18. April 2023

Gut geflickt ist fast wie neu

Gut geflickt ist fast wie neu
Lesezeit ca. 6 min

Repaircafés sind Veranstaltungen, an denen defekte Alltagsgegenstände von freiwilligen Reparaturprofis wiederhergestellt werden. Das schont Umwelt und Portemonnaie gleichermassen; zudem werden bei diesen Treffen soziale Kontakte geknüpft und Wissen ausgetauscht.

Upcycling – aus alt mach neu

Rund 10 000 Gegenstände gibt es in einem durchschnittlichen Haushalt in Europa, in Amerika sind es sogar gut 30 000. Das ergab eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2014. Wir sind also umgeben von Dingen; von vielen Dingen, die wir sehr wahrscheinlich nicht täglich benutzen und brauchen – eine Folge der Konsumgesellschaft. Doch wie sollen wir umgehen mit dieser Flut an nützlichen und unnützen Sachen?

Von der Möbel- über die Mode- bis zur Lebensmittelindustrie – viele Branchen versuchen, den selbstgeschaffenen Überfluss mit sogenanntem «Upcycling» zu bewältigen und aus der Not quasi eine Tugend zu machen. «Upcycling», gemäss Duden die «Weiternutzung von Abfallstoffen oder gebrauchten Gegenständen durch Umwandlung in höherwertige Materialien beziehungsweise Ware», bedeutet eigentlich dasselbe wie: Aus Alt mach Neu. So erhalten beispielsweise alte Ikea-Möbel ein zweites Leben oder Secondhand-Kleider werden aufgewertet und als neue Kollektionen verkauft.

Reparieren statt entsorgen

Auch wenn wir viel besitzen – das Bewusstsein für einen nachhaltigen Umgang in Bezug auf unseren Konsum ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Saisonal und lokal einkaufen, mit dem Zug anstatt mit dem Auto reisen oder Alltagsgegenstände mieten anstatt kaufen sind keine Trends mehr, sondern bewährte Alltagspraktiken. Doch was geschieht mit unseren 10 000 Gegenständen, wenn sie nicht mehr funktionieren?

Meistens werden sie entsorgt und durch neue ersetzt – so erklärt sich auch diese wahre Flut an Sachen.

«Selten werden defekte Alltagsgegenstände repariert: oft, weil das Wissen fehlt, dass und wie sie wiederhergestellt werden können; aber auch, weil es schneller, einfacher und manchmal sogar billiger ist, etwas Defektes durch etwas Neues zu ersetzen.»
Manuela Donati

Bei diesem verschwenderischen Ansatz setzen die sogenannten Repaircafés an: Dies sind Veranstaltungen, bei denen defekte Gegenstände von ehrenamtlichen Reparaturexpertinnen und -experten wiederhergestellt werden.

Über 2500 Repaircafés weltweit

Entstanden sind die Repaircafés in den Niederlanden. Die Journalistin Martine Postma beschäftigte sich mit der Frage, was mit Alltagsgegenständen passiert, wenn sie abgenutzt sind oder ihren Zweck erfüllt haben. Um eine Antwort auf diese Frage zu geben, eröffnete sie 2009 das erste Repaircafé in Amsterdam. Sie stiess damit auf so grosses Interesse, dass sie 2011 die «Repair Café Foundation» gründete.

Über die Webseite der Non-Profit-Organisation finden Interessierte alle Informationen, um selbst Repaircafés zu gründen. So sind weltweit über 2500 Werkstätten entstanden. Die meisten gibt es in den Niederlanden, in Deutschland, der Schweiz und Österreich; aber auch in den USA, in Australien, Südafrika und Japan wird regelmässig geflickt und Reparaturwissen ausgetauscht. Laut der Stiftung haben die Repaircafés im Jahr 2019 weltweit zusammen rund 420000 Kilogramm Abfall vermieden – das sind rund 10 Millionen Kilogramm CO2, die dadurch erfolgreich vermieden wurden.

Wegwerfen war gestern – auch in der Schweiz

Wenige Jahre später schwappte die Reparierfreude von den Niederlanden in die Schweiz über. Das erste Repaircafé wurde 2014 in Bern gegründet, als Pilotprojekt der «Stiftung für Konsumentenschutz». Heute ist die Stiftung Coach und Koordinatorin der Repaircafés in der Deutschschweiz.

