24. Februar 2022

Psychische Widerstandskraft stärken

Psychische Widerstandskraft stärken
Lesezeit ca. 7 min

Mit Unfällen, Jobverlust und nicht bestandenen Prüfungen sehen sich die meisten mindestens einmal in ihrem Leben konfrontiert. Einige Menschen rappeln sich nach einem Rückschlag rasch wieder auf, andere können ihn auch Jahre später nicht überwinden – entscheidend ist das jeweilige Mass an Resilienz.

Ein besonders eindrückliches Beispiel für psychische Widerstandskraft, auch Resilienz genannt, gibt Nelson Mandela. Für sein Engagement gegen die Rassentrennung sass er in Südafrika 27 Jahre lang im Gefängnis. Als er 1990 die Haftanstalt endlich wieder verlassen konnte, wirkte er keineswegs gebrochen oder verbittert. Der spätere Staatspräsident setzte sich für die Versöhnung der Rassen ein; von Rachegedanken keine Spur. Diese seelische Robustheit besitzen längst nicht alle Menschen.

Manchen gelingt es leichter, mit Ungerechtigkeit oder mit Schicksalsschlägen umzugehen, andere hadern und resignieren.

Wenn die Verunsicherung länger anhält, können sich bei Betroffenen körperliche und psychische Beschwerden einstellen. Die Ursache ist ein dauerhaft erhöhter Pegel an Stresshormonen. Dieser verhindert, dass sich die Organe und auch das Gehirn während erforderlichen Ruhephasen erholen können. Sie sind stattdessen permanent in Alarmbereitschaft.

Eine Frage der Perspektive

Viele Betroffene berichten im Nachhinein, sie hätten sich gefühlt, wie wenn ihnen «der Boden unter den Füssen weggezogen» würde. Vieles, was ihnen in ihrem Alltag Halt, Orientierung und Sicherheit gab, entglitt ihnen. Wie man mit derartigen Situationen umgeht, ist auch eine Frage der Perspektive oder der inneren Einstellung. Einige Menschen sagen nach einem Unfall: «Gott sei Dank, dass ich das Spital» schon nach fünf Tagen wieder verlassen konnte. Und mein Zimmernachbar war echt nett.» Andere klagen dagegen: «Das Essen im Spital war ungeniessbar. Und die Ärzte haben sich kaum Zeit für mich genommen.» Zahlreiche Menschen richten ihre Aufmerksamkeit in schwierigen Situationen eher auf die positiven Aspekte, andere fokussieren vor allem die unangenehmen Umstände.

«Oftmals wird angenommen, die Grundeinstellung im Umgang mit widrigen Umständen sei vor allem genetisch bedingt. Wie neuere Untersuchungen zeigen, spielen dabei aber auch Lern- und Erfahrungsprozesse eine wesentliche Rolle, da sie womöglich die innere Haltung gegenüber schwierigen Umständen prägen.»
Adrian Zeller

Erlernte optimistische Grundeinstellung

Forscher haben die Unterschiede zwischen Pessimisten und Optimisten unter die Lupe genommen. Es zeigte sich, dass zuversichtlich gesinnte Personen nicht automatisch Glückspilze sind. Auch sie erleben Niederlagen und Enttäuschungen, aber sie wagen mehrere Versuche, etwas an ihrer Situation zum Positiven zu verändern. Dabei erhöhen sie die Chancen auf eine erfreuliche Wende.

Diese Fähigkeit resultiert aus einer erlernten optimistischen Grundeinstellung. Einige Menschen haben bereits im Kindesalter bewiesen, dass sie anspruchsvolle Situationen meistern können. Beispielsweise fragen sie andere Kinder um Rat und um Hilfe, wenn sie eine Rechenaufgabe überfordert oder wenn ihr Velo defekt ist. Die wiederholte Erfahrung, dass sie Schwierigkeiten bewältigen können, stärkt ihr Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Im Weiteren sammeln sie Erfahrungswissen, wie sie zukünftige Probleme lösen können. Anspruchsvolle Situationen erleben sie nicht in erster Linie als beängstigend und bedrohlich, vielmehr sind es in ihren Augen lösbare Herausforderungen.

Psychische Widerstandskraft stärken

Blick nach vorne

Pessimisten lassen sich dagegen durch unglückliche Umstände sehr leicht entmutigen. Sie fühlen sich als eine Art Spielball des Schicksals, dem sie wenig entgegensetzen können. Optimisten bemühen sich, Mitgestalter ihrer Umstände zu sein, Pessimisten bleiben eher passiv und werden von den Umständen geprägt, ohne ihnen viel entgegenzusetzen. Sie haben wenig Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, tun sich schwer damit, andere um Unterstützung zu bitten, sind übermässig selbstkritisch und können kaum engagiert für ihre Rechte einstehen. In der Folge fühlen sie sich immer wieder benachteiligt. Schwierige Umstände sehen sie als kaum überwindbare Hindernisse.

Womöglich wurden sie als Kind wegen schwacher Leistungen in der Schule kritisiert und damit entmutigt. Sie haben von Geschwistern, Verwandten und von Lehrpersonen wenig Anerkennung und Unterstützung erfahren. Zudem haben sie eventuell wenig Erfahrungen darin, auf welche Weise sie Schwierigkeiten lösen können. Pessimisten fühlen sich schnell überfordert. Entsprechend wenig vertrauen sie ihren eigenen Möglichkeiten, um die Umstände zu verbessern. Womöglich machen sie sich selbst Vorwürfe und sind der Überzeugung, sie seien durch Unvorsichtigkeit, Naivität oder Gutgläubigkeit in eine unerfreuliche Lage geraten. Diese Selbstkritik untergräbt das Vertrauen in sich selbst und drückt auf die Stimmung.

Die gute Botschaft: Pessimisten können lernen, von widrigen Umständen weniger leicht überfordert zu werden. Ein wichtiger Aspekt dabei ist der angemessene Umgang mit den eigenen Gefühlen. Bei der Bewältigung von schwierigen Umständen spielen sie eine wichtige Rolle. Auch Menschen mit einer stärkeren psychischen Widerstandskraft durchleben Scham, Schmerz und Trauer. Sie vertrauen jedoch darauf, dass sich diese unangenehmen Emotionen auf Dauer abschwächen und sich wieder neue Lebensmöglichkeiten eröffnen. Sie versuchen, den Blick nach vorn zu richten, statt in der Vergangenheit zu verharren.

Neustart wagen

Ein Neustart im Leben kann langfristig zu neuer Lebensqualität führen – auch wenn dieser erst aufgrund eines bestimmten Ereignisses angegangen wird. Manche Menschen haben erst durch einen Herzinfarkt, einen durchlebten Burn-out oder einen Karriereknick zu sich selbst und zu ihrer eigentlichen Berufung gefunden: Ein Mann, der bei einem selbstverschuldeten Motorradunfall beinahe sein Leben verlor, wurde zum erfolgreichen Songinterpret, welcher seinen Zuhörern Zuversicht und Freude vermittelt. Eine Frau, die von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen wurde, fand nach einer Weile eine neue Liebe.

Psychische Widerstandskraft stärken

Resilienz stärken

Die Forschung hat einige Faktoren erkannt, die für die erfolgreiche Bewältigung von schwierigen Umständen entscheidend sind:

Dazu zählt zum einen die Zuversicht:
Die Psychologie kennt den Mechanismus der sich selbsterfüllenden Prophezeiung: Wer etwa glaubt, ein Pechvogel zu sein, wird immer wieder unangenehme Situationen erleben, die seine Sicht bestätigen. Optimisten hingegen haben immer wieder motivierende Erfolgserlebnisse. Sie lassen den Kopf nicht hängen, werten auch kleine Fortschritte als Wende zum Besseren und erinnern sich daran, dass sie in ihrem Leben schon mehrfach schwierige Situationen gemeistert haben.

Ein weiterer Faktor ist ein solides Fundament:
Wer nach einer erschütternden Erfahrung wieder Fuss fassen muss, steht unter Anspannung, vieles ist ungewohnt und fällt noch schwer. Regelmässige Entspannungs- und Erholungsphasen, etwa in Form von Spaziergängen, moderatem Sport und beispielsweise warmen Kräuterbädern geben Kraft zum Weitermachen. Ausreichend Schlaf sowie eine ausgewogene Ernährung sind ebenfalls wichtige Kraftquellen. Als besonders wertvoll hat sich auch ein Beziehungsnetz aus unterstützenden Menschen erwiesen. Sie greifen einem bei Rückschlägen gerne unter die Arme. Echte Anteilnahme wirkt weder bevormundend noch bedrängend.

Ein weiterer Faktor ist die Selbstfürsorge:
Nach dem Ende einer Partnerschaft, nach einem heftigen Streit innerhalb der Familie oder nach der Diagnose einer schweren Krankheit fühlt man sich verletzlich, verunsichert und niedergeschlagen. In solchen Fällen ist es wichtig, mit sich selbst besonders nachsichtig und geduldig zu sein. Man sollte sich selbst viel Gutes tun, so wie man in derselben Situation für eine gute Freundin oder einen guten Freund unterstützend sorgen würde.