Dass wir gelegentlich in Konflikte geraten, ist unvermeidlich. Die eigentliche Frage ist aber nicht, ob wir Konflikte haben; sondern vielmehr, wie wir damit umgehen.
Sie möchten in den Ferien ans Meer, Ihr Partner möchte lieber in die Berge. Ihre Nachbarin pflanzt einen Baum, der einen störenden Schatten auf Ihren Sitzplatz wirft. Ihre Arbeitskollegin hat einen eigenen Parkplatz vor dem Geschäft, Sie selbst aber nicht. Sie sind Vereinspräsident und möchten sparen, während Ihre Vereinskollegen eine teure Neuanschaffung planen. Sie wünschen sich noch ein Kind, Ihr*e Partner*in möchte das aber auf keinen Fall …
Ob wir es wollen oder nicht: Überall dort, wo Menschen zusammen sind und etwas miteinander tun müssen oder wollen, entstehen Konflikte. Somit ist die Frage nicht, ob wir Konflikte haben oder nicht. Die Frage ist eigentlich nur, wie wir uns in Konfliktsituationen verhalten und was wir allenfalls daraus lernen wollen. Und um es vorwegzunehmen:
Der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl definiert es folgendermassen: «Ein Konflikt ist eine Unvereinbarkeit im Denken, Fantasieren, Vorstellen, Handeln, Fühlen oder Wollen.»
Das heisst also: Ein Konflikt ist ein Aufeinandertreffen entgegengesetzter Interessen zwischen Menschen oder Gruppen. Das zeigt sich bereits bei Kleinkindern im Sandkasten, bei Schulkindern in der Klasse, bei Jugendlichen in der Clique; es zeigt sich bei Erwachsenen in Partnerschaften, in der Familie, mit den Nachbarn oder am Arbeitsplatz; es zeigt sich bei Vereinen, Institutionen, bei religiösen oder politischen Gruppierungen auf allen Ebenen; und selbst in Altersheimen geraten sich Betagte gelegentlich in die Haare.
Konflikte gibt es immer und überall.
Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, die gemeinsamen Ferien zu planen. Er möchte gerne in die Berge, sie möchte ans Meer. Nach langen Diskussionen geht es plötzlich nicht mehr um die Sache (Ferien), es geht um die Beziehung: «Du nimmst meine Bedürfnisse nicht ernst», sagt sie, «du liebst mich ja gar nicht mehr.» Er antwortet: «Nein, das stimmt nicht, du verstehst mich einfach nicht und du gibst dir auch gar keine Mühe, mich zu verstehen.» Wenn dann vergessen wird, worum es eigentlich geht (also um die Ferien), ist eine Eskalation unausweichlich.
Dabei könnte dieser Konflikt – sofern er konstruktiv ausgetragen wird – das Paar näher zusammenbringen und die Beziehung sogar festigen. Würden beide einander gut zuhören (Warum möchtest du ans Meer? Was gefällt dir dort besonders gut? Was ist dir wichtig in den Ferien?), so könnten sie einander besser kennenlernen. Wir alle haben ja unsere Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse. Und wir alle möchten gerne ernstgenommen und angehört werden. Das gegenseitige Interesse gehört schliesslich zu den Grundpfeilern jeglicher Beziehungen, sei es in einer Partnerschaft, in der Nachbarschaft, in einer Arbeitsgruppe oder in einem Verein.
Grundsätzlich gibt es verschiedene Arten von Konflikten: Bei «Zielkonflikten» haben die Beteiligten verschiedene Ziele (wie beim eingangs erwähnten Beispiel, wo sich ein Paar nicht über die Feriendestination einigen kann).
Bei «Beurteilungs- und Wahrnehmungskonflikten» wird eine Situation unterschiedlich wahrgenommen beziehungsweise bewertet. Das ist oft in der Politik der Fall. Die einen finden, das sei ein grosses Problem, die an deren finden, das sei ja gar kein Problem (Klima, Energie, Militär, AHV etc.).
Sehr häufig sind auch «Verteilungskonflikte»: Dabei geht es um unterschiedliche Interessen bei der Verteilung von Material, Geld, Informationen oder auch Zuwendung. Dabei ist immer von «Ungerechtigkeit» die Rede («er hat das und ich habe das nicht»).
Auch «Rollenkonflikte» sind häufig: Wenn in einer Gruppe unterschiedliche Auffassungen von Rollen vorliegen (Führung, Verantwortung, Kompetenzen), so bleibt es so lange schwierig, bis diese Themen geklärt, die Rollen korrekt verteilt sind – und alle Beteiligten das auch wissen und akzeptieren.
Am allerschlimmsten aber sind die sogenannten «schwelenden Konflikte»: Alle Beteiligten spüren, dass etwas nicht stimmt, aber man spricht nicht darüber und versucht, die Sache auszusitzen. Das passiert übrigens sehr oft, nicht zuletzt auch in Partnerschaften oder in Arbeitsgruppen. Die Folgen solcher Konflikte können verheerend sein: Rückzug, Widerstand, Desinteresse, Gereiztheit, Aggressivität, Intrigen, Gerüchte, Mobbing. Und schwelt ein Konflikt dann allzu lange vor sich hin, kann es passieren, dass die Sache plötzlich explodiert. Es kommt zum grossen Knall!
Wir alle haben eine ganz eigene Persönlichkeitsstruktur und entsprechend unterschiedliche Einstellungen zu Konflikten und Verhaltensweisen in Konflikten. Es gibt Menschen, die wollen sich überall mit allen Mitteln durch setzen, andere hingegen ziehen sich zurück und geben immer sofort nach. Wieder andere sind eher bereit, einen Kompromiss zu suchen und dem Gegenüber ein Stück weit entgegenzukommen. Menschen mit einem starken Bedürfnis nach Harmonie gehen Konflikten gerne aus dem Weg.
Die beste Lösung wäre aber eigentlich immer, die Bereitschaft aufzubringen, sich bei einem Konflikt wirklich mit der Sache auseinander zusetzen, also das Übel bei der Wurzel zu packen. Allerdings ist das nicht immer ganz leicht, es braucht Mut und oft auch viel Kraft und Durchhaltevermögen. Doch erst, wenn ein Konflikt in aller Tiefe gelöst ist, kehrt wirklich Ruhe ein.
Es gibt Menschen, die fast ständig und überall in Konflikte geraten, während bei anderen das Leben bedeutend ruhiger verläuft. Das ist kein Zufall, das hat seine Gründe. Denn: Je aktiver jemand sein Leben selbst gestaltet und je mehr es jemandem gelingt, mit sich selbst, mit dem Leben und mit der Welt zu frieden zu sein, desto weniger besteht die Gefahr, in mühsame Konflikte verwickelt zu werden. Ist jemand mit sich und der Welt einigermassen im Reinen, gibt es deutlich weniger Probleme mit anderen Menschen.
Oft ist es dann auch eine Frage der Toleranz. Sturheit führt fast immer und überall zu Konflikten. Und dazu kommt noch etwas: unsere Erwartungen.
Wir täten also gut daran, hin und wieder unsere eigenen Erwartungen zu überprüfen. Und dies in allen Bereichen: in der Partnerschaft, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft – und nicht zu vergessen, unsere Erwartungen an die Gesellschaft und die Politik. Letztlich ist ja niemand für unser Glück verantwortlich, ausser wir selbst …