18. November 2021

Lernen, zu akzeptieren

Lernen, zu akzeptieren
Lesezeit ca. 8 min

Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Diese Sätze gingen Ursula S. durch den Kopf, als ihr befristeter Vertrag in Zusammenhang mit einem IT-Projekt in einer Computerfirma auslief.

Vom Umgang mit Enttäuschungen

Die 38-Jährige konnte nicht verstehen, warum man ihr, die gut gearbeitet hatte und im Team beliebt war, keine neue Stelle oder eine Verlängerung anbot. Sie geriet in eine tiefe Krise, zerstritt sich mit vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen und zog sich immer mehr zurück. Sie weigerte sich zu akzeptieren, dass ihr Vertrag nicht verlängert wurde.

Lernen, zu akzeptieren

So wie Ursula S. geht es vielen Menschen immer mal wieder. Es fällt ihnen schwer, Enttäuschungen, unangenehme Gefühle oder einen Verlust zu akzeptieren. Ob es sich um eine Lebenskrise wie eine Trennung oder Kündigung handelt, um eine schwere Krankheit, ein psychisches Problem oder um alltägliche Enttäuschungen, die naheliegende Reaktion auf Dinge, die uns nicht gefallen oder die uns belasten, ist oft Widerstand oder Jammern, Kampf oder Aktionismus.

Zwei Arten des Kummers

Solange sich ein Schmerz direkt auf die persönliche Realität und die Krise bezieht, in der eine Person steckt, ist der Kummer normal, Fachleute sprechen von «sauberem» Kummer oder Trauer. Das Weinen um einen Verstorbenen, die Wut und Enttäuschung angesichts eines zerplatzten Lebenstraums, all das gehört zum sauberen Kummer. Dieser ist oft stark, aber er hat auch eine wichtige Signalfunktion: Etwas Wertvolles, Kostbares ist verloren gegangen, beschädigt worden oder in Gefahr.

Lernen, zu akzeptieren

Hingegen entsteht der «schmutzige» Kummer immer dann, wenn man versucht, den «sauberen» Kummer zu kontrollieren und zu vermeiden. Wer nach einer Trennung seinen Schmerz in Alkohol ertränkt, nach der Kündigung mit Chefs und Kollegen einen Streit vom Zaun bricht, der ist zwar kurzfristig von den unangenehmen Gefühlen der Angst, Ohnmacht oder Trauer befreit, erzeugt aber durch die Vermeidung für sich selbst grosse Folgeprobleme bis hin zu Alkoholabhängigkeit oder Zerwürfnissen – also viel schmutzigen Kummer. Betroffenen kann es helfen, diese Einteilung respektive die eigenen Gefühle zuzulassen und den sauberen Kummer als etwas zu begrüssen, das weiterhilft oder sogar heilt.

Verschiedene Studien zeigen, dass das Vermeiden von Emotionen tatsächlich dazu führen kann, dass psychische Leiden stärker werden und sich Lebenskrisen vertiefen können. Der Satz «Versuch jetzt einmal nicht an einen rosa Elefanten zu denken», illustriert das gut. Genau das gelingt dann eben nicht mehr. Offenbar ist das Gehirn so konzipiert, dass es Dinge nicht willentlich vergessen kann. Im Gegenteil: Werden Gefühle bei psychischen Symptomen wie Ängsten, Depressionen oder Süchten unterdrückt, kann sich der Leidensdruck erhöhen oder sogar noch verstärken.

Akzeptanz beginnt bei Alltäglichem

Jeder und jede kennt die kleinen Enttäuschungen, mit denen wir es im Alltag zu tun haben. Doch gerade sie sind ein gutes Übungsfeld, um den eigenen Umgang mit Akzeptanz bewusster wahrzunehmen, zu verstehen und gegebenenfalls auch zu ändern.

Wir hadern im Alltag häufig mit Dingen, die wir nicht ändern können, von denen wir aber glauben, dass wir ein Anrecht darauf haben. Verregnete Ferien machen uns ärgerlich. Eine Busfahrerin, die den Fahrplan einhalten muss und die Türe trotz Klopfen nicht mehr öffnet, lässt uns wütend zurück. Sobald man sich darauf einlässt, wird man schnell feststellen, dass man auf unangenehme Situationen oder kleine Enttäuschungen oft mit Abwehr oder Empörung reagiert – und nur selten mit einer akzeptierenden Gelassenheit. Diese Reaktionen sind im ersten Moment verständlich. Dennoch kann es wertvoll sein, sich ab und zu auf solche kurzzeitigen Unbehaglichkeiten zu sensibilisieren. Hier kommt die Akzeptanz ins Spiel.

