Johanniskraut
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Um den längsten Tag herum beginnt das Echte Johanniskraut zu blühen. Seine Heilkräfte sind legendär, seine Vielseitigkeit erstaunlich.

Legenden und Zauberei

Die Sonne erreicht am 21. Juni ihren Höchststand; in nordischen Ländern wird ausgelassen Midsommer gefeiert. Zahlreiche Heilpflanzen enthalten jetzt besonders hohe Wirkstoffgehalte und werden in diesen Tagen gesammelt. Dazu gehört auch das Johanniskraut, das seinen Namen vom Johannistag, dem 24. Juni, trägt und jetzt seine strahlenden, sonnengelben Blüten öffnet. Zerreibt man diese, tritt roter Saft aus, der früher als Blut des Johannes gedeutet wurde. Den Germanen war die Pflanze heilig, sie galt als Sinnbild der Sonne und war dem Lichtgott Baldur geweiht. Einer Pflanze mit «blutenden» Sonnenblüten mussten ja spezielle Kräfte innewohnen. Die Legende erzählt denn auch, dass die winzigen «Löchlein» in den Blättern und Blüten vom Teufel herrührten, der die Pflanze in grenzenloser Wut über ihre Heilkräfte mit einer Nadel tausendfach zerstochen habe.

Die «Löchlein» sind in Wirklichkeit Öldrüsen, die den Wirkstoff Hypericin enthalten. Mit seiner rot-violetten Farbe erinnert er an Aurum potabile, das alchemistische Trinkgold, das in früheren Zeiten als Allheilmittel galt. Paracelsus schrieb dem Johanniskraut ebensolche Fähigkeiten zu und bezeichnete es als Universalmedizin für den ganzen Menschen. Er setzte es aber auch bereits gezielt bei Melancholie und Hysterie ein. Die geheimnisvolle Pflanze wurde natürlich auch für allerlei Abwehrzauber eingesetzt: Im Stall sollte es das Vieh vor Verzauberung schützen, in der Stube am Fenster böse Geister abwehren. Auch Gewitter sollte es auflösen können und das Haus vor Blitzschlag schützen.

Unechte Verwandte

Das Echte Johanniskraut unterscheidet sich von verwandten Arten durch seinen zweikantigen, mit Mark gefüllten Stängel und den «Löchlein» in Blättern und Blüten. Die Blätter sind gegenständig und bilden von oben gesehen, ein Kreuz, was als weiteres Zeichen einer besonders gesegneten Pflanze gewertet wurde.

Sie wächst in ganz Europa an Waldrändern, in Gebüschen, auf Magerwiesen und als Pionierpflanze auf Brachen und in Bahnschotter. An letzteren, etwas zweifelhaften Standorten sollte man sie nicht zu Heilzwecken sammeln, denn sie wurzelt einen halben Meter tief und nimmt dabei auch Schadstoffe auf, die sich im Boden befinden. Man kann jedoch die Blüten pflücken und zum Färben von Wolle und Seide verwenden. Die rote Färbebrühe erzeugt auf Alaunbeize ein leuchtendes Maigrün.

Echtes Johanniskraut (Hypericum perforatum)
«Unsere Grosseltern waren mit den Heilwirkungen des Johanniskrautes noch vertraut. Kaum ein Haushalt, der damals nicht frisch gepflückte Blüten in Öl einlegte.»
Ursula Glauser-Spahni

Vergessene Heilkräfte

Unsere Grosseltern waren mit den Heilwirkungen des Johanniskrautes noch vertraut. Kaum ein Haushalt, der damals nicht frisch gepflückte Blüten in Öl einlegte. Das so entstandene Rotöl ist entzündungs­hemmend, schmerzlindernd und wundheilend. Es wurde vor allem bei Verbrennungen, Sonnenbrand, Muskelschmerzen, Verstauchungen, Rheuma, Ischias und Hexenschuss eingerieben. Innerlich hat es sich zudem bei Entzündungen der Magenschleimhaut bewährt.

Namen und Inhaltsstoffe

Die volkstümlichen Namen der Pflanze sind zahlreich: Tüpfel-Johanniskraut, Blutkraut, Hartheu, Herrgottskraut, Teufelsfluch, Hexenkraut, Löcherkraut. An Inhaltsstoffen findet man die Hauptwirkstoffe Hypericin und Hyperforin, Gerbstoffe, Flavonoide, Phytosterin, Anthocyanidine, Phloroglucinole, Aminosäuren, ätherische Öle. Wie dies bei vielen Heilpflanzen der Fall ist, zeigt der Gesamtextrakt eine bessere Wirksamkeit als die isolierten Einzelsubstanzen.

Unliebsame Nebenwirkungen

Johanniskraut kann bei starker Überdosierung zu Fotosensibilisierung führen. Beobachtet wurde dies an hellhäutigen Weidetieren, die auf von Johanniskraut überwucherten Wiesen grasen mussten. Solch hohe Dosierungen erreicht kein Patient mit Johanniskrautpräparaten. Dennoch sollte man im Zweifelsfall auf Sonnenbäder verzichten.

Johanniskraut schwächt zudem die Wirkung verschiedener Arzneimittel; dazu gehören Antikoagulantien, Immunsuppressiva, HIV-hemmende Medikamente und die Antibabypille. Da lohnt sich ein Nachfragen in der Apotheke, damit man nicht unliebsame Überraschungen erlebt.

Nervenmittel und Stimmungsbringer

In der Gemmotherapie wird ein Mazerat aus den jungen Trieben des Johanniskrauts eingesetzt. Es aktiviert den Stoffwechsel, verbessert die Zellatmung und die Signalübertragung entlang der Nerven.

«Johanniskraut ist ein exzellentes Heilmittel für verletzte Nerven, was ihm zur Bezeichnung "Arnika der Nerven" verholfen hat.»
Ursula Glauser-Spahni

Das Mazerat hilft bei Erschlaffung der Harnorgane und bei nervösen Magen- und Darmbeschwerden. Es lindert Wundschmerzen und kann bei Verletzungen des Zentralnervensystems wie Gehirn- und Rückenmarkserschütterungen eingesetzt werden, aber auch bei Migräne, Wetterfühligkeit, bei Taubheit und Kribbeln in Händen und Füssen und bei Neuralgien.

Johanniskraut hat eine enge Verbindung zum Sonnengeflecht; es hilft bei Reizüberflutung und bringt die Gefühle wieder ins Lot. Vor allem aber ist die Sonnenpflanze Lichtbringerin in die Dunkelheit des Gemüts, ein verlässliches Mittel bei Angstzuständen, nervöser Unruhe, psychovegetativen Störungen und depressiven Verstimmungen.