13. Mai 2022

Helfer auf vier Pfoten – Engel auf Rädern

Helfer auf vier Pfoten – Engel auf Rädern
Lesezeit ca. 10 min
Fotos zvg.

Der gemeinnützige Verein «Angel Dogs» aus Kloten ermöglicht an Epilepsie erkrankten Kindern, Erwachsenen und deren Angehörigen ein Stück mehr Freiheit. Gründungspräsident Mike Nielsen ist Vater eines 11-jährigen Epilepsiebetroffenen. Zusammen mit Präsident Daniel Bernhard stellte er sich meinen Fragen.

Mike, für was stehen die «Angel Dogs»?

Ich bin Vater eines 11-jährigen Sohnes, der von schwerer Epilepsie betroffen ist. Natürlich mache ich mir tiefgehende Gedanken, wie ich meinem Kind ein Stück mehr Freiheit bieten kann. Dass die Situation für betroffene Familien nervenaufreibend und zeitintensiv ist, versteht sich von selbst.

Als Familie haben wir nach Möglichkeiten gesucht, uns und unserem Kind die Gegebenheiten so erträglich wie nur möglich zu machen. Wir stellten intensive Recherchen an, die sich mühsam gestalteten. Jedoch hat sich die Mühe gelohnt: In Deutschland konnte neben einer geeigneten Züchterin auch eine Institution, die Epilepsie-Begleithunde ausbildet, gefunden werden. Wichtig war uns, dass der Hund nicht nur in die Familie passt, sondern auch den Bedürfnissen des Kindes gerecht wird.

Nachdem alle Voraussetzungen erfüllt und nötige Abklärungen getroffen waren, holten wir den Hund in die Schweiz. Diese Erfahrung nahm ich im Frühling 2015 zum Anlass, gemeinsam mit sieben Freunden den gemeinnützigen Verein «Angel Dogs» zu gründen, um weiteren von Epilepsie betroffenen Menschen zu helfen. In der Zwischenzeit ist die Mitgliederzahl auf über 100 gestiegen. Seit unserer Vereinsgründung konnten wir neun Projekte unterstützen.

Foto von Mike Nielsen mit Sohn und Daniel Bernhard
Gründungspräsident Mike Nielsen mit Sohn und Präsident Daniel Bernhard (v.l.).

Wer unterstützt euch bei eurer Arbeit?

Zum einen arbeiten wir mit dem gemeinnützigen Verein «EpiDogs for Kids» zusammen. Dieser setzt sich für die Beschaffung und Ausbildung von Epilepsie-Begleithunden für Kinder ein. Aber nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene sollen die Möglichkeit auf einen Begleithund haben. Also finanzieren wir die Beschaffung derartiger Hunde auch für Erwachsene, finanzieren medizinische Geräte oder helfen bei nötigen Baumassnahmen.

Wie würdest du jemandem die Krankheit Epilepsie erklären?

Es gibt verschiedene Formen von Epilepsie: Zum einen die, welche sich mit Medikamenten stabilisieren lassen. Die Medikamente ermöglichen Betroffenen ein weitestgehend «normales» Leben. Leider gibt es aber auch Formen, bei denen betroffene Menschen durch ihre Epilepsieanfälle Hirnschädigungen davontragen können und möglicherweise eine Rundumbetreuung benötigen. In den schlimmsten Fällen kann Epilepsie auch zum Tod führen.
Für Menschen, die von Epilepsie betroffen sind, sind ein stabiles Umfeld und geregelte Abläufe von enormer Bedeutung. Jede auch nur kleinste Veränderung dieser Abläufe und Mechanismen kann emotionale Reaktionen ihrerseits auslösen und weitreichende Folgen haben.

Welcher Kriterien bedarf es, damit ihr aktiv werdet?

Bevor ich darauf eingehe, möchte ich darauf hinweisen, dass es schwierig ist, geeignete Projekte zu finden. Unsere Kriterien, nach denen wir Familien und Einzelpersonen unterstützen, sind sehr streng. Im Erstkontakt schildert uns die Person, die unsere Unterstützung sucht, ihre gegenwärtige Situation. Nachdem sich die Findungskommission ausführlich mit dem Fall beschäftigt hat, machen wir uns ein eigenes Bild über die Lebensumstände und besuchen bei Bedarf die betroffene Person vor Ort. Im Falle von Epilepsie-Begleithunden ist es notwendig, dass das Tier vom/von der zukünftigen Besitzer*in artgerecht gehalten werden kann. Nachdem alle nötigen Abklärungen getroffen und die Empfehlung abgegeben sind, wird entschieden, ob und in welcher Form wir Hilfe leisten können.

Wie finden Betroffene und Hund zusammen?

Nicht der Mensch sucht sich seinen Hund aus, sondern der Hund findet seinen Menschen. Bei meinem Sohn hat es drei Anläufe gebraucht, bis wir unseren Hund gefunden haben. Wir haben uns für einen Welpen entschieden. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass sich ältere Hunde ebenfalls als Epilepsie-Begleithunde eignen. Während der ersten drei Monate bleibt der Welpe beim Muttertier und der/die Epilepsiebetroffene hat die Möglichkeit, den Hund zu besuchen. Nach dieser Zeit beginnt die Ausbildung des Hundes zum Begleithund. Diese kann sich über zwei bis drei Jahre erstrecken. Dabei lernt der Hund, auf mögliche Anzeichen eines Anfalls zu reagieren.

Wie muss man sich das vorstellen?

Die Reaktionen sowohl des Hundes als auch von Kindern und Erwachsenen sind individuell.

«Hunde verfügen über sehr ausgeprägte Instinkte, wie beispielsweise den Geruchssinn, sodass sie blitzschnell auf kleinste Veränderungen reagieren können. In unserem persönlichen Fall ist es so, dass der Hund die Nähe zu meinem Sohn sucht, ihn umkreist, abschleckt oder gar beginnt an der Kleidung zu zerren, wenn er merkt, dass sich der Kleine zu überhitzen beginnt. Diese Verhaltensweisen des Hundes können ein Signal für Begleitpersonen und Eltern sein, gegebenenfalls vorbeugend einzugreifen.»
Mike Nielsen
Gründungspräsident Verein «Angel Dogs», Kloten

Bei erwachsenen Personen können solche Reaktionen als Aufforderung verstanden werden, sich zu beruhigen oder sich gegebenenfalls sicher auf einen Anfall vorzubereiten.

Bei all der wichtigen Arbeit, die der Hund leistet, darf nicht vergessen werden, dass es sich um ein Tier handelt, das vollumfänglich in das Familienleben integriert ist. Das heisst auch, dass der Hund seine Freiheiten und Pausen vom Alltag braucht, um sein Hundeleben führen zu können. Deshalb betone ich hier ausdrücklich, dass nicht jede Familie für die Hundehaltung geeignet ist. Denn diese bringt neben Arbeit auch Verantwortung mit sich, der man in erster Line gerecht werden muss.

Verein «Angel Dogs»

Welche Hunde eignen sich zum Epilepsie-Begleithund?

Hier sind reinrassige Labrador Retriever, allenfalls auch Schäferhunde oder Pudel zu nennen. Prinzipiell kann jedoch jede Hunderasse zum Epilepsie-Begleithund ausgebildet werden.

Wie steht es um die Finanzierung eines Begleithundes?

Die Ausbildungskosten eines Epilepsie-Begleithundes belaufen sich auf rund 15 000 Franken. Nicht inbegriffen sind Zubehör, Futter und Tierarztkosten.

Die Krankenkasse greift Betroffenen sicher unter die Arme?

Das wäre schön. Bisher gibt es keine finan- zielle Unterstützung seitens der Krankenkassen oder der Invalidenversicherung. Dank eines politischen Vorstosses des gemeinnützigen Vereins «EpiDogs for Kids» kam in Sachen finanzieller Unterstützung von Betroffenen und deren Familien der Stein nun ins Rollen; eine Entscheidung ist gefallen und es soll geholfen werden. Nur in welcher Form und in welchem Umfang ist noch nicht entschieden. Aber wir sind zuversichtlich. Gut Ding will bekanntlich Weile haben.

Welche Projekte konntet ihr bisher unterstützen?

Neben zwei bereits abgeschlossenen Epilepsie-Begleithunden kümmern wir uns derzeit um die Ausbildungsfinanzierung dreier weiterer Vierbeiner. Darüber hinaus konnten wir einer schwer von Epilepsie gezeichneten Person ein mobiles Beatmungsgerät finanzieren. Durch ein spezielles Velo konnten wir einer weiteren Person ein Stück Freiheit ermöglichen.
Wir haben auch anderen gemeinnützigen Vereinen wie Epi-Suisse – die unter anderem begleitete Tagesausflüge und Ferienwochen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene organisieren – finanziell unter die Arme geriffen.
Und ein Crowdfunding-Projekt haben wir unterstützt und so einer 14-Jährigen aus der Schweiz, die unter dem Dravet-Syndrom leidet, die Teilnahme an einer Studie in Amerika ermöglicht. Das Dravet-Syndrom ist eine seltene, schwere neurologische Erkrankung.

