Vogelbeerbaum
Lesezeit ca. 5 min

Der Vogelbeerbaum, auch Eberesche genannt, wächst in ganz Europa vom Nordkap bis nach Sizilien, ja selbst auf Island ist er heimisch. Die Beeren sind entgegen der verbreiteten Meinung nicht giftig, sondern nach Entbitterung sehr gesund.

Namensgebung

Der Vogelbeerbaum (Sorbus aucuparia) ist im Herbst von besonderer Schönheit mit seinen orangerot gefärbten Fiederblättern und den leuchtend roten Beeren. Volksnamen wie Gimpelbeere, Drosselbeere oder Krammetsbeere (Krammet ist ein alter Name für Drossel) kommen nicht von ungefähr. Gut 60 Vogelarten, aber auch Siebenschläfer, Haselmaus und weitere Kleinsäuger lieben die Früchte, die botanisch gesehen zum Kernobst gehören. Blätter und Knospen schmecken zudem Rehen und Hirschen.

Die Vorliebe der Vögel für die Beeren wurden früher zum Vogelfang genutzt. Der lateinische Name «aucuparia» stammt denn auch von avis (Vogel) und capere (fangen). Weitere längst vergessene Namen sind Quitsche oder Queckbeere. Sie leiten sich von quicken oder quecken ab, was «lebendig machen» bedeutet. Die Vogelbeere strotzt vor Lebendigkeit, vermehrt sie sich doch nicht nur durch Samen, sondern auch über Ableger, Wurzel- und Stockausschläge. Ihre Ruten wurden früher genutzt, um symbolisch Lebenskraft und Fruchtbarkeit auf Haustiere zu übertragen.

Vogelbeerbaum (Sorbus aucuparia)

Botanik

Der Baum aus der Familie der Rosengewächse bleibt mit 15 Metern Höhe recht klein und wird rund 100 Jahre alt. Er ist ein typischer Pionierbaum, der mit jedem Standort zurechtkommt. Durch seine weit- und tiefreichenden Wurzeln wirkt er der Erosion entgegen, was bei Wildbach- und Lawinenverbauungen eingesetzt wird. Das Herbstlaub zersetzt sich rasch und hilft beim Humusaufbau in den oft kargen Böden. Die weissen Blüten riechen nach Fisch und locken so Fliegen und Käfer an, aber – dank Nektar und Pollen – auch Bienen.

Eine Besonderheit hilft der Vogelbeere an Extremstandorten zu überleben: Sie besitzt unter der glatten Rinde der jungen Zweige Chlorophyll und kann damit auch im laublosen Zustand Photosynthese betreiben. Obschon sie an oft lebenswidrigen Standorten wächst, Kälte, Wind und karge Böden erträgt, strahlt sie eine unbeschwerte Verspieltheit aus.

Mythologie und Bräuche

Die Schöpfungsgeschichte der Kelten erzählt, dass die erste Frau eine Vogelbeere, der erste Mann eine Erle gewesen sei. In der nordischen Mythologie rettete der kleine Baum den mächtigen Thor, der in einen reissenden Fluss gefallen war, indem er ihm einen seiner Zweige entgegenstreckte. So konnte sich Thor festhalten und sich ans Ufer ziehen. Zum Dank verschonte er die Vogelbeere fortan vor seinen Blitzen. Kränze aus Vogelbeere vor den Fenstern oder auf dem First sollten deshalb das Haus vor Blitzschlag schützen.

Ganz allgemein galt sie als Schutzbaum, sei es vor Hexen oder bösen Zaubern. In Schottland war es schlicht ein «Muss», eine Vogelbeere vors Haus zu pflanzen. In einigen Gegenden wurden Gerätschaften zur Butterherstellung aus ihrem Holz gemacht, um buttermindernden Zauber abzuwehren. Neue Tiere auf dem Hof erhielten einen Absud aus Vogelbeeren zu trinken. Das war zwar ein Abwehrzauber gegen Krankheiten und Verhexung, hatte aber dank der gesundheitlichen Wirkungen der Beeren auch einen realen Hintergrund. Die Vogelbeere wurde so hochgeschätzt, dass es vielerorts als Frevel galt, sie zu fällen.

Ungiftig nach Entbitterung

Meist werden Kinder vor den Vogelbeeren gewarnt, sie seien giftig. Doch das ist nicht ganz richtig. Die rohen Beeren können durch ihre Bitterstoffe zwar den Magen reizen, doch sie sind so bitter, dass niemand grosse Mengen davon verzehrt.

Durch Frost, einfrieren oder kochen wird die bittere Parasorbinsäure in Sorbinsäure umgewandelt, die Früchte können jetzt bedenkenlos gegessen oder zu Saft, Marmelade oder Schnaps verarbeitet werden.

Vogelbeerbaum (Sorbus aucuparia)

Wertvolle Inhaltsstoffe

Im Norden sind die getrockneten Früchte eine wertvolle Nahrungsergänzung im Winter, denn sie sind reich an Vitamin C, Provitamin A und Mineralien. Sie regen den Stoffwechsel an, wirken bei Erkältungen schleimlösend und helfen bei Heiserkeit. Die Beeren regen die Nieren an, sind entzündungshemmend und gelten als blutreinigend. Sie stärken zudem die Leber, beruhigen den Magen, helfen bei Durchfall und werden auch bei Rheuma und Arthritis angewendet. Interessant ist ihr Einsatz bei Grünem Star zur Senkung des Augeninnendruckes.

Neben den erwähnten Vitaminen enthalten sie ätherische Öle, Anthocyane, Carotinoide, Gerbstoffe, Bitterstoffe, organische Säuren und Amygdalin.

Entzündungshemmend, stoffwechselanregend und blutreinigend

In der Gemmotherapie werden die sich öffnenden Frühlingsknospen verwendet. Das Mazerat verbessert den Lymphfluss und den venösen Kreislauf. Es wirkt entzündungshemmend, stoffwechselanregend und blutreinigend.

«Es hilft bei Krampfadern, Venenentzündungen und fördert die Mikrozirkulation des Blutes.»
Ursula Glauser-Spahni

Die Vogelbeere wirkt einer Übersäuerung entgegen, lindert rheumatische Erkrankungen und Gicht. Sie hilft bei Entzündungen der oberen Luftwege und bei Tinnitus. Und nicht zuletzt vermittelt sie Menschen mit eher düsterer Grundstimmung die lockere Unbeschwertheit der Vogelbeere.