Umgang mit Phobien
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Ängste spielten in unserer Evolutionsgeschichte eine wichtige Rolle, sie schützten schon unsere Urahnen vor Gefahren. Angst ist ein normales Gefühl, das wir in einer bedrohlichen Situation empfinden. Doch viele Menschen haben auch dann Angst, wenn keine reale Gefahr besteht.

Lösen an sich ungefährliche Objekte oder Situationen unangemessen starke Angstgefühle aus, spricht man von einer Phobie. «Oft gehen Phobien mit Panikzuständen, also mit heftigen Angstattacken einher, die Betroffene nicht kontrollieren können», erklärt Dr. med. René Bridler, der ärztliche Direktor des Sanatoriums Kilchberg. Die Ängste können sich im Lauf des Lebens spontan verändern oder verschwinden. Phobien sind gelernte Ängste, die man auch wieder verlernen kann. Häufig haben die Betroffenen aber während langer Zeit damit zu kämpfen.

Verschiedene Formen

Phobien lassen sich in drei Gruppen einteilen:

Eine erste Gruppe bilden die spezifischen Phobien, die auf eng umschriebene Situationen beschränkt sind: Hierzu zählen zum Beispiel Ängste vor Tieren wie Spinnen, Mäusen oder Schlangen, vor grosser Höhe, Dunkelheit, geschlossenen Räumen oder Donner. Die Liste der spezifischen Phobien ist endlos.

Eine weitere Gruppe umfasst die sozialen Phobien, also Ängste vor prüfender Betrachtung durch Mitmenschen oder davor, sich in einer kleinen Gruppe peinlich zu verhalten.

Die dritte Gruppe bildet die Agoraphobie: Hier entstehen Ängste zum Beispiel in Warenhäusern, in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Gedränge oder beim  Überqueren eines weiten Platzes.

Agoraphobie

René Bridler erläutert: «In dieser Situation befürchten Betroffene, die Kontrolle über sich zu verlieren, auszuflippen oder sich peinlich zu verhalten, ohne die Situation rechtzeitig verlassen oder Hilfe erhalten zu können.» Ein Agoraphobiker steht zum Beispiel im Einkaufszentrum in einer langen Schlange vor der Kasse, beginnt zu schwitzen, verspürt Kurzatmigkeit, Herzrasen und Schwindel und erlebt Todesangst. In solchen Situationen werden nicht selten Notfallärzte beigezogen, die einen normalen körperlichen Befund feststellen und eine Beruhigung bewirken. Oft erfährt die betroffene Person erst nach mehreren derartigen Ereignissen, dass sie an einer Agoraphobie leidet.

Umgang mit Phobien

In der Folge vermeidet sie solche Situationen, tätigt ihre Einkäufe in einem kleineren Geschäft oder zu Zeiten, wenn weniger Menschen unterwegs sind. Einige Menschen mit Agoraphobie schränken ihren Lebensradius massiv ein und bewegen sich zum Beispiel nur noch im Taxi fort oder lassen sich alles nach Hause liefern. Sie versuchen, den für sie bedrohlich wirkenden Situationen auszuweichen, was zwar verständlich ist, die Phobie aber verstärkt und zusätzliche Probleme mit sich bringt. Im Extremfall kann eine Agoraphobie zum sozialen Rückzug und zu Einsamkeit führen.

Eine Agoraphobie kann auch in anderen Situationen auftreten. So gibt es Menschen, die aufgrund dieser Phobie nicht mit dem Zug, dem Bus oder dem Tram reisen können oder in Tunnels panische Angst erleiden; hier besteht ein fliessender Übergang zur spezifischen Phobie.

Körperliche Symptome bei Phobien

Da es sich bei allen Phobien um Angsterkrankungen handelt, sind sie immer auch von körperlichen Symptomen begleitet, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Laut René Bridler sind Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Mundtrockenheit, Atemprobleme, Kribbeln in den Händen, Schwindel,
ein beklemmendes Gefühl, Druckempfinden im Brustbereich oder auch Stuhldrang typische Zeichen einer Phobie.

Manche Betroffenen erleben Gefühle der Entfremdung, das heisst, sie kommen sich vor wie in einem Film. Andere befürchten zu stürzen, ohnmächtig zu werden oder gar zu sterben.

Ursachen von Phobien

Für Phobien sind mehrere Ursachen und Begleitumstände verantwortlich. Ängste treten familiär gehäuft auf, auch frühkindliche Erlebnisse spielen eine wichtige Rolle. Bekannt ist zudem, dass sich Ängste von den Eltern auf die Kinder übertragen können. Aber auch eigene Erlebnisse oder beobachtete Ereignisse können zu einer Phobie führen. Wer zum Beispiel beobachtet hat, wie jemand vom Sessellift gefallen ist, wird sich möglicherweise nach diesem Erlebnis zunächst vor Sesselliften und mit der Zeit vielleicht auch vor anderen Bergbahnen fürchten.

Mögliche Folgen: Vermeidungsstrategien

Bei allen Phobien besteht die Gefahr, dass sich die Betroffenen Vermeidungsstrategien ausdenken, um weitere Ängste zu vermeiden. Man bezeichnet dies als Angst vor der Angst. «Bei längeren Krankheitsverläufen ohne Behandlung besteht die Gefahr einer Ausweitung der als gefährlich eingestuften Situationen oder Objekte, wodurch sich der Lebensradius der Betroffenen allmählich einschränkt», erklärt René Bridler. Spontan etwas zu unternehmen, werde für Personen mit einer schweren, generalisierten Agoraphobie beinahe unmöglich.

Behandlungsmöglichkeiten

Phobien müssen nicht zwingend behandelt werden. René Bridler dazu: «Es kommt darauf an, wie sehr die Phobie das Leben der betroffenen Person einschränkt. Wer zum Beispiel an Flugangst leidet, aber nur alle zwei Jahre mit dem Flugzeug in die Ferien reist, kann in dieser Situation auch ein Beruhigungsmittel einnehmen. Ein Geschäftsmann, der hingegen fast wöchentlich fliegt und jedes Mal von Ängsten geplagt wird, sollte eine Behandlung in Betracht ziehen.»

Phobien lassen sich in der Regel sehr gut behandeln. Der Erfolg hängt allerdings wie bei jeder Behandlung auch davon ab, ob sich die betroffene Person darauf einlassen will. Bei der Behandlung kommen Medikamente, die auch als Antidepressiva bekannt sind, zum Einsatz. Beim Entscheid spielen der Wunsch der betroffenen Person, die Dauer der Erkrankung, das Auftreten von Panikattacken und auch allfällige Begleiterkrankungen — beispielweise eine Depression — eine wichtige Rolle. Mit Hilfe von sogenannten selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, einer wichtigen Gruppe der Antidepressiva, verringern sich die Panikattacken oder verschwinden ganz.

Angst aushalten und  Konfrontation suchen

Bei Phobien helfen auch psychotherapeutische Methoden. Bewährt hat sich laut René Bridler die kognitive Verhaltenstherapie: «Betroffene erhalten in einem ersten Schritt viele Informationen über Ängste und lernen, dass Panikattacken nicht im eigentlichen Sinn bedrohlich sind. Oder anders gesagt: Ängste sind zwar unangenehm, aber man kann sie aushalten.» Da viele Betroffene während einer Panikattacke zu schnell und zu viel atmen, lernen sie, ihre Atmung zu kontrollieren. Primäres Ziel der Therapie sei nicht, die Angst zum Verschwinden zu bringen, sondern sie auszuhalten beziehungsweise zu beherrschen. Für Betroffene heisst das, auf das Vermeidungsverhalten zu verzichten und in der Angst auslösenden Situation auszuharren.

Konfrontationsübungen

Es gibt zwei Methoden: Bei der einen konfrontiert sich der Betroffene mit immer stärker Angst auslösenden Situationen oder Objekten; bei der zweiten Methode setzt er sich nach entsprechender Vorbereitung direkt der maximalen Angstsituation aus. In der Therapie verspüren die Betroffenen unweigerlich
die Angst, die sie vielleicht während Jahren vermieden haben. Während den Konfrontationsübungen sollen sie sich ganz auf das Angsterleben und die damit verbundenen körperlichen Beschwerden konzentrieren und zum Beispiel ihre Angst protokollieren. Wichtig ist, dass der oder die Betroffene so lange in der Situation verbleibt, bis die Angst allmählich abnimmt und deutlich unter das Anfangsniveau absinkt.