30. Juni 2022

Glück und Pech

Glück und Pech
Lesezeit ca. 8 min

Es gibt Menschen, die oft Glück haben; andere weniger. Ist das Zufall oder Schicksal?

Glückskinder und Pechvögel

Warum habe ich jetzt Glück gehabt? Warum werde ich ständig vom Pech verfolgt? Diese Fragen stellen sich die Menschen wohl schon seit Ewigkeiten; und in der Regel vor allem dann, wenn uns das Glück fernbleibt. Warum muss mir das passieren? Warum habe gerade ich so ein Pech, während andere so viel Glück erfahren dürfen? Von «Glückskindern» und von «Pechvögeln» ist in diesem Zusammenhang jeweils die Rede. Und dann stellt sich in der Folge auch die Frage nach Zufall oder Schicksal.

Das allerdings dürfte letztlich eine Frage des Glaubens sein. Wer der Ansicht ist, dass das Leben nach dem Prinzip «Zufall» funktioniert, der wird das Leben auch entsprechend wahrnehmen, erleben – und wohl täglich in Situationen geraten oder Feststellungen machen, welche diese These bestätigen. Und diejenigen, welche überzeugt sind, dass es keine Zufälle im Leben gibt, dass Glück und Pech ein Produkt des eigenen Verhaltens und der eigenen Gedanken sind, werden gleichermassen immer wieder feststellen, dass ihre Ansichten richtig sind.

Zufallsprinzip

Nehmen wir einmal an, die Welt funktioniere nach dem Prinzip Zufall. Per Zufall also wäre die Welt entstanden, per Zufall lesen Sie jetzt diesen Artikel, per Zufall gewinnt Frau Müller eine Million im Lotto, per Zufall haben Sie Ihren Traumpartner gefunden. Zufälligerweise ist Herr Huber glücklich und Frau Strebel unglücklich und ganz per Zufall werden Sie morgen vielleicht von einer Wespe gestochen.

Es gibt bekanntlich viele Menschen, die an Gott glauben – und gleichzeitig auch an Zufall. Das würde jedoch bedeuten, dass der liebe Gott den Menschen per Zufall dieses oder jenes schickt. Frau Müller schickt er eine Million. Einfach so. Scheinbar ohne Grund. Die einen haben einfach Glück, und die anderen haben eben Pech. Grundlos. Und wenn es nicht der liebe Gott ist, stellt sich doch die Frage, wer denn das Glück und das Pech verteilt.

Jede*r hat das Recht, das zu glauben, was er/sie glauben will; und es geziemt sich auch nicht, jemandem eine andere Meinung aufzudrängen. Doch es fällt schon schwer, an Zufall zu glauben. Das wäre so, als könnte man eine Milliarde Buchstaben und 20 Tonnen Papier in einen Raum werfen, wo dann – per Zufall, wenn wir Glück haben – eine spannende Bibliothek entstünde.

Prinzip Ursache und Wirkung

«Jetzt haben mir doch die Mäuse sämtliche Wurzeln meiner jungen Bäume gefressen, nur gerade drei Wochen, nachdem ich sie gesetzt habe. So eine Gemeinheit.» Dies erklärte ein Bauer in einer Diskussion, als das Thema «Glück und Pech» zur Diskussion stand. Der arg gebeutelte Bauer sah die Natur als Täterin und sich selbst als Opfer. «Und wie gehst Du denn mit der Natur um?», fragte eine Anwesende. Der Bauer überlegte lange und blickte verlegen in die Runde. «Also … es könnte ja sein … ich meine … äh … eigentlich auch nicht immer ganz so, wie es gut für die Natur ist …» Und so mündete das Thema «Glück und Pech» ins Thema «Ursache und Wirkung».

Diesbezüglich sind sich übrigens viele Philosophen und Denker längst einig: Die Welt funktioniert nicht nach dem Prinzip «Glück oder Pech», sondern eher nach dem Prinzip «Ursache und Wirkung». «Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab», sagte beispielsweise Marc Aurel. Ähnliches ist von den alten Chinesen zu hören: «Wenn ich einen grünen Zweig im Herzen trage, wird sich der Singvogel darauf niederlassen.» Gottfried Keller schliesslich machte auf die Zusammenhänge zwischen Gedanken, Tat und Schicksal aufmerksam:

«Wer heute einen Gedanken sät, erntet morgen die Tat, übermorgen die Gewohnheit, dadurch den Charakter und schliesslich sein Schicksal.»
Gottfried Keller
Schweizer Dichter und Politiker (1819 - 1890)

Dieses Thema kann man aber auch rein physikalisch betrachten. Gedanken sind Energien, und Energien gehen niemals verloren. Gedanken sind eine Aktion (Energie) und führen stets zu einer Reaktion (das ist auch eine Energie). Und so könnte man schlussfolgern: Egal, was wir denken, es kommt immer irgendwie zu uns zurück.

