… da fängt das Leben an, mit 66 Jahren, da hat man Spass daran, mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss, mit 66 – ist noch lange nicht Schluss!
Kennen Sie dieses Lied von Udo Jürgens? Es war das Jahr 1977, als er mit diesem Lied erstmals an die Öffentlichkeit gelangte. Damals war ich gerade 23 und entsprechend hatte ich das Gefühl, dass dieses Lied mit mir rein gar nichts zu tun hätte. 66 Jahre, das dauert doch noch eine Ewigkeit … Mittlerweile bin ich zur Erkenntnis gelangt, dass auch Ewigkeiten offensichtlich ziemlich schnell vorübergehen können, kürzlich war es nämlich soweit. Jetzt also bin ich doch tatsächlich auch schon 66, viel früher, als ich es erwartet hatte. Diese Tatsache verschafft mir nun einen legitimen Grund, den Text dieses Liedes etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und dabei einen Bezug zu meinen 66 Jahren herzustellen.
Stress! Ein geflügeltes Wort, überall wird davon gesprochen und ebenso davor gewarnt. War denn mein Berufsleben auch voller Stress? Nein, denke ich. Viel gearbeitet habe ich zwar schon und oft war es auch ziemlich mühsam und manchmal auch sehr anstrengend, aber voller Stress war mein Berufsleben ganz sicher nicht. Weshalb wohl? In meinem über 40 Jahre dauernden Berufsleben hatte ich das Glück, immer Tätigkeiten verrichten zu können, die ich grundsätzlich sehr gerne tat. So war die Arbeit für mich (mit ein paar wenigen Ausnahmen) kein «Muss», sondern vielmehr ein «Will». Und das, glaube ich, war ein entscheidender Grund dafür, dass mich die Arbeit grundsätzlich nicht stresste.
Dazu kommt noch etwas: Viele jüngere Menschen glauben, dass dereinst bei der Pensionierung alle Probleme gelöst sein werden. Doch auch das stimmt nicht ganz. Jetzt, wo ich eigentlich pensioniert bin (trotzdem aber noch in einem kleinen Ausmass dies und jenes arbeite), stehe ich trotzdem tagtäglich vor gewissen Herausforderungen. Früher war es klar: Ich hatte meine Arbeitszeiten, meine Aufgaben, die Tage waren strukturiert, viele Termine waren vorgegeben.
An den meisten Tagen könnte ich ja bis am Mittag im Bett bleiben, dann ein wenig Kaffee trinken, ein wenig Zeitung lesen und einen Spaziergang machen. Doch täte ich nur das, hätte ich wahrscheinlich jeden Abend ein Problem, wenn ich auf einen vertrödelten Tag zurückblickte. Also will ich doch meine Tage mit Leben füllen, ich will etwas Sinnvolles verrichten und ich will abends mit einem guten Gefühl ins Bett gehen. Übrigens:
Ich bin fest davon überzeugt, dass das stimmt. Je älter ich werde, desto überzeugter bin ich davon. Also das heisst für mich: Steh auf am Morgen und tue etwas Sinnvolles, oder wie das berühmte Wort aus der römischen Zeit besagt: «Carpe diem» (nutze den Tag). Was Udo Jürgens mit «dann lang ich nämlich hin» genau meint, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich jedenfalls tue dies und jenes und bin ganz zufrieden dabei.
Tja, einen Fön brauche ich schon lange nicht mehr, ich würde mir damit höchstens Brandwunden an der Kopfhaut zuziehen. Den Bauch allerdings möchte ich manchmal schon auch ein wenig einziehen, der ist doch tatsächlich im Verlaufe der zweiten Lebenshälfte etwas gewachsen. Doch den ganzen Tag den Bauch einziehen …? Nein, das wäre mir dann doch zu anstrengend. Wie ich zunehmend bemerkt habe, heisst älter werden vor allem auch loslassen.
Vieles verändert sich und meine momentane Fitness lässt sich nicht mehr vergleichen mit derjenigen, die ich mit 25 oder mit 30 noch hatte. Da ein Zipperlein, dort ein Zipperlein, beim Wandern spüre ich das Knie, beim Treppensteigen die Hüfte und auch die Zähne sind offensichtlich nicht für ein 100-jähriges Leben gebaut. Wird man älter, so muss man akzeptieren, dass die Kräfte allmählich schwinden, dass sich der Körper verändert und dass halt einfach nicht mehr alles möglich ist, was früher möglich war. Ist das schlimm? Soll ich mich darüber ärgern? Nein, ist es nicht, es liegt offenbar in der Natur der Sache. Und auf keinen Fall möchte ich mit aller Gewalt auf «jung und heisser Typ» machen. Das scheint mir lebensfremd zu sein, ausserdem wäre mir das viel zu mühsam. Und letztlich auch völlig sinnlos.
In den 70er-Jahren, als Udo Jürgens dieses Lied schrieb, war es offenbar noch cool, mit 110 Pferdestärken durch die Gegend zu rasen. Bei dem Verkehr, den wir mittlerweile haben und im Angesicht der Klimaveränderung scheint mir das keine Option mehr zu sein. Manchmal macht es mich wirklich traurig, wenn ich sehe, wie wir in den letzten 50 Jahren intensiv an der Zerstörung der Erde gearbeitet haben: vergiftete Böden, zubetonierte Städte, verpestete Luft, verseuchte Gewässer, Plastik im Meer, schwindende Gletscher … Das kann mir doch einfach nicht gleichgültig sein. Und, um zurück zur Frage nach dem Sinn des Lebens zu kommen, hier läge doch auch eine Aufgabe, zu deren Lösung die Pensionierten etwas beitragen könnten, statt mit 110 Pferdestärken sinnlos durch die Gegend zu rasen …
Diese Liedzeile gefällt mir schon besser: Lieder singen, Musik machen, das ist doch tatsächlich auch etwas für ältere Semester. Musik hat mit dem Alter oder mit Generationen nämlich rein nichts zu tun, Musik hält bekanntlich geistig frisch und tut der Seele gut. Musik ist übrigens ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens, allerdings muss der Sound nicht «irre» sein, ich mag eher ruhige Klänge, meinem Alter halt entsprechend …
Enkel habe ich keinen, aber vier Enkelinnen. Ob sie darauf stolz wären, wenn ich ein ausgeflippter Opa wäre, weiss ich nicht. Sie sind noch zu jung, als dass ich mit ihnen darüber diskutieren könnte. Und: ich brenne eigentlich gar nicht so darauf, dass meine Enkelinnen stolz auf mich sind, mir genügt es, wenn sie mich gut mögen und ich für sie zumindest hin und wieder etwas Gutes tun kann. Stolz ist meines Erachtens etwas, was zu älteren (und hoffentlich reiferen) Personen eigentlich gar nicht mehr passt. Freude empfinden ja, stolz sein eher nein.
Dieser letzte Satz des Refrains («mit 66 – ist noch lange nicht Schluss») könnte ich sofort unterschreiben. Auch ich habe das Gefühl, dass noch nicht Schluss ist. Wie lange es noch dauert, weiss ich natürlich nicht. Und wirklich wichtig ist mir diese Frage auch nicht.
Es gibt noch so vieles, was man in diesem Alter unternehmen kann, es gibt doch so vieles, was Sinn und entsprechend Freude macht. Dazu gehört für mich auch, die Momente intensiver zu leben, statt wie früher immer auf irgendetwas zu warten («wenn ich dann einmal gross bin, werde ich …»). Oder wie sagte doch Erasmus von Rotterdam: «Du triffst Vorsorge für das Alter, damit dem Körper nichts fehle. Solltest du dir nicht Gedanken darübermachen, ob der Seele etwas fehlt»?
Ja, ich glaube, das sollte man …