24. Mai 2023

Späte Trennung – Beziehungsende nach der Lebensmitte

Späte Trennung – Beziehungsende nach der Lebensmitte
Lesezeit ca. 7 min

Laut Statistik haben sich die Scheidungen nach Fünfzig in den letzten Jahrzehnten verdoppelt. Das lässt darauf schliessen, dass eine langjährige Partnerschaft in fortgeschrittenen Lebensjahren besondere Herausforderungen mit sich bringt.

Fehlende Abwechslung

Für Bernadette Dätwyler (Name geändert) war es, als wenn sich für sie eine völlig neue Welt eröffnen würde. An der Geburtstagsfeier einer Freundin kam sie mit einem Gast ins Gespräch. «Der Mann war so etwas wie ein Lebenskünstler, er schuf raffinierte Klangskulpturen und wurde immer wieder vom Reisefieber gepackt», erzählt die 56-Jährige. Er verkörperte für sie das Gegenteil ihres Mannes: Der Produktionsleiter in der Lebensmittelindustrie führte ein sehr strukturiertes Leben. Bernadette schätzte die Sicherheit und Berechenbarkeit, die ihr dieser geregelte Alltag vermittelte, andererseits vermisste sie immer mehr die Abwechslung.

Die Begegnung mit dem Lebenskünstler beschäftigte sie nachhaltig. Als er ihr Fotos von seinen Fernreisen schickte, spürte sie, dass sie ihr Herz an ihn verlieren könnte. Sie vertraute sich ihrer besten Freundin an. «Margret holte mich auf den Boden zurück», berichtet Bernadette Dätwyler. «Sie führte mir vor Augen, was ich alles aufs Spiel setzte, wenn ich mich mit diesem Mann einliesse.» Es wurde ihr bewusst, dass er ihr niemals diese Sicherheit bieten würde, die sie an ihrem Ehemann schätzte. Schweren Herzens brach sie den Kontakt zum Lebenskünstler ab und hoffte, ihn bald zu vergessen.

Routine als Stolperstein

Langjährige Partnerschaften bringen besondere Herausforderungen mit sich. Ein zentrales Thema ist die Routine. Oft braucht es im Alltag nicht mehr viele Worte. Die unterschiedlichen Aufgaben sind einigermassen geregelt; man kennt die Gewohnheiten und die Empfindlichkeiten des Gegenübers. Laut Paartherapeuten kann dieser Umstand zum Stolperstein werden, es wird oft zu wenig kommuniziert. In dauerhaften Partnerschaften wird angenommen, dass einen das Gegenüber doch kenne und wissen oder spüren müsse, welche eigenen Erwartungen erfüllt werden sollen. Werden diese nicht vollständig oder gar nicht befriedigt, kommt es zu Frustrationen und eventuell zu einem gereizten Umgangston – oder aber zu Einsilbigkeit.

Wichtig: Klar formulierte Wünsche wirken Missverständnissen entgegen. Häufiges Genörgel ist oft Ausdruck einer tiefer liegenden Beziehungsstörung. Es entsteht eine Negativspirale, aus der die Partner kaum mehr ohne Unterstützung von aussen herausfinden.

Wichtige Zeichen der Zuneigung

Ein weiteres Spannungsfeld sind zu spärliche Zeichen der Zuneigung. Im Lauf der Beziehungsjahre kann der Zauber der Liebe verblassen.

«Es ist wichtig, dass die Zeichen der Dankbarkeit und der Wertschätzung auch nach zwanzig Jahren Partnerschaft keinen Seltenheitswert bekommen.»
Adrian Zeller

Eine überraschende Einladung, ein SMS mit lieben Worten oder ein Gutschein für ein gemeinsames Wellnesswochenende wärmen das Herz. Partner müssen spüren, dass sie dem Gegenüber nicht gleichgültig sind. Liebevolle Aufmerksamkeiten stärken das Beziehungsfundament.

Wenn es dagegen immer wieder zu Kritik, zu Streitgesprächen, Machtdemonstrationen sowie zu abwertenden Bemerkungen kommt, entfremden sich die Partner. Mögliche Folge ist die innere Kündigung der Partnerschaft, sie wandelt sich zur nüchternen Zweckgemeinschaft. In dieser Situation kann eine professionelle Partnerschaftsberatung gemeinsame konstruktive Zukunftsperspektiven für das Beziehungsleben eröffnen.

