Familien sind mehr als Wohngemeinschaften auf Zeit, sie sind vielmehr verschworene Bündnisse. Was macht sie stark?
Für die Kinder ist die Familie so etwas wie die Grundschule des Lebens, in ihr üben sie, Beziehungen zu gestalten und auf die unterschiedlichen Herausforderungen des Lebens angemessen zu reagieren. Die Zugehörigkeit zu einer Familie gebe uns Schutz und das Gefühl, in der Welt verankert zu sein, schreibt die Psychologin und Autorin Sabine Conrad. «Jede Familie hat ihre positiven und stärkenden, aber auch ihre dunklen Seiten, ihre Geheimnisse, ihre Verletzungen.»
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts sassen in der Schweiz unzählige Familien am Samstagabend vereint vor dem Fernsehgerät und schauten eine Unterhaltungsshow. Alle Familien waren ähnlich strukturiert: Die Mutter versorgte den Haushalt und kümmerte sich um die Kinder, der Vater war das Oberhaupt und für das Einkommen zuständig.
Diese Zeiten sind längst passé. Heute ist das Familienleben sehr vielfältig geworden, und die Formen haben sich aufgefächert: etwa in binationale Familien, Patchworkfamilien, Wohngemeinschaftsfamilien, Mehrgenerationenhäuser, getrennte Familien und auch in Familien mit einem gleichgeschlechtlichen Elternpaar. Wer für das Einkommen und wer für das Putzen, Wäschewaschen und für die Babypflege zuständig ist, war früher eindeutig geregelt; heute organisiert sich jede Familie nach eigenem Ermessen. Dies bringt neue Herausforderungen mit sich.
Das ehemals sehr einschränkende Rollenkorsett ist abgelegt, dies hat viele neue Freiheiten in der Familiengestaltung mit sich gebracht. Um sich in der heutigen Pluralität von Angeboten, Normen und Werten zurechtzufinden, benötigen die Kinder zur erfolgreichen Bewältigung des Alltags ein gutes Fundament.
Starke Wurzeln entwickeln sie in der Familie. Dort wird ihre Einstellung dem Leben gegenüber geprägt. Gehen die Söhne und Töchter Aufgaben mutig und voller Selbstvertrauen an oder fühlen sie sich als Verlierer, die sich rasch entmutigen lassen? Fühlen sie sich anerkannt, wertgeschätzt und ernst genommen? Oder fühlen sie sich übergangen, wenig unterstützt und oft überfordert? Gehen sie offen auf Menschen zu oder kommen sie kaum aus sich heraus? Die Samen zu den unterschiedlichen Verhaltensweisen werden in der Familie gelegt.
Forscherinnen und Forscher der Universität Hertfordshire in Grossbritannien wollten herausfinden, welche Faktoren darüber entscheiden, ob jemand auf der Sonnen- oder auf der Schattenseite des Lebens steht. Das Fazit der Wissenschaftler: Zwar glauben viele Menschen, das Leben meine es nicht gerade gut mit ihnen, oft sind es jedoch die Betroffenen selbst, die mehr oder minder unbewusst ihren Teil zu den Misserfolgen beitragen. Pessimisten und Zauderer haben seltener Erfolg, weil sie ganz einfach weniger wagen.
Die innere Einstellung hat einen überraschend grossen Einfluss auf die unbewusste Neigung, Fehler zu begehen und von Missgeschicken betroffen zu werden. «Untersucht man, was der Unterschied zwischen glücklichen und unglücklichen Menschen ist, so stellt man zur eigenen Überraschung fest, das glückliche Menschen durchaus auch Unglück, Leid, Schicksalsschläge und Schmerz kennen», schreibt die Pädagogin und Sachbuchautorin Lorelies Singerhoff. «Sie gehen nur ganz anders damit um als die Unglücklichen.»
Lernprozesse wirkten nachhaltiger, wenn dabei Widerstände zu überwinden seien, so der amerikanische Forscher Terrence Sejnowski.
