Die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz in der Partnerschaft zu finden, ist herausfordernd.

Gemeinsamkeit im richtigen Mass

«Wir gehen ab jetzt gemeinsam durchs Leben», heisst es in manchen Verlobungs- und Heiratsanzeigen. Dieses «gemeinsam» ist ein Begriff, den jedes Paar zu verschiedenen Zeiten anders auslegen wird. Verliebte Paare wollen möglichst alles miteinander teilen und viel Zeit gemeinsam verbringen. Sie offenbaren sich ihre Gedanken und Gefühle.
Dagegen leben Paare, bei denen der Haussegen in Schieflage geriet, oft aneinander vorbei; ausser Unfreundlichkeiten haben sie sich kaum mehr etwas zu sagen.

Nach zwei Jahren ist bei den meisten Paaren die enge Verbundenheit während des Stadiums der Verliebtheit abgeklungen, die Partner wollen wieder vermehrt auch eigenen Bedürfnissen nachgehen; beispielsweise mit Kollegen einen Match besuchen oder ein Frauen-Wellnesswochenende verbringen. Das richtige Mass zwischen eigenen und gemeinsamen Bedürfnissen in einer Partnerschaft zu finden, ist herausfordernd. Leicht kann es zum Vorwurf kommen: «Ich fühle mich von dir vernachlässigt, alle anderen sind dir wichtiger als ich.»

«Ein allgemeingültiges Rezept für das richtige Mass an Individualität und Gemeinsamkeit gibt es nicht, es muss immer wieder neu ausgelotet und situationsgerecht definiert werden.»
Adrian Zeller

Beispielsweise benötigen Frauen und Männer, die bereits Kinder oder Enkel aus einer früheren Partnerschaft haben, Frei- räume, in denen sie den Kontakt mit ihnen pflegen können, ohne dass sich die neue Partnerin oder der neue Partner zurückgesetzt fühlt. Im Weiteren bestehen manche Menschen, die in der zweiten Lebenshälfte eine neue Partnerschaft eingehen, auf getrennte Wohnungen. Sie haben die schwierigen Seiten von zu viel Nähe aus einer früheren Beziehung in unangenehmer Erinnerung. Aus dieser Erfahrung wollen sie sich grösseren Spielraum sichern; dies kann leicht als mangelnde Liebe gedeutet und missverstanden werden.

Die Medaille des Lebens zu zweit hat zwei Seiten: Aus «Nähe» kann unter Umständen «Enge» werden, aus «Gemeinsamkeit» wird womöglich «Bevormundung» und aus «Verbundenheit» wird eventuell ein «Korsett».

Pensionierung als Herausforderung

Wie dieser Wechsel im Beziehungsalltag geschehen kann, zeigt das Beispiel des Ehepaars Wenger (Namen geändert). Für Martha Wenger ist das Einkaufen kein Vergnügen mehr. Der regelmässige Besuch des Grossverteilers war für sie eine Gelegenheit, unter Leute zu kommen. Auf dem Weg dorthin oder im Laden traf sie meistens Bekannte, öfters ergab sich dabei ein kleiner Schwatz. Manchmal wurde das Gespräch in einem Café fortgesetzt. So pflegte Martha Wenger ihren Bekanntenkreis.

Mittlerweile ist alles anders. Seit seiner Pensionierung begleitet sie ihr Mann Oskar zum Einkaufen – der Einkauf wird für die 64-Jährige zur grossen Herausforderung: Ihr Gatte ist ungeduldig und nörgelt gelegentlich an ihrer Auswahl der Produkte herum. Doch mit Gemüse, Teigwaren und Waschpulver kennt er sich kaum aus, da er früher nie einkaufen ging. Wenn Martha Wenger unterwegs eine Bekannte trifft, fühlt sie sich mit ihrem Mann im Schlepptau unfrei. Auch bei der Haushaltsführung mischt sich ihr Ehemann seit seiner Pensionierung ein. Wenn Martha Wenger staubsaugt, während er Zeitung liest, reagiert dieser gereizt. Will er an ihrem Waschtag einen Ausflug unternehmen, ärgert er sich über ihre Absage. Seit der Werkstattleiter ins Pensionsalter gekommen ist, haben die Spannungen in der Partnerschaft deutlich zugenommen.

Bild eines älteren Paares, das sich streitet

Damit ist das Ehepaar Wenger nicht allein, Konflikte bei Paaren im AHV-Alter mehren sich. Für manche werden sie mit der Zeit so unerträglich, dass sie sich trennen:

«Innert fünfzig Jahren hat sich die Scheidungsrate im Pensionsalter verdoppelt; dabei spielt auch die gestiegene Lebenserwartung eine entscheidende Rolle.»
Adrian Zeller

Paare verbringen heute im Durchschnitt 15 gemeinsame Jahre im AHV-Alter. Dies kann eine herausfordernde Zeit sein, für die das Paar die Weichen rechtzeitig stellen muss. Der Übergang vom Erwerbsleben in die Pension verändert den Alltag erheblich. Bereits geraume Zeit vor der Pensionierung sollte sich das Paar über die gegenseitigen Erwartungen an diese neue Lebensphase sowie die Aufgabenverteilung austauschen. So können die unterschiedlichen Erwartungen besser aufeinander abgestimmt und Konflikte vermieden werden. Der eine freut sich beispielsweise auf gemeinsame Reisen, während der andere sich endlich vermehrt den Enkelkindern widmen möchte.

Beziehungsverschlechterung vorbeugen

Wenn Menschen häufig auf kleinem Raum zusammen sind, entstehen vermehrt Reibungsflächen. Anzeichen des Missfallens können sich häufen; dazu zählen gereizte Bemerkungen, Stirnrunzeln, unfreundliche Blicke, bewusstes Ausweichen von Blickkontakt sowie genervtes Brummen. Wenn sich diese Signale mehren, sollten die Warnlampen blinken.

Damit der Haussegen wieder zurechtgerückt werden kann, braucht es eine Veränderung im gemeinsamen Alltag.

«Fachleute raten zu Hobbys, ehrenamtlichen Aufgaben und zu Kontakten, die nicht gemeinsam gepflegt werden. Dies führt auch zu neuem Gesprächsstoff in der Partnerschaft. Menschen benötigen eine Art eigenes "Revier".»
Adrian Zeller

Wird ihnen zu oft «reingefunkt», beispielsweise in der Haushaltsführung, steigt der Stresspegel – Ärger ist vorprogrammiert. Die Streitgespräche können sich an scheinbar banalen Alltagsthemen entzünden; etwa der Abfallsack, der nicht entsorgt wurde, der zum wiederholten Mal verlegte Autoschlüssel oder das Ladekabel fürs Handy, das unauffindbar ist. Wenn die Emotionen hochgehen, kann bereits ein Spaziergang alleine genügend Distanz schaffen, um den Streit frühzeitig abzuwenden.

Erholung ohne Zwist

Neben der Pensionierung sind auch Ferien eine besondere Herausforderung für die Partnerschaft. Im gemeinsamen Urlaub zeigt sich exemplarisch, wo die Stolpersteine bezüglich Nähe und Distanz liegen können. Die sogenannte «schönste Zeit des Jahres» kann zu einer Tortur werden, etwa wenn zu viel Alkohol im Spiel ist. Immerhin wird gemäss Statistik jede dritte Scheidung nach gemeinsamem Urlaub eingereicht. Während der Ferien fallen die Alltagsverpflichtungen und der dafür anberaumte zeitliche Rahmen weg, es gilt die Zeit gemeinsam zu gestalten. Laut Experten wollen Menschen in den Ferien all jene Bedürfnisse befriedigen, für die ihnen im Alltag meistens die Zeit fehlt. Oft sind diese Wünsche sehr unterschiedlich.

Bild eines Paares, dass mit dem Globus ein neues Reiseziel aussucht

Wenn sich Paare im Voraus über ihre individuellen Wünsche an die gemeinsame Urlaubszeit absprechen, kann das Konfliktrisiko reduziert werden. Es ist vor allem gegenseitige Toleranz und Rücksichtnahme gefragt, damit der Umgangston nicht nörglerisch und gereizt wirkt. In Umfragen beschwerte sich jede vierte Frau über einen übellaunigen, unrasierten und ungeduschten Partner während der Ferien. Viele Männer schätzen es ihrerseits, in der freien Zeit den Zwängen des Arbeitslebens entfliehen und sich leger kleiden zu können. Ihren Partnerinnen steht womöglich der Sinn nach einem gemeinsamen Abendessen bei Kerzenlicht in eleganter Kleidung. Einige Männer wollen sich dagegen in den Ferien sportlich auspowern und Kilometer auf dem Rennvelo abspulen oder Berge besteigen. Dies sind ihre Nischen weg vom stressigen Alltag.

Nicht allen Paaren gelingt es, ihre Bedürfnisse bei der Erholung unter einen Hut zu bringen. Manche Partner wissen aus Erfahrung bereits im Voraus, dass ihre Urlaubszeit eine schwierige Phase mit vermehrten Meinungsverschiedenheiten werden wird. Dann können getrennte Ferien eine Alternative sein: Während Männer mit ihrer Tennisgruppe verreisen, regenerieren sich Frauen beispielsweise während eines Kurses zum Thema «Heilkräuter der Berge». Beide können sich auf diese Weise gemäss ihren Bedürfnissen erholen. Dies ohne grosse Spannungen.