Das mag erklären, weshalb gewisse Menschen immer wieder Pech haben, während anderen fast immer alles gelingt.

«Glück ist folglich nicht Glückssache, sondern eher das Resultat der eigenen Gedanken, der Einstellung und der eigenen Taten. Das glauben wir gerne, wenn es uns gut geht und wenn uns etwas gelingt; doch das Prinzip wird wohl auch dann stimmen, wenn es uns weniger gut geht und uns etwas misslingt. Ist es doch so, dass niemand zufällig ausgeraubt und vielleicht doch niemand zufällig Millionär wird?»
Albin Rohrer

Zufall oder Schicksal?

«Tatsächlich ist es fast unmöglich, die Gesetze des Schicksals zu beweisen», erklärt der deutsche Psychologe Hermann Meyer, «man muss sie beobachten und wahrnehmen, und dazu ist es erforderlich, zunächst einmal offen dafür zu sein.» Es gibt zahlreiche Geschichten, bei denen man sich wirklich fragen kann, ob es sich um eine Anhäufung von Zufällen handelt, oder ob nicht doch etwas Grösseres, Geheimnisvolles dahintersteckt.

Kennedy und Lincoln

Eine fast unglaubliche Geschichte ist der Vergleich der beiden amerikanischen Präsidenten Lincoln und Kennedy: Lincoln wurde 1846 geboren, Kennedy 1946. Lincoln wurde 1860 in den Kongress gewählt, Kennedy 1960. Die Nachfolger beider Präsidenten hiessen Johnson. Lincolns Mörder hatte Jahrgang 1839, Kennedys Mörder Jahrgang 1939; beide waren Südstaatler. Lincoln und Kennedy wurden an einem Freitag erschossen, beide mit einem Schuss in den Hinterkopf – und bei beiden war die Ehefrau dabei. Lincolns Sekretär hiess Kennedy, Kennedys Sekretär hiess Lincoln. Lincolns Mörder beging die Tat in einem Theater und flüchtete in ein Lagerhaus, Kennedys Mörder beging die Tat in einem Lagerhaus und flüchtete in ein Theater. Lincoln und Kennedy setzten sich beide für die Farbigen ein und befassten sich intensiv mit dem Bürgerrecht. Beide wurden kurz vor dem Attentat von ihren Ehefrauen gewarnt. Und schliesslich wurden beide Mörder selbst auch erschossen, bevor sie vor Gericht gestellt werden konnten.

Natürlich kann das alles Zufall sein; doch wir sollten uns davor hüten, etwas als Zufall zu bezeichnen, nur weil wir es uns nicht gänzlich erklären können.

Was brauchen wir zum glücklich sein

Glück und Pech sowie Ursache und Wirkung sind das eine. Das andere – und vielleicht das Wesentliche – ist die Frage, was wir denn eigentlich brauchen, um glücklich sein zu können.

«Im Grunde genommen tun die Menschen nichts anderes, als von morgens bis abends dem Glück nachzujagen. Die einen jagen da, die anderen dort. Die einen möchten Geld, die anderen Ruhm. Fast alle haben wir gemeinsam, dass wir das Glück im Aussen suchen. Doch genau da ist es so unglaublich schwierig zu finden.»
Albin Rohrer

«Man braucht einer Sache nur mit Liebe nachzugehen, dann gesellt sich das Glück dazu», schrieb der deutsche Romantiker Johannes Trojan, und die Beatles sangen einst «All you need is love» (alles, was du brauchst, ist Liebe). Doch welche Liebe? Wahrscheinlich wäre es die Liebe zum Leben. Das würde sich selbst, alle anderen und auch alle Umstände mit einschliessen. Bedingungslos ja sagen zum Leben, aus jeder Situation das Beste machen und das Glück nicht von anderen Menschen oder von äusseren Umständen abhängig machen. Leicht gesagt, schwergetan?

Vielleicht ist es aber auch nur deshalb schwer, weil wir nicht glauben können oder nicht glauben wollen, dass es so ist. Es könnte nämlich sein, dass die Sache mit dem Glück viel einfacher wäre, als es uns manchmal scheint. Vielleicht versäumen wir das kleine Glück ja nur deshalb, weil wir stets vergeblich auf das grosse Glück warten …