08. Oktober 2020

Vater werden ist nicht schwer …

Vater werden ist nicht schwer …
Lesezeit ca. 8 min

Väter spielen für die Entwicklung ihrer Söhne eine ganz wichtige Rolle. Diese Rolle ist wichtiger, als viele denken.

«Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr»

Dieses uralte Sprichwort bringt die Sache auf den Punkt (so wie übrigens viele andere Sprichwörter auch). Das wissen wohl alle Männer, die einen Sohn haben. Allerdings – und das ist die Schwierigkeit – weiss man das nicht schon im Voraus. Zu dieser Erkenntnis kommt man als Vater erst nach und nach.

Kommt ein Sohn auf die Welt, so ist das für einen Vater anfänglich noch relativ einfach. Zu Beginn ist meist die Mutter mit dem Kind beschäftigt (zum Beispiel zum Stillen), zudem unterscheiden sich im Babyalter Knaben und Mädchen nicht wirklich gross. Doch nach und nach wird für Väter klar, dass sie für ihre Söhne wirklich wichtig werden; spätestens dann, wenn die Söhne in die Pubertät kommen. Auch wenn das nicht immer alle Väter merken: Für einen pubertierenden Jungen ist der Vater ein Vorbild. Er ist der grosse und starke Mann, an dem sich Knaben orientieren («so wie mein Vater möchte ich auch werden»). Je besser dann das Verhältnis vom Vater zum Sohn ist, desto positiver verläuft die Entwicklung des Sohnes.

«Wenn man keinen guten Vater hat, so soll man sich einen anschaffen», sagte beispielsweise Friedrich Nietzsche. Und tatsächlich ist es so: Pubertierende Knaben, deren Väter inexistent sind, weil sie entweder gar nicht da sind oder ihre Rolle als Vater verweigern, suchen sich ausserhalb der Familie eine männliche Bezugsperson, an der sie sich orientieren können. Das kann ein Verwandter sein, ein Lehrer oder auch ein Trainer in einem Sportverein.

«Fehlt der Vater (oder eine entsprechende Vaterfigur), führt das bei Knaben zu Orientierungslosigkeit und nicht selten zu Problemen in der Entwicklung.»
Albin Rohrer

Der Vater als Vorbild

Väter sind für ihre Söhne immer Vorbilder. Ein idealer Vater hat handwerkliches Geschick, kann logisch denken und ist kreativ. Er kann dem Sohn helfen, eine Seifenkiste zu bauen oder beim Fahrrad die Kette wieder einzuhängen; er weiss, wie man einen kleinen Bergbach staut, er kann auf einen Baum klettern, er kann bei den Mathematikaufgaben helfen; er kann dem Sohn das Offside beim Fussball erklären und er kann alle tausend Fragen altersgerecht beantworten, die sein Sohn ihm stellt.

Vater werden ist nicht schwer …

Ein idealer Vater vermittelt dem Sohn aber auch soziale Kompetenzen. Zuverä ssigkeit zum Beispiel, oder Ehrlichkeit. So darf er ruhig dem Sohn auch einmal erklären, dass er auf eine bestimmte Frage keine Antwort hat. Ein idealer Vater vermittelt dem Sohn eine gewisse Unerschrockenheit (ohne dabei aber rücksichtslos zu sein).

«Ein idealer Vater vermittelt dem Sohn in allen Belangen Stärke. Aber: Stark sein heisst nicht unbedingt, immer alles zu wissen und zu können; stark sein bedeutet vielmehr, auch zu seinen Schwächen stehen zu können.»
Albin Rohrer

Wenn ein Vater seinem Sohn erklären kann, dass er irgendetwas nicht kann oder nicht weiss, so macht das dem Sohn mehr Eindruck, als wenn ein Vater so tut, als ob er alles wüsste und alles könnte.

Männliche Anerkennung

Alle Kinder (nicht nur Knaben) brauchen Anerkennung. Diese holen sie sich in der Schule oder in der Gruppe mit anderen Kindern, ganz besonders aber bei den Eltern. Erhält ein Knabe genügend Anerkennung auch von seinem Vater, so unterstützt das seine Entwicklung zum Manne. Dies umso mehr, weil viele Knaben in ihrem Alltag vor allem im Kontakt mit Frauen sind. Die meisten Knaben verbringen mit ihren Müttern mehr Zeit als mit ihren Vätern, ausserdem werden sie im Kindergarten und in der Schule vorwiegend von Frauen betreut (in den unteren Schulstufen überwiegen die weiblichen Lehrpersonen deutlich).