Wie finanziert sich der Verein «Angel Dogs»?

Einerseits durch Mitgliederbeiträge. Hier unterscheiden wir zwischen Aktivmitgliedern und Gönner*innen. Sämtliche Spenden, die eingehen, gehen zu 100 Prozent in die Projekte, für die wir uns mit einsetzen, da wir den Verein ehrenamtlich führen. Für ein gewisses Entgelt verrichten wir auch verschiedene Arbeiten, wie zum Beispiel den Aufbau von Zeltwirtschaften.

Zum anderem organisieren wir einmal jährlich unseren «Angel Dogs Day». Dieser öffentliche Anlass findet am ersten Samstag im September statt: Neben unserem Festbetrieb können sich Besucher*innen einen Sitzplatz in einem US-Car «kaufen». In diesem erfolgt dann eine schöne ausgiebige Ausfahrt, die einige unserer Angel Dogs Mitglieder mit ihren Motorrädern begleiten. Im Rahmen des Anlasses leisten wir Aufklärungsarbeit, weisen auf gewisse Problematiken hin und versuchen, Menschen für das Thema Epilepsie zu sensibilisieren. Wir halten Vorträge zum Thema und wollen zukünftig vermehrt auch auf Öffentlichkeitsarbeit setzen.

Um Missverständnisse zu vermeiden, erkläre ich an der Stelle aber gerne noch kurz, warum sich unser Verein «Angel Dogs» nennt: Weil die Epilepsie-Begleithunde wie Schutzengel sind. Wir sind nur die Engel auf Rädern, die Epilepsiebetroffenen «mehr Freiheit» ermöglichen.

Verein «Angel Dogs»

Innerhalb des Vereins gab es im Laufe des letzten Jahres personelle Änderungen.

Neben der zeitintensiven Betreuung und Pflege meines Sohnes nimmt mich auch mein Job immer mehr in Beschlag. Daher habe ich mich im letzten Jahr dazu entschlossen, das Zepter innerhalb des Vereins abzugeben. Mit Daniel Bernhard, der ebenso wie ich zu den Gründungsmitgliedern gehört, habe ich einen würdigen Nachfolger als Präsidenten gefunden. Natürlich bleibe ich dem Verein als Mitglied erhalten. Ich wünsche Dani eine ruhige Hand und viel Erfolg und freue mich über jedes neue Mitglied, das uns dabei unterstützt, epilepsiebetroffenen Menschen ein Stück mehr Freiheit zu ermöglichen.

Was wünscht ihr euch zukünftig in Bezug auf das Thema Epilepsie?

Als betroffener Familienvater wünsche ich mir mehr Aufklärung, Gehör und Verständnis von meinen Mitmenschen: Einerseits für die belastende und nervenaufreibende Betreuung und Pflege von Betroffenen, aber auch im Umgang mit betroffenen Menschen selbst.

Hinschauen statt Wegschauen wäre ein grosser Schritt in die richtige Richtung. Epilepsiebetroffene sind keine Randgruppe, sondern ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Auch die Politik muss zwingend handeln.
Mike Nielsen

Auch wir kämpfen für eine grössere Lobby und wünschen uns mehr Solidarität: Am 26. März ist Purple Day, der Internationale Tag zum Thema Epilepsie – auch für unsere Arbeit zählt jeder Rappen. Insbesondere die Epilepsieforschung muss angekurbelt werden, um nicht zu sagen, sie steckt noch in den Kinderschuhen. Nichts ist unmöglich, wie uns die Pandemie gelehrt hat. Oder anders ausgedrückt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – immer! Was alles möglich ist, wenn wir zusammenstehen, haben die letzten Wochen gezeigt.

Wollen Sie sich mit Betroffenen austauschen oder gar einen solidarischen Beitrag leisten?

Unter angeldogs.ch (die Homepage wird gerade überarbeitet), Facebook oder Instagram haben Sie die Möglichkeit dazu. Jeder Rappen zählt. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!

Mehr zum Thema Epilepsie erfahren Sie auch unter epi-suisse.ch.