Unterschiedliche Entwicklungswege

In der Statistik fällt auf, dass insbesondere Ehen mit 15 und mehr Jahren Dauer aufgelöst werden. Laut den Erkenntnissen von Fachpersonen spielen dabei eine ganze Reihe von Gründen eine Rolle:

«Das traditionelle Rollenmodell mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Versorgerin der Kinder und des Haushalts hat sich gewandelt. Die Aufgaben in der Partnerschaft müssen mittlerweile flexibel angepasst werden.»
Adrian Zeller

Dies kann zu Verunsicherung, Missverständnissen und zu Zank führen. Die Vorstellungen über das gemeinsame Leben in der zweiten Lebenshälfte sind nicht immer kompatibel.

Manche Frauen möchten nach der Kinderphase durchstarten und sich beruflich oder auch in einem politischen Amt entfalten. Im Gegensatz dazu haben ihre Männer um die Fünfzig ihre berufliche und gesellschaftliche Position erreicht. Für sie steht in der Regel kein Neuanfang auf dem Lebensprogramm, sie wollen ihre Zeit bis zur Pensionierung gut über die Runden bringen und freuen sich auf die Zeit, wenn sie Verantwortung ablegen können. Diese sehr unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven können zu zunehmenden Spannungen führen. Manche Männer fühlen sich durch die ausserhäuslichen Aktivitäten ihrer Partnerinnen vernachlässigt. Diese ihrerseits fühlen sich durch Vorwürfe eingeengt.

«Befragungen zeigen, dass sich die Mehrheit der Männer in Partnerschaften im fortgeschrittenen Alter von ihren Partnerinnen unterstützt fühlen, jedoch nur eine Minderheit der Frauen empfindet sich von ihren Ehegatten mitgetragen.»
Adrian Zeller

So erging es Bettina Ehrbar (Name geändert). Als ihre beiden Söhne im Schulalter waren, arbeitete sie in Teilzeit als Verkaufsberaterin in einem Einrichtungshaus für Wohnaccessoires. Ihr Mann führte einen Kleinbetrieb im Bereich Holzverarbeitung. Als die Söhne flügge wurden, bot sich für Bettina Ehrbar eine Chance: Sie konnte ein Geschäft für Lebensmittelspezialitäten aus Südfrankreich, Italien, Spanien und Griechenland übernehmen. Von so einer Gelegenheit hatte sie schon lange geträumt. Ihr Mann versuchte immer wieder, ihr das Projekt auszureden. «Ich ertrug seinen ständigen Pessimismus immer weniger», erzählt sie. Es kam zur Trennung und schliesslich zur Scheidung.

Neben unterschiedlichen Vorstellungen über den persönlichen Entwicklungsweg benennen Fachleute weitere Gründe für ein Partnerschaftsende nach Fünfzig: gehäufter übermässiger Alkoholkonsum, schwierige Kommunikation sowie das Gefühl von Vernachlässigung.

Nach der Trennung: Wie gehe ich damit um?

Wenn eine lange Partnerschaft abrupt zu Ende geht, spielen die Gedanken und die Emotionen verrückt. Eine über Jahrzehnte aufgebaute gemeinsame Existenz liegt in Trümmern. Gefühle wie Wut, Ängste und Schmerz sowie Selbstvorwürfe gehören dazu. Es ist wichtig, dass man sich diese schwierige Phase nicht allzu schwer macht. Wohlwollen und Fürsorge sich selbst gegenüber sind jetzt wichtig; Schuldzuweisungen bringen niemanden weiter.

So lässt sich Liebeskummer auch in der zweiten Lebenshälfte leichter bewältigen: Akzeptieren Sie all Ihre Gefühle, auch wenn sie noch so widersprüchlich sein mögen; sie gehen vorüber. An einem alten Kissen oder einem Ball kann man Wut und Schmerz abreagieren. Gehen Sie mit sich selbst jetzt besonders liebevoll und geduldig um.

Ziehen Sie sich nicht zu sehr zurück, suchen Sie den Kontakt zu Menschen, die Ihren Schmerz verstehen und die Ihnen wohlgesinnt sind. Wenn niemand im Umfeld zur Verfügung steht, ist die Telefonberatung der «Dargebotenen Hand» (Tel. 143) für Gespräche rund um die Uhr erreichbar.

Räumen Sie Fotos und alle Gegenstände Ihrer Ex-Partnerin oder Ihres Ex-Partners aus Ihrem Blickfeld; ständiges Erinnertwerden wirkt wie Salz in einer offenen Wunde.

Suchen Sie nach Veränderung in Ihrem Leben: Wollen Sie Ihre Wohnung neu streichen (lassen)? Haben Sie Lust auf einen neuen Haarschnitt? Wie wäre es mit einer Städtereise?

Aber Vorsicht: Unkontrolliertes Alkoholtrinken und Tablettenschlucken sind keine auf Dauer wirksame Hilfe gegen Liebeskummer.