«Die Repaircafés bieten einen einfachen Zugang zu Reparaturen an. Reparierte Gegenstände schonen nicht nur die Umwelt, sondern auch das Portemonnaie der Konsumenten.»
Marius Wiher
Leiter Nachhaltigkeit & Energie bei der «Stiftung für Konsumentenschutz»

«Darum unterstützen wir seit 2015 lokale Initiativen, die Repaircafés aufbauen und betreiben möchten.» Das geschehe unter anderem mit Know-how, kostenlosem Werbematerial und einer Haftpflichtversicherung.

Aus dem ersten Versuch in Bern ist mittlerweile eine feste Institution im Kulturlokal PROGR geworden. Der eigens dafür gegründete Verein führt mehrmals pro Jahr Repariertreffen durch und hat weitere animiert: Über 200 Repaircafés gibt es mittlerweile in der ganzen Schweiz. Die meisten davon im Kanton Zürich, aber auch in der abgelegenen Bündner Gemeinde Cazis oder in Locarno und am Genfersee gibt es regelmässig Treffs. Seit sieben Jahren findet zudem jeweils am dritten Samstag im Oktober der Schweizer Reparaturtag statt. 577 Gegenstände wurden dabei 2022 in der ganzen Schweiz geflickt. Als weltweites Pendant dazu werden unter dem Motto «Repair everywhere» Aktionen und Events durchgeführt.

Die Reparaturen sind bei den Repaircafés grundsätzlich kostenlos. Sehr willkommen sind gemäss Marius Wiher jedoch Spenden zur Deckung der Unkosten, die sich zum Beispiel am Aufwand der Reparatur orientieren können.

«Die Pop-up-Werkstätten sind mehr als reine Reparaturdienste. Genauso wichtig und wertvoll sind der Wissenstransfer sowie die sozialen Kontakte und der Austausch zwischen Generationen, der dabei entsteht.»
Manuela Donati

Zudem bieten sie eine Möglichkeit zu sparen – bei den eigenen finanziellen Ausgaben und beim Ressourcenverschleiss unserer Wegwerfgesellschaft.

Zum nachhaltigen Konsum anregen

Neben den vielen, in loser Folge stattfindenden Repaircafés gibt es auch permanente Initiativen wie etwa die «Flickerei» im Berner Breitenrain-Quartier. Unter dem Motto «Wir flicken vieles für nicht viel» kümmert sich ein kleines Team um defekte Gegenstände und regt zum nachhaltigen Konsum an.

Auf seiner Homepage empfiehlt der Verein «Flickerei», vor dem Kauf erst abzuwägen, ob der neue Gegenstand wirklich absolut notwendig ist; und bei defekten Dingen auch an die vielen Handwerksbetriebe zu denken, die Reparaturen ausführen können – von Schuhmachern, Schreinern bis zu Nähateliers. Weitere Tipps unterstützen Interessierte bei einem nachhaltigen Umgang mit Konsumgütern, darunter zum Beispiel dieser: «Kaufen Sie, wenn möglich, keine akkubetriebenen Geräte. Geräte mit einem Kabel sind viel einfacher von der elektronischen Steuerung her und halten länger.» Zudem seien Akkus schwieriger zu reparieren und müssten nach zwei bis fünf Jahren ersetzt werden, was Abfall erzeuge.

Schweizer Politik muss handeln: Recht auf Reparatur

Ob bei den freiwilligen Expertinnen und Experten der Repaircafés, in Initiativen wie der «Flickerei» oder in Handwerksbetrieben – ein Problem stellt sich dabei regelmässig für die Reparaturprofis: Viele Gegenstände lassen sich nicht oder nur teilweise reparieren. Der Konsumentenschutz fordert schon seit Jahren griffigere Regeln für Produzenten, um deren Produkte reparaturfähig zu machen. Nun hat die Politik reagiert. Bis zur Sommersession 2024 soll im Nationalrat über eine entsprechende Revision des Umweltgesetzes entschieden werden: «Recht auf Reparatur» heisst der Gesetzesentwurf.