Mit anderen Worten: Wenn Kindern in der Familie möglichst alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden, haben sie wenig Gelegenheit zur Entwicklung von Durchhaltevermögen. Im Weiteren können sie auch wenig Erfahrung im erfolgreichen Meistern von Problemen sammeln. Erfahren Kinder hingegen wenig Unterstützung der Eltern, sind sie häufig überfordert und entwickeln kaum Vertrauen in ihre Fähigkeiten.
Selbstwirksamkeit äussert sich beispielsweise im Durchsetzungsvermögen. Dabei prallen gelegentlich unterschiedliche Sichtweisen aufeinander.
Dass sich Familienmitglieder zwischendurch auch mal heftig streiten, ist der Beleg ihrer starken gefühlsmässigen Bindung. Es mag im ersten Augenblick paradox klingen, aber eine starke Familiengemeinschaft entwickelt sich auch über Konflikte, die zusammen ausgetragen werden. Die Harmonie in der Familie ist oft sehr fragil und muss immer wieder neu ausgelotet werden. Öfters kommt es dabei zu vorlauten Bemerkungen, zu Tränen und zu lautstark zugeschlagenen Türen. Über diese Auseinandersetzungen werden Ansprüche zum Ausdruck gebracht, Grenzen gezogen und gemeinsame Werte gefestigt.
Manche Kinder suchen geradezu die Konfrontation, durch provozierendes Verhalten wollen sie Aufmerksamkeit und Zuwendung erreichen. Sie wollen sich versichern, dass sie den übrigen Familienmitgliedern nicht gleichgültig sind. Zudem wollen sie erfahren, ob die Eltern auch zu ihnen halten, wenn sie sich gelegentlich kratzbürstig und widerspenstig verhalten. Wenn Kinder kaum je Widerstand erfahren, haben sie wenig Anregungen, um ihre Stellung in der Familie weiterzuentwickeln; kein Kind will auf ewig das umsorgte Baby bleiben.
Durch Konflikte trainieren Kinder ihr Verhandlungsgeschick, ihre Kompromissfähigkeit und die Bereitschaft zur Versöhnung. Gut entfaltete Fähigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich sind für ein erfolgreiches Meistern des Lebens essenziell. Ob in der Schule, in der Verwandtschaft, im Verein oder am Arbeitsplatz: Immer wieder prallen unterschiedliche Interessen aufeinander, die in Einklang zu bringen sind.
Die Eltern können sie unterstützen, indem sie ihnen die unterschiedlichen Sichtweisen in einem Konflikt aufzeigen. Dadurch lernen die Kinder Einfühlungsvermögen, das für das erfolgreiche Bewältigen von Meinungsverschiedenheiten entscheidend ist.
Jedes Kind ist ein Individuum, das sein persönliches Entwicklungstempo und sein eigenes Temperament hat. Dies gilt es bei der Erziehung zu berücksichtigen. Manche Eltern stellen sehr hohe Ansprüche punkto Erziehung an sich, sie wollen ja alles richtig machen und jedem Kind so gerecht als möglich werden.
Manche Kinder sind sehr geschickt darin, sich viel Aufmerksamkeit zu sichern. Andere sind introvertiert und kommen nur wenig aus sich heraus, sie holen sich kaum aktiv Zuwendung. Sie stehen rasch im Schatten von Geschwistern, die sich leichter bemerkbar machen können. Töchter und Söhne haben ein feines Sensorium dafür, ob die Eltern zwar körperlich anwesend, in Gedanken aber ständig an einem ganz anderen Ort sind und damit ihre Kinder kaum richtig wahrnehmen. Das Gefühl der gegenseitigen Anteilnahme ist entscheidend für die Verbundenheit in der Familie.
Wie die Forschung gezeigt hat, wirken gemeinsame Rituale in hohem Mass stärkend für eine Gemeinschaft, beispielsweise regelmässige, gemeinsam eingenommene Mahlzeiten.