Ein Aufstieg im Beruf, im Verein oder in einer Behörde bedeutet einen Zugewinn an Prestige und an Einflussmöglichkeiten. Doch die Kehrseite der Medaille kann sich im Privatleben zeigen.
So hatte sich Marianne Grossenbacher ihren dritten Lebensabschnitt nicht vorgestellt. Die alleinstehende Büroangestellte freute sich darauf, nach ihrer Pensionierung zu reisen und etwas von der Welt zu sehen. Während eines Mittagessens bei der Familie ihres Sohnes eröffnete ihr die Schwiegertochter jedoch, dass sie künftig mit ihr als Tagesmutter für die Enkelkinder rechne. Die Schwiegertochter war seit ein paar Jahren stundenweise als Mitarbeiterin in einem Treuhandbüro tätig. Gelegentlich besuchte sie zusätzlich Weiterbildungskurse. Ihr Plan: Nach der Pensionierung sollte sich ihre Schwiegermutter vermehrt um die Enkelkinder kümmern. Damit wäre für sie selbst die Tür als Teilhaberin in der Treuhandfirma offen.
Über ihr Vorhaben hatte sie mit Marianne Grossenbacher nie zuvor gesprochen. Daher fiel diese aus allen Wolken, als sie vom geplanten täglichen Einsatz für die Enkelkinder erfuhr. Empört wehrte sie sich dagegen, dass man ungefragt über sie verfügen wollte. Die Schwiegertochter brach in Tränen aus, die Schwiegermutter würde ihre Zukunftsaussichten zerstören. Die letzten Jahre habe sie sich gezielt weitergebildet und entsprechend Geld investiert. Auch der Sohn zeigte kein Verständnis für die Absage. Die Mutter hätte doch im Ruhestand genügend Zeit, sich um ihre geliebten Enkelkinder zu kümmern. Reisen könne sie später, wenn diese grösser seien und sie sie weniger benötigten. Als sich auch ihr Sohn auf die Seite seiner Frau stellte, packte Marianne Grossenbacher ihre Sachen und verliess die Wohnung der Familie, ohne sich zu verabschieden.
In den typischen Rollenmodellen der Vergangenheit erklomm der Mann die Karriereleiter, während die Frau ihm zu Hause den Rücken freihielt.
Wo neue gesellschaftliche Wege beschritten werden, braucht es Vorbilder zur Orientierung. In den Illustrierten lassen sich einige Stars aus dem Film und Showbusiness gern mit ihren Kindern ablichten. Dabei sehen sie sehr gepflegt aus, lächeln entspannt und präsentieren eine top Figur. Solche Fotos würden heikle gesellschaftliche Standards setzen, warnen Psychologinnen und Psychologen: Sie weckten verzerrte Erwartungen und Vorstellungen. Niemand weiss, wie diese Stars Zeit finden, sich um die Betreuung und Erziehung der Kinder zu kümmern, ihre Garderobe und ihre Figur attraktiv zu halten, die Karriereleiter zu erklimmen – und dabei glücklich strahlend vor der Kamera zu posieren. Ohne Kindermädchen, Haushaltshilfen, PR-Agentinnen oder persönliche Fitnesstrainer ist ein solcher Alltag kaum zu meistern. Die Helfer*innen im Hintergrund tauchen jedoch kaum je auf einem Foto auf.
Für viele Familien ohne Prominentenstatus sieht die Alltagsrealität deutlich anders aus: Die Kosten für eine Tagesmutter oder für einen Platz in einer Kindertagesstätte strapazieren das Budget bis ans Limit – oder gar darüber hinaus.
Eine Untersuchung zeigte: In Partnerschaften, in denen eine oder beide Personen Karriere machen, wird zu wenig miteinander gesprochen. Ohne sorgfältige Aufteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten sind Spannungen und Frustrationen vorprogrammiert. Nicht alle Menschen sind sich im Voraus der Begleiterscheinungen einer Karriere bewusst. Insbesondere bedeuten diese eine erhöhte zeitliche Belastung für die rein berufliche Tätigkeit; aber auch für Weiterbildungen. Ab der Hierarchiestufe des mittleren Kaders wird das Leisten von Überstunden erwartet – auf geregelte Arbeitszeiten kann man nicht vertrauen. In manchen Positionen wird zudem häufiges Reisen vorausgesetzt. Weiter muss auch Zeit für die Pflege des beruflichen Netzwerks eingeplant werden – in Kaderpositionen ist dies unverzichtbar.
Karriere im Beruf lässt sich auf verschiedene Weise machen, die verbreitetste ist eine Stellung als Vorgesetzte oder als Vorgesetzter. Aber auch Spezialisierungen bedeuten oft einen Aufstieg: Wer sich besondere Fachkenntnisse aneignet, wird zur gefragten Person mit Expertise. Ähnlich wie eine Beförderung wirkt sich der Schritt in die berufliche Selbständigkeit aus. Und auch in politischen Ämtern sowie in Vereinen und Verbänden kann man eine höhere Position erreichen. Wer für eine Kandidatur in einem Vorstand oder für ein Behördenamt angefragt wird, fühlt sich meist geehrt. Diese Freude über die Anfrage kann zu einem zu raschen, wenig durchdachten Entscheid führen.
Ein höherer Platz in der Hierarchie bringt allerdings nicht nur mehr Ansehen, mehr Einfluss sowie ein höheres Salär mit sich. Er bedeutet oft auch Verzicht auf die Zeit mit den Angehörigen. Statt am Familientisch sitzt man häufig am Sitzungstisch.
Kommen private Schwierigkeiten hinzu, können die zeitliche und mentale Belastung zusätzlich massiv ansteigen – beispielsweise, wenn betagte Eltern mehr Betreuung benötigen oder wenn die Partnerschaft in eine Krise gerät. Gespräche mit Personen, die diesen Karriereschritt schon gemacht haben, sind dabei sehr informativ. Ob im Beruf, in der Politik oder im Verein:
Laufbahnberatungen weisen darauf hin, dass berufliche Zusatzausbildungen sowie besonders anspruchsvolle berufliche Tätigkeiten auf Dauer nur erfolgreich gemeistert werden, wenn die Partnerin oder der Partner das Vorhaben unterstützt und in die Planung einbezogen wird. Laut Umfragen wollen längst nicht alle Männer zugunsten ihrer Partnerin bei der eigenen Karriere zurückstecken. Eine frühzeitige Absprache der beidseitigen Pläne beugt Konflikten vor.
In einer repräsentativen Untersuchung gaben 29 Prozent der Männer an, zu spüren, wenn ihre Partnerin unter erhöhtem beruflichem Stress stehe. Bei den Frauen merken 35 Prozent, dass ihr Partner eine erhöhte Belastung zu tragen hat. Jede dritte Frau und jeder dritte Mann gaben an, der Stress wirke sich negativ auf die Partnerschaft aus. Dass sie für das Unternehmen auch in der Freizeit erreichbar sein müssen, wurde als besonders belastend erwähnt. Auswirkungen spüren teilweise auch die Kinder. Sie wünschen sich laut einer Umfrage, dass sich Mütter und Väter mehr Zeit nähmen, um mit ihnen über ihre Sorgen und Nöte zu sprechen.