Die Kraft des Waldes
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Shinrin Yoku ist eine Methode zur Gesundheitsprävention und Stressreduktion aus Japan. Die regelmässige und achtsame Auszeit im Wald verspricht positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit.

Was ist Shinrin Yoku?

Den Wald mit allen Sinnen und ganz bewusst wahrnehmen: den tannigen Duft der Nadel­bäume riechen, die Vögel zwitschern und die Blätter rauschen hören, die verschiedenen Schattierungen von Grün und Braun sehen, Rinde, Steine und Moose spüren. Diese Ein­drücke richtiggehend aufzusaugen – das ist Waldbaden oder Shinrin Yoku, so die japanische Bezeichnung. Aus dem Japanischen übersetzt bedeutet Shinrin Yoku «ein Bad in der Atmosphäre des Waldes nehmen». So ist Waldbaden denn auch viel mehr, als bloss spazieren.

Für Körper, Geist und Seele

Der Begriff Shinrin Yoku wurde Anfang der 1980er­-Jahre von Tomohide Akiyama, dem damaligen Leiter der japanischen Forstverwaltung, ins Leben gerufen. 1982 schlug das japanische Ministerium für Landwirtschaft, Forst und Fischerei Waldbaden zur Gesundheitsprävention vor.

«Seitdem gehört Shinrin Yoku in Japan zur Gesundheitsvorsorge und es ist nicht unüblich, dass der Arzt seinen Patienten verordnet, in den Wald zu gehen.»
Manuela Donati

Dass sich die Japaner dem Wald zuwenden, ist vor allem geografisch bedingt: Megastädten wie Tokio mit rund 40 Millionen Einwohnern steht ein Waldanteil von 67 Prozent Wald im ganzen Land gegenüber. Da sich Japan über mehrere Breitengrade erstreckt, ist dieser Wald durch unterschiedliche Klimazonen geprägt und sehr vielfältig: von klassischen Wäldern aus Laub­ und Nadelbäumen zu Mischwäldern mit Bambus und Magnolien bis zu subtropischen Wäldern mit Mangroven und Palmen. Mit seiner grossen Waldfläche ist Japan in der entwickelten Welt nach Finnland das Land mit dem grössten Anteil Wald.

Zum Vergleich: In der Schweiz sind rund 30 Prozent des Landes bewaldet.

Eigener Forschungszweig

Aus Shinrin Yoku hat sich in Japan ein eigener Forschungszweig entwickelt, die Waldmedizin. Diese untersucht, wie die Natur die Selbst­heilkräfte der Menschen anregen und unterstützen kann. Diverse Studien aus Japan belegen den positiven Effekt des Waldbadens.

«So soll Waldbaden das Immunsystem stärken, vor Herz­-Kreislauf-­Beschwerden schützen, psychische Erkrankungen wie Depression und Angstzustände lindern sowie die Konzentration fördern.»
Manuela Donati

Verantwortlich für diese ge­sundheitsfördernden Effekte sind die sogenannten Phytonzide. Das sind Abwehrstoffe, die Pflanzen ausströmen, um Parasiten ab­ zuwehren.

Bei Menschen aktivieren Phytonzide den Ruhemodus: Der Blutdruck und das Level des Stresshormons Cortisol sinken.

Die körpereigenen natürlichen Killerzellen, die Proteine zur Bekämpfung von Krebszellen freisetzen, werden durch Phytonzide eben­falls positiv beeinflusst. Deshalb empfehlen gewisse japanische Studien Waldbaden so­ gar zur Krebsprävention.

In der Zwischenzeit wird auch ausserhalb Japans geforscht. Eine Studie aus San Francisco empfiehlt Waldbaden zur Prävention von Stress und legt es besonders dem Personal im Gesundheitswesen als präventive Massnahme nahe. Shinrin Yoku ist in Südkorea, Taiwan, Malaysia und China ebenfalls fest in Kultur und Gesund­heitswesen verankert. Wegen der stressre­duzierenden Wirkung und als Gegentrend zur Digitalisierung findet Waldbaden auch in vielen westlichen Ländern immer mehr An­klang.

Shinrin Yoku – die Kraft der Natur

Atmen, staunen und schweigen

Auch in der Schweiz ist Shinrin Yoku angekommen. 2019 gründete Zoë D. Lorek das Waldbaden Institut Schweiz in Pfäffikon (ZH). Seitdem unterrichtet sie Waldbaden-Kurse, gibt Workshops und leitet die Weiter­bildung zur Kursleitung in der Schweiz. Seit ihrer Kindheit hat sie eine besondere Bezie­hung zum Wald, die sie in einer Auszeit wie­derentdeckte. «Der Aufenthalt im Wald gab mir seit jeher Energie, Klarheit und Zufriedenheit. Ich habe am eigenen Körper die ent­spannende und hilfreiche Wirkung des Waldes erfahren», sagt sie. Es bereite ihr viel Freude, diese Erfahrung durch ihre Arbeit weiterzugeben.

In den unterschiedlichen Kursen lernen die Teilnehmenden, sich mit all ihren Sinnen auf den Wald einzulassen. Es geht um das Atmen, Schweigen, Staunen und Entschleunigen, wie das Waldbaden Institut Schweiz auf sei­ner Webseite schreibt, kurz: um Achtsamkeit im Wald.

Shinrin Yoku – die Kraft der Natur

Durch ihre Tätigkeit als Kursleiterin realisierte Zoë D. Lorek, dass «der achtsame Aufenthalt im Wald tatsächlich ein grosse Wirkung auf die Menschen hat.» Zu Beginn seien die Menschen oft angespannt und im Wald geschehe dann eine Verwandlung mit ihnen.

«Ich habe erlebt, dass sie glücklich, zufrieden, erfüllt und teilweise beschwerde­frei nach Hause gehen.»
Zoë D. Lorek

Waldbaden – mit allen Sinnen

Ihre Kurse werden von den unterschiedlichs­ten Menschen besucht, wie Zoë D. Lorek erzählt. Gemeinsam ist allen Teilnehmenden, dass sie «eine Methode zur Entspannung und zur Gesundheitsprävention suchen, manche auch zur Regeneration. Viele der Kursteilnehmenden haben einen Bezug zur Natur und interessieren sich für den Wald.»

Natürlich kann das Waldbaden auch auf eigene Faust versucht werden. «Waldbaden ist für alle Personen geeignet, die selbständig gehