Mit Kindern lernen
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Die Kinder und Jugendlichen zetern und meckern – und die Nerven der Eltern liegen blank: Die Hausaufgaben heben den Haussegen hie und da aus den Angeln. Wie sich Eltern mit Köpfchen aus der Affäre ziehen.

Hausaufgaben – eine heikle Sache

«Ob ich die Aufgaben auf die falsche Art erkläre?», hinterfragt sich Sonja Wimmer, «mein zehnjähriger Sohn macht dicht, und ich komme nicht an ihn heran.» Auch bei ihrer achtjährigen Tochter ist es eher kontraproduktiv, wenn sie sich als Mutter einmischt. «Ich habe den Eindruck, dass meine Tochter die Aufgaben dann schlampig macht.»

Die Hausaufgaben, oft eine heikle Sache. Ein besonderer Dauerbrenner sind sie im Chinderhuus Lyss, in dem Kinder mit Lernbehinderungen von fünf bis dreizehn wohnen. «Die Kinder», erzählt Leiterin Margrit Gyr, «wollen lieber spielen. Oft protestieren und schreien sie. Es braucht viel Geduld – da kann der Geduldsfaden schon mal reissen.»

Dass die Hausaufgaben ein heikles Thema sind, weiss auch Nicole Schüpbach. Sie ist Mutter zweier Kinder – und Lehrerin: «Die Hausaufgaben führen immer wieder zu Reibereien. Manchmal gehen die Emotionen so hoch, dass sie sich zu einem Kampf hochschaukeln und eskalieren.»

Hausaufgaben können zu Frust führen: nicht nur bei den Eltern, sondern auch beim Kind oder beim Jugendlichen. Sie verdüstern und belasten hie und da die Beziehung. Das veranschaulicht ein Mädchen auf einer Zeichnung: Sobald es um die Hausaufgaben geht, wird die Mutter, sonst eine freundliche Fee, zur herrischen Hexe.

Aufgaben müssen keinen Spass machen

«Hausaufgaben», sagt Fabian Grolimund von der Akademie für Lerncoaching, «sind es nicht wert, dass sich die Beziehung zwischen Eltern und Kind verschlechtert. Übt man Druck aus, führt das zu Anspannung. Dies verknüpft das Kind mit dem Lernen.»

Davor will Valdilene Houthuijse ihre zehnjährige Tochter bewahren. «Wie kann ich ihr Lust auf die Aufgaben machen?», fragt sie sich. Indem man nicht die Erwartung hat, dass Aufgaben Spass machen müssen, erklärt Lernexperte Fabian Grolimund. «Es gibt für Kinder zu Hause vieles, das viel spannender ist, zumal der Stoff der Grundschule ein Knochenjob ist – und es erst dann interessant wird, wenn man die Buchstaben kennt, weil sie dann zu Texten werden, die einem die Türe zu einer anderen Welt aufstossen.» Es nütze nichts, dem Kind die Hausaufgaben schönzureden.

«Es ist für Kinder einfacher, wenn man sagt: Ich weiss, das macht dir keinen Spass. Komm, setz dich zu mir – ich muss noch Rechnungen bezahlen. Bringen wir es beide hinter uns.»
Fabian Grolimund
Psychologe und Leiter der Akademie für Lerncoaching

Loben und kritisieren

Zudem ist Lob sehr wichtig, wie der Lernpsychologe betont. Je geringer die Begabung, desto stärker seien Kinder und Jugendliche auf Eltern und Lehrkräfte angewiesen, die sich über kleine Fortschritte freuen und diese dem Kind vor Augen halten. «Eine negative Kritik muss durch mehrere positive Äusserungen aufgewogen werden», sagt er und bezieht sich dabei auf Forschungen zu Paaren.

«Sind von zwanzig Feedbacks zwei negativ, beschäftigen diese zwei viel stärker als die achtzehn Positiven.»
Fabian Grolimund

Natürlich gebe es auch beim Loben ein Zuviel, sicher aber sei: «Das Positive muss überwiegen, vor allem für Kinder, die eher etwas Mühe haben oder machen.» Werde das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung nicht gestillt, führe dies dazu, dass das Agieren als Erwachsener ausschliesslich vom Hunger nach Anerkennung und Bestätigung bestimmt sei. Feedbacks sollen vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die zu Selbstüberschätzung neigen, realistisch sein, im Sinne von: «Das da kannst du schon recht gut, lass uns nun das hier noch etwas üben.» Zu harsche Kritik stimuliere das Anerkennungsbedürfnis zusätzlich, erklärt der Lerncoach.

Empfinde ein Kind ein Lob als unangenehm, solle man es eher beiläufig und beschreibend erwähnen. «Manchmal», sagt Fabian Grolimund, «braucht ein Lob etwas Zeit, bis es ankommt.»

«Entscheidend sei, die Anstrengung zu loben und nicht die Intelligenz, weil sonst die Angst vor dem Versagen geschürt werde.»
Marcel Friedli

Lernfreie gemeinsame Zeit

Sei ein Kind oder ein Jugendlicher unselbstständig, sei es wichtig zu fragen, warum das so ist: Sind die Aufgaben zu schwierig? «Dann geht man darauf ein, fragt, was das Kind verstanden hat und versucht ihm eher durch Fragen als durch Erklärungen weiterzuhelfen.» Oft versteckt sich indes hinter der vermeintlichen Unselbständigkeit das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Zuwendung. «Darum ist es wichtig, mit dem Kind oder Jugendlichen auch sonst Zeit zu verbringen, also nicht ausschliesslich für die Hausaufgaben.»

Die Kontrolle abgeben

Der Psychologe ermuntert zudem, die Kontrolle abzugeben. «Hausaufgaben sind ja auch dazu da, dass die Lehrperson sieht, ob die Kinder und Jugendlichen den Stoff verstanden haben. Sind die Aufgaben bereits picobello, langweilt sich das Kind während des Besprechens. Zudem belastet das Kontrollieren die Beziehung von Eltern und Kind. Da ist die Lehrperson die Autorität – und das sollen Eltern unbedingt anerkennen.»

Wie sich Eltern clever verhalten können

  • Fördern Sie die Selbstständigkeit. Die Hausaufgaben sind dazu gedacht, dass Kinder und Jugendliche diese selber zu lösen versuchen. Sie geben der Lehrperson Aufschluss, ob die Kinder und Jugendlichen die Aufgaben verstanden haben.
  • Verständnis zeigen für Klagen und Zweifel. Man kann eine Zeit vereinbaren, während der das Kind oder die Jugendliche motzen darf. Spätestens nach dem dritten Tag wird es ihm/ihr wohl langweilig werden.
  • Eltern sollen zeigen, dass man das Kind, den Jugendlichen liebt – unabhängig von dessen Leistungen in der Schule. Wichtig ist zu vermitteln, dass man erwartet, dass es/er sich nach seinen Möglichkeiten bemüht. Wenn es klappt, ist das die Gelegenheit, sich mitzufreuen. Und wenn es schiefgeht, fängt man es auf.
  • Es ist ratsam, positiv zu sein. Drohen bringt nichts. Ebenso wenig förderlich sind Aussagen wie «mach endlich weiter», «warum machst du das schon wieder falsch, das haben wir doch schon geübt». Auch wenn Eltern entnervt ausatmen oder das Gesicht verziehen, registrieren das die Kinder und Jugendlichen.
  • Liegt ein Konflikt in der Luft, ist es angezeigt, den Raum zu verlassen und selber etwas zu erledigen.
  • Erwähnen Sie Fortschritte. Besonders wichtig ist dies dann, wenn es nicht zu den Genies der Klasse gehört und sich der Fortschritt nicht in einer besseren Note zeigt, weil auch die Kameradinnen und Kameraden besser werden.
  • Die Küche eignet sich besser als das Kinderzimmer, in dem der Comic darauf wartet, gelesen zu werden oder die Legos inständig bitten, zu einer Burg verzaubert zu werden. Ein bisschen Lärm wie das Brummen der Geschirrspülmaschine kann stimulierend sein; ebenso passende Musik.
  • Einige Kinder oder Jugendliche laufen nach dem Znacht zur Hochform auf. Andere sind Lerchen und erledigen die Hausaufgaben am frühen Morgen vor Schulbeginn mit Schwung. Ausprobieren, beobachten, offen sein.
  • Setzen Sie Belohnungen sparsam ein. Sie nützen sich ab und sind bei Pflichten unpassend.