötigen einen ausreichend grossen Markt. Gerade dieser steht bei seltenen Krankheiten jedoch nur sehr begrenzt zur Verfügung.

Menschen mit seltenen Erbkrankheiten haben es deshalb schwer. Für einige Krankheiten gibt es private Vereinigungen, die Spenden für Forschungsgelder sammeln, um den Betroffenen Behandlungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Auserwählte Beispiele:

Rett-Syndrom

Das Rett-Syndrom ist selten und tritt fast nur bei Mädchen auf. Der Defekt liegt auf dem X-Chromosom, von dem Knaben nur eines von der Mutter vererbt bekommen. Ist dieses krank, sterben die Knaben. Da die Mädchen immer auch noch ein zweites X-Chromosom vom Vater erben und dieses in der Regel gesund ist, überleben die Töchter, wenn auch mit schwerer Krankheit. Diese Erbkrankheit ist nach dem Wiener Arzt Doktor Andreas Rett benannt, der sie 1966 erstmals beschrieben hat. Die genetische Veränderung stört die Entwicklung des Gehirns; mit fatalen Folgen. Die Mädchen sind im ersten Lebensjahr meist unauffällig und lernen schnell und gut. Sie verlernen danach aber vieles wieder – wie die Sprache und motorische Fähigkeiten –, sodass sie geistig und körperlich beeinträchtigt sind.

Chorea Huntington

Beim Veitstanz, wie man früher die Erbkrankheit Chorea Huntington nannte, treten die ersten Symptome meist erst im Alter von 30 Jahren oder später auf. Die Betroffenen verlieren die Kontrolle über ihre Bewegungsabläufe und leiden unter unwillkürlichen Zuckungen. Das sieht dann ein bisschen so aus, als ob sie tanzen würden. Im späteren Verlauf verlieren sie die Kontrolle über die Zungen- und Gaumenbewegungen, was zu Schluckbeschwerden und Sprachschwierigkeiten führt. Allerdings werden nicht nur Nervenzellen, die für die Bewegung zuständig sind, zerstört; sondern auch solche mit kognitiven und psychischen Funktionen. Es entwickeln sich Symptome wie unkontrollierte Wutausbrüche, Enthemmung oder Depressionen. Die Betroffenen verlieren ihre Interessen, haben Konzentrationsschwierigkeiten und werden vergesslich. Eine schwere Erbkrankheit, die bis heute nicht geheilt werden kann.

Spinale Muskelatrhophie

Die spinale Muskelatrophie wird je nach Ausprägung bereits kurz nach der Geburt diagnostiziert. Sie ist deshalb eine seltene Erbkrankheit, weil beide Eltern Träger des krankmachenden Genes sein müssen. Die betroffenen Menschen leiden unter Muskelschwäche, die besonders gravierend ist, wenn sie die Lungenbewegungen beeinträchtigt.

Bescheidene Behandlungsmöglichkeiten

Viele Erbkrankheiten sind bis heute nicht behandel- oder gar heilbar. Mädchen mit dem Rett-Syndrom werden noch immer symptomatisch behandelt. Das heisst, man versucht, mit Hilfe von Physiotherapie die motorische Behinderung zu lindern oder doch mindestens den Ist-Zustand zu erhalten. Man versucht ihnen – als Ersatz für die verlorenen sprachlichen Fähigkeiten – mit eingeübter Mimik und Gestik dazu zu verhelfen, sich auszudrücken. Das sind bescheidene Behandlungsziele.

Forscher*innen auf diesem Gebiet sind in Europa, auch in der Schweiz und in Amerika daran, eine Gentherapie zu entwickeln. Hierbei wird versucht, mit sogenannten Vektoren ein gesundes Gen in die Zellen zu bringen und in das Genom der betroffenen Mädchen einzuschleusen. Vektoren sind Viren, weshalb die Forscher*innen zuerst dem Virus sein eigenes Genom entfernen und das Gesunde einpflanzen müssen, damit der/die Patient*in durch das Virus nicht geschädigt wird. Ein aufwendiges Verfahren, dass heute noch immer als sehr innovativer Behandlungsansatz gilt. Die Forschungen stecken allerdings noch in den Kinderschuhen und es wird noch einige Zeit benötigt, um wirksame Methoden auf den Markt zu bringen.

Für die spinale Muskelatrophie steht in Amerika bereits eine solche Therapie zur Verfügung, die in der Schweiz allerdings noch nicht zugelassen ist. Im Hinblick auf das Leid, das nicht behandelbare Erbkrankheiten bei den Betroffenen und ihren Familien verursachen, ein Hoffnungsschimmer.