Gelber Enzian
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Viel Sonne und kalkreicher Boden auf einer Bergwiese mittlerer Höhe – so sieht der Lieblingsplatz des Gelben Enzians aus. Seine Namen lassen Heilpflanzeninteressierte aufhorchen: Bitterwurz, Bergfieberwurz, Darmwurz.

Vorkommen und Botanik

Mit einer Höhe von einem Meter und mehr, den grossen Blättern und den leuchtendgelben Blüten ist er nicht zu übersehen: Der Gelbe Enzian ist eine imposante Erscheinung auf Bergwiesen in Zentral- und Südeuropa.

Er wächst langsam, die ersten Jahre verbringt er als bodennahe Rosette, bis er im Alter von sieben bis zehn Jahren in die Höhe wächst und zu blühen beginnt. Die Blüten sind – anders als bei seinen blauen Vettern – tief geschlitzt und wirken dadurch etwas zerzaust. Seine Wurzeln dringen tief ins steinige Erdreich, sie können armdick und mehrere Kilogramm schwer werden. Der Gelbe Enzian (Gentiana lutea) erreicht für eine Staude ein erstaunlich hohes Alter von bis zu 60 Jahren.

Giftiger Doppelgänger

Im Weissen Germer besitzt er einen giftigen Doppelgänger; die beiden Pflanzen lassen sich aber auf einfache Weise unterscheiden: Sitzen am Stengel jeweils zwei Blätter einander gegenüber (gegenständig nennt dies der Botaniker), handelt es sich um einen Enzian. Die Blätter bilden dabei kleine Zisternen, in denen sich Regen sammelt. Beim Germer hingegen wachsen die Blätter schraubenförmig versetzt am Stengel (wechselständig). Auch farblich sind sie für den aufmerksamen Betrachter unterschiedlich: Die Blätter des Enzians sind bläulich, die des Germers gelblichgrün.

Der Bestand des Gelben Enzians ist rückläufig, doch gilt er bei uns nicht als gefährdet. In einigen Kantonen steht er jedoch unter Schutz. In etlichen Ländern wurde er aber durch Übernutzung so stark dezimiert, dass er vom Aussterben bedroht ist.

Seit 2000 Jahren bewährt

Der Sage nach soll Götterbote Hermes persönlich den illyrischen König Genthios auf die heilkräftige Pflanze aufmerksam gemacht und sie als Mittel gegen die Pest empfohlen haben. Die wissenschaftliche Bezeichnung Gentiana geht auf den Namen dieses Königs zurück. Seit über 2000 Jahren wird der Enzian als Heilpflanze genutzt, als Mittel gegen Bisse von Gifttieren, aber auch bei Magen- und Leberleiden, Milzstechen und als Gichtmittel.

Im Mittelalter galt er zudem als gutes Entgiftungs- und Ausleitungs­mittel, er half bei Malaria, kräftigte den schwachen Magen, regte den Appetit und die Verdauung an und diente als Stärkungs­mittel. Er war überdies ein unverzichtbarer Bestandteil der beliebten Lebenselixiere.

Bitteres Universalheilmittel

In der Volksmedizin genoss vor allem die Zubereitung als «Jenzener», als Enzianschnaps hohes Ansehen, er war das Universalheilmittel schlechthin. Neben Verdauungsproblemen, Fieber, Abgeschlagenheit und Gicht sollte der «Jenzener» gar übermässigen Biergenuss kurieren – wobei hier vermutlich der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wurde.

An Wirkstoffen findet man Bitterstoffe (Gentiopikrosid, Amarogentin), Zucker, Xanthone, wenig ätherisches Öl.

Enzian gilt als reine Bitterstoffdroge ohne magenreizende Gerbstoffe. Er besitzt einen Bitterwert von 20 000, das bedeutet, dass er selbst in einer 20 000-fachen Verdünnung noch als bitter wahrnehmbar ist. Damit ist er die bitterste einheimische Pflanze und übertrifft sogar Wermut und Tausendgüldenkraut.

Wie wirken die Bitterstoffe im Organismus?

Die verdauungsanregende Wirkung läuft über die Geschmacksnerven, die Bitterstoffe müssen als solche wahrgenommen werden. Sobald sie unsere Zunge berühren, werden der Vagusnerv stimuliert und die Speichelund Magensaftsekretion angeregt. Bitterstoffe balancieren die beiden Gegenspieler des vegetativen Nervensystems, Sympathikus und Parasympathikus, aus; erschöpften Patienten gibt der Enzian Energie, übererregte Menschen können sich hingegen durch Enzian entspannen.

Für Verdauung, Darmflora und Organismus

In der Gemmotherapie werden die frischen Frühlingstriebe des Gelben Enzians verwendet. In der daraus gewonnenen Essenz ist das Bittere eingebettet in eine angenehm aromatische Süsse. Die Essenz steigert die Produktion von Verdauungssäften, verbessert das Zusammenspiel der Verdauungsorgane, regt die Peristaltik von Magen und Dünndarm an.

«Die Darmschleimhäute werden intensiver durchblutet, was die Nährstoffabsorption verbessert und den gesamten Organismus kräftigt. Enzian reguliert die Darmflora und hemmt unerwünschte Darmbewohner.»
Ursula Glauser-Spahni

Die Essenz hilft bei Verdauungsschwäche — auch nach einer Infektion—, erhöht den Appetit in der Rekonvaleszenz, baut Völlegefühl und Blähungen ab. Enzian verhilft unserem durch Stress und hastiges Essen überforderten Verdauungssystem wieder zu einem harmonischen Zusammenspiel und weist gleichzeitig eine entstressende Wirkung auf.

Nicht zuletzt ist er fiebersenkend, entzündungshemmend und tonisiert das Immunsystem. Bei hormonell bedingten Kopfschmerzen ist er ebenfalls einen Versuch wert. Enzian verleiht dem gesamten Organismus neue Energie bei anhaltender Müdigkeit, körperlichen oder seelischen Schwächezuständen und nach langwierigen Krankheiten.