Offene und annehmende Haltung

Im Leben begegnen wir immer wieder Situationen, Personen oder Problemen, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen und die uns vielleicht auch Leid zufügen. Akzeptanz bedeutet, diese erst einmal als gegeben hinzunehmen. Das hat nichts mit Aufgeben oder mit einer Niederlage zu tun, im Gegenteil:

«Solange wir gegen eine Sache ankämpfen, die wir nicht ändern können, verschwenden wir Zeit und Energie, die wir an anderer Stelle dringend brauchen. Etwas zu akzeptieren, bedeutet dagegen: Wir ersparen uns negative Gefühle wie Verzweiflung, Hilflosigkeit, Angst oder Zorn. Die Energie, die wir dadurch einsparen, können wir einsetzen, um Lösungen zu finden und unsere Lage zu verbessern.»
Elisabeth Bürkler

Akzeptieren lernen heisst auch, das Steuer über das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen. Heutzutage gehen viele Menschen davon aus, dass jedes Problem lösbar ist. In diesem Klima verlernen viele Menschen jedoch eine akzeptierende Haltung.

«Es ist vielfach belegt, dass eine offene und annehmende Haltung nicht nur für den Augenblick entlastet, sondern tatsächlich einen messbaren positiven Einfluss auf den Verlauf von schweren Krisen, Verlusterfahrungen sowie auf psychische und physische Leiden hat.»
Elisabeth Bürkler

Das Zulassen von unangenehmen oder bedrohlichen Gefühlen und Gedanken ist ein wichtiger Schritt für den Akzeptanzprozess. Doch viele Menschen haben den Anspruch, permanent «gut drauf» sein zu müssen. Beim Versuch, diesen Anspruch zu verwirklichen, drängen sie alles weg, was sie bedrücken oder ängstigen könnte.

Lernen, zu akzeptieren

Akzeptanz in der Beziehung

Ein Bereich, in dem Akzeptanz oft schwerfällt, sind Liebesbeziehungen. Der amerikanische Psychologe und Autor Russ Harris geht davon aus, dass es sich gerade in Partnerschaften besonders lohnt, eine akzeptierende Haltung zu kultivieren: «Wenn Sie lernen, die Unterschiede zwischen Ihnen und Ihrem Partner wirklich zu akzeptieren, werden Sie merken, dass Ihre Frustration, Ihr Groll und Ihre Wut sich aufzulösen beginnen, sodass Sie die vielen Freuden geniessen können, die eine Beziehung Ihnen bietet.» Denn eines der zermürbendsten Themen in langen Partnerschaften sei der ewige Streit um die gleichen Kleinigkeiten und die Rechthaberei, die sich schnell einschleicht.

«Dass wir gerade bei unserem Liebespartner so intolerant gegenüber Macken oder Andersartigkeiten sind, hat laut Harris seinen Ursprung in unseren falschen Vorstellungen von Beziehungen. Liebe ist kompliziert, tut manchmal weh, und ein perfektes Gegenüber gibt es schlicht nicht.»
Elisabeth Bürkler

Weil wir diese Tatsachen über Liebesbeziehungen aber oft nicht wahrhaben wollen, versuchen wir unser Gegenüber zu ändern und zu kontrollieren, sobald uns etwas an ihm nicht passt. Dabei wird übersehen, dass viele Paarkonflikte, beispielsweise über Unordnung, Verspätungen, Schweigen, letztlich auf tiefverwurzelte Charaktereigenschaften zurückgehen und kaum änderbar sind.

Ein praktischer erster Schritt ist laut Russ Harris, typische wiederkehrende und unfruchtbare Streitthemen einfach nicht mehr aufkommen zu lassen. Zunächst geht es darum, in einem Gespräch mit dem Partner/ der Partnerin klar zu machen, welche typischen Dauerkonflikte es gibt.

Als Nächstes versehen die Konfliktparteien immer wiederkehrende nervende Punkte mit einem möglichst plastischen Etikett wie «Zeitfresser» oder «das Verarmungsmonster». Wenn die «Streithähne» das nächste Mal verbal auf diesen sinnlosen Konflikt zusteuern, wird dieses Wort innerlich aufgerufen. Der Betroffene kann es sogar laut aussprechen!

Beide Geschlechter müssen lernen, damit umzugehen, nicht alles haben zu können, zu scheitern, im Leben immer mal wieder zu leiden, alt zu werden und irgendwann zu sterben. Wem es an Akzeptanz in diesem Bereich fehlt, dem kann eine tiefere Auseinandersetzung mit der Akzeptanz und ihren Gesetzen helfen.

Unsere Eltern, unsere Kinder, unsere Partner(innen) oder enge Freunde sind oft Quelle unserer Freude, aber auch für Schmerz und Enttäuschung.

Buchtipp

Einige gute Ansätze, mehr Akzeptanz in wichtigen Beziehungen und Partnerschaften hinzubekommen, vermittelt das folgende Buch:

Russ Harris, «ACT der Liebe»: Mit Hilfe der Akzeptanz- und Commitment-Therapie unnötige Kämpfe beenden, Differenzen klären und die Beziehung stärken. (Arbor Verlag, Freiburg 2015).