Gesunde Konflikte und Konkurrenz

In der Pubertät sind Konflikte aller Art unvermeidlich. Dabei ist für jeden Knaben der Vater ganz zentral. Er ist dann oft nicht mehr Freund, sondern eben Feind. Knaben «reiben» sich gerne an ihren Vätern. Einerseits orientieren sie sich an ihnen, andererseits treten sie in Konkurrenz zu ihnen. Das zeigt sich ganz besonders im Spiel oder beim Sport. Für einen Knaben ist es wichtig, irgendwann schneller die Skipiste herunterrasen zu können als sein Vater, oder ihn beim Tischtennis besiegen zu können.

Und gleichzeitig beginnt der Sohn in der Pubertät auch, sich von den Eltern (und vom Vater) abzunabeln. Zunehmend will er mehr alleine unternehmen, er will beweisen, was er alles kann und was er weiss. Ein guter Vater lässt dem Sohn genügend Raum, selbst Erfahrungen machen zu können; bleibt aber als schützende Hand stets im Hintergrund, um den Sohn falls notwendig wieder auffangen zu können.

Vater werden ist nicht schwer …

Ein Beispiel können sich Väter bei den Adlern holen: Wenn ein junger Adler eine gewisse Grösse erreicht hat und wenn es Zeit geworden ist, das Fliegen zu lernen, dann stösst der Adlervater sein Junges aus dem Nest. Der Vater folgt dann dem Jungen. Öffnet das Junge die Flügel und fliegt es, so lässt der Adlervater das Junge fliegen. Öffnet das Junge die Flügel nicht und droht ein Absturz in die Tiefe, dann schnappt sich der Adlervater das Junge wieder, bringt es zurück ins Nest und startet später einen weiteren Versuch. Dies tut ein Adlervater solange, bis der Jungvogel fliegt – und dadurch selbstständig wird.

Vertrauen schaffen

Väter sollten übrigens nicht immer nur den «starken Mann» zeigen. Sie dürfen ihren Söhnen auch ihre weiche Seite zeigen und sie auch einmal in die Arme nehmen, statt sie anzuschreien. Das schafft Vertrauen. Auch gemeinsame Rituale schaffen Vertrauen. Doch das braucht Zeit. Väter, die sich nur Zeit nehmen für ihren Job und ihre Kinder als «nettes Hobby» betrachten, gehören sicher nicht zu den idealen Vätern. Knaben wollen zusammen mit ihren Vätern etwas erleben. Auch Ungewöhnliches, Verrücktes, vielleicht sogar auch Gefährliches oder Verbotenes. Dann liegt es an den Vätern, gesunde Grenzen zu ziehen. Einerseits den Bedürfnissen der Knaben Rechnung zu tragen, andererseits aber zu wissen, wie weit man gehen kann, ist gar nicht immer so einfach (Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr …).

Dazu kommt ja noch, dass nicht jedes Kind dieselben Bedürfnisse hat. Väter, die mehr als einen Sohn haben, können davon ein Lied singen …

Väterliche Dominanz und Strenge

Früher war die Beziehung zwischen Vätern und Söhnen geprägt durch Dominanz und Strenge. Väter schienen übermächtig, die Söhne mussten gehorchen. Dies passierte aufgrund des früheren Selbstverständnisses der Männer und der vorherrschenden autoritären Erziehungsstile. Viele junge Männer litten früher unter der Dominanz ihrer Väter.

So zum Beispiel auch Mozart. Sein Vater war gnadenlos streng mit ihm und versuchte ihn selbst dann noch zu steuern und zu beeinflussen, als Mozart längst erwachsen war. Auch Franz Kafka litt – wie er oft betonte – unter der Dominanz seines Vaters, dem materielle Entbehrungen und die gesellschaftliche Stellung der Familie offenbar wichtiger waren als die Entwicklung seines Sohnes. Franz Kafka war ein scheuer und sensibler Junge, gerade er hätte einen verständnisvollen und nicht so superstrengen Vater gebraucht.

Ähnlich erging es übrigens auch Michael Jackson, dessen Vater ausserordentlich streng und unnachgiebig war. Drill, Anweisungen und oft auch Schläge, wenn etwas nicht nach Vaters Geschmack lief, führten dazu, dass sich Michael Jackson später gegen seinen Vater auflehnte und begann, ihn zu hassen. War die Härte des Vaters ein Grund dafür, dass sich Jackson in den folgenden Jahren immer öfter Schönheitsoperationen unterzog, seine Haut bleichen liess, um seine Herkunft zu verleugnen oder gar zu vergessen? Ein Zusammenhang ist nicht gesichert, lässt sich aber vermuten.

Konflikte zwischen Vätern und Söhnen wird es immer geben. Gute Väter versuchen, ihre Söhne zu selbstständig denkenden Menschen zu erziehen. Und: Ein Sohn muss nicht so werden, wie der Vater ist; vielleicht hat er ganz andere Wünsche und Prioritäten. Vielleicht sogar die besseren als der Vater …