20. Januar 2023

«Ich will das nicht so!»

«Ich will das nicht  so!»
Lesezeit ca. 7 min

Dass wir gelegentlich in Konflikte geraten, ist unvermeidlich. Die eigentliche Frage ist aber nicht, ob wir Konflikte haben; sondern vielmehr, wie wir damit umgehen.

Sie möchten in den Ferien ans Meer, Ihr Partner möchte lieber in die Berge. Ihre Nachbarin pflanzt einen Baum, der einen störenden Schat­ten auf Ihren Sitzplatz wirft. Ihre Arbeitskol­legin hat einen eigenen Parkplatz vor dem Geschäft, Sie selbst aber nicht. Sie sind Ver­einspräsident und möchten sparen, während Ihre Vereinskollegen eine teure Neuanschaf­fung planen. Sie wünschen sich noch ein Kind, Ihr*e Partner*in möchte das aber auf keinen Fall …

Ob wir es wollen oder nicht: Überall dort, wo Menschen zusammen sind und etwas mit­einander tun müssen oder wollen, entstehen Konflikte. Somit ist die Frage nicht, ob wir Konflikte haben oder nicht. Die Frage ist eigent­lich nur, wie wir uns in Konfliktsituationen verhalten und was wir allenfalls daraus lernen wollen. Und um es vorwegzunehmen:

«Aus Konflikten können wir immer etwas lernen, sofern wir dazu die Bereitschaft haben.»
Albin Rohrer

Was ist ein Konflikt?

Der österreichische Konfliktforscher Fried­rich Glasl definiert es folgendermassen: «Ein Konflikt ist eine Unvereinbarkeit im Denken, Fantasieren, Vorstellen, Handeln, Fühlen oder Wollen.»

Das heisst also: Ein Konflikt ist ein Aufeinandertreffen entgegengesetzter Inte­ressen zwischen Menschen oder Gruppen. Das zeigt sich bereits bei Kleinkindern im Sandkasten, bei Schulkindern in der Klasse, bei Jugendlichen in der Clique; es zeigt sich bei Erwachsenen in Partnerschaften, in der Familie, mit den Nachbarn oder am Arbeits­platz; es zeigt sich bei Vereinen, Institutionen, bei religiösen oder politischen Gruppierungen auf allen Ebenen; und selbst in Altersheimen geraten sich Betagte gelegentlich in die Haare.

Bei der Sache bleiben

Konflikte gibt es immer und überall.

«Eine Schwierigkeit bei der Austragung von Kon­flikten ist oft die Tatsache, dass wir zwei Ebenen miteinander vermischen: die Sach­- und die Beziehungsebene.»
Albin Rohrer

Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, die gemeinsamen Ferien zu planen. Er möchte gerne in die Berge, sie möchte ans Meer. Nach langen Diskussionen geht es plötzlich nicht mehr um die Sache (Ferien), es geht um die Beziehung: «Du nimmst meine Bedürfnisse nicht ernst», sagt sie, «du liebst mich ja gar nicht mehr.» Er antwortet: «Nein, das stimmt nicht, du verstehst mich einfach nicht und du gibst dir auch gar keine Mühe, mich zu verstehen.» Wenn dann vergessen wird, worum es eigent­lich geht (also um die Ferien), ist eine Eskala­tion unausweichlich.

Dabei könnte dieser Konflikt – sofern er kon­struktiv ausgetragen wird – das Paar näher zusammenbringen und die Beziehung sogar festigen. Würden beide einander gut zuhören (Warum möchtest du ans Meer? Was gefällt dir dort besonders gut? Was ist dir wichtig in den Ferien?), so könnten sie einander bes­ser kennenlernen. Wir alle haben ja unsere Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse. Und wir alle möchten gerne ernstgenommen und angehört werden. Das gegenseitige Interesse gehört schliesslich zu den Grundpfeilern jeglicher Beziehungen, sei es in einer Part­nerschaft, in der Nachbarschaft, in einer Arbeitsgruppe oder in einem Verein.

«Wird ein Konflikt konstruktiv ausgetragen, kann er eine Beziehung festigen, das gegenseitige Verständnis fördern und vielleicht sogar neue Ideen hervorbringen.»
Albin Rohrer

Konfliktarten

Grundsätzlich gibt es verschiedene Arten von Konflikten: Bei «Zielkonflikten» haben die Beteiligten verschiedene Ziele (wie beim ein­gangs erwähnten Beispiel, wo sich ein Paar nicht über die Feriendestination einigen kann).

Bei «Beurteilungs-­ und Wahrnehmungskon­flikten» wird eine Situation unterschiedlich wahrgenommen beziehungsweise bewertet. Das ist oft in der Politik der Fall. Die einen finden, das sei ein grosses Problem, die an­ deren finden, das sei ja gar kein Problem (Klima, Energie, Militär, AHV etc.).

Sehr häufig sind auch «Verteilungskonflikte»: Dabei geht es um unterschiedliche Interessen bei der Verteilung von Material, Geld, Infor­mationen oder auch Zuwendung. Dabei ist immer von «Ungerechtigkeit» die Rede («er hat das und ich habe das nicht»).

Auch «Rollenkonflikte» sind häufig: Wenn in einer Gruppe unterschiedliche Auffassungen von Rollen vorliegen (Führung, Verantwor­tung, Kompetenzen), so bleibt es so lange schwierig, bis diese Themen geklärt, die Rol­len korrekt verteilt sind – und alle Beteiligten das auch wissen und akzeptieren.

Am allerschlimmsten aber sind die sogenannten «schwelenden Konflikte»: Alle Beteiligten spüren, dass etwas nicht stimmt, aber man spricht nicht darüber und versucht, die Sache auszusitzen. Das passiert übrigens sehr oft, nicht zuletzt auch in Partnerschaften oder in Arbeitsgruppen. Die Folgen solcher Konflikte können verheerend sein: Rückzug, Widerstand, Desinteresse, Gereiztheit, Aggressivität, In­trigen, Gerüchte, Mobbing. Und schwelt ein Konflikt dann allzu lange vor sich hin, kann es passieren, dass die Sache plötzlich explodiert. Es kommt zum grossen Knall!

Kompromisse

Wir alle haben eine ganz eigene Persönlich­keitsstruktur und entsprechend unterschiedliche Einstellungen zu Konflikten und Verhaltensweisen in Konflikten. Es gibt Menschen, die wollen sich überall mit allen Mitteln durch­ setzen, andere hingegen ziehen sich zurück und geben immer sofort nach. Wieder andere sind eher bereit, einen Kompromiss zu suchen und dem Gegenüber ein Stück weit entgegen­zukommen. Menschen mit einem starken Bedürfnis nach Harmonie gehen Konflikten gerne aus dem Weg.
Die beste Lösung wäre aber eigentlich immer, die Bereitschaft aufzubringen, sich bei einem Konflikt wirklich mit der Sache auseinander­ zusetzen, also das Übel bei der Wurzel zu packen. Allerdings ist das nicht immer ganz leicht, es braucht Mut und oft auch viel Kraft und Durchhaltevermögen. Doch erst, wenn ein Konflikt in aller Tiefe gelöst ist, kehrt wirklich Ruhe ein.

Toleranz

Es gibt Menschen, die fast ständig und über­all in Konflikte geraten, während bei anderen das Leben bedeutend ruhiger verläuft. Das ist kein Zufall, das hat seine Gründe. Denn: Je aktiver jemand sein Leben selbst gestaltet und je mehr es jemandem gelingt, mit sich selbst, mit dem Leben und mit der Welt zu­ frieden zu sein, desto weniger besteht die Gefahr, in mühsame Konflikte verwickelt zu werden. Ist jemand mit sich und der Welt eini­germassen im Reinen, gibt es deutlich weni­ger Probleme mit anderen Menschen.

Oft ist es dann auch eine Frage der Toleranz. Stur­heit führt fast immer und überall zu Konflik­ten. Und dazu kommt noch etwas: unsere Erwartungen.

«Je höher unsere Erwartungen sind (an uns selbst, an andere, an das Leben grundsätzlich), desto grösser ist die Gefahr, dass diese Erwartungen nicht erfüllt werden und wir in die unterschiedlichsten Konflikte geraten.»
Albin Rohrer

Wir täten also gut daran, hin und wieder unsere eigenen Erwartungen zu über­prüfen. Und dies in allen Bereichen: in der Partnerschaft, am Arbeitsplatz, in der Nach­barschaft – und nicht zu vergessen, unsere Erwartungen an die Gesellschaft und die Politik. Letztlich ist ja niemand für unser Glück verantwortlich, ausser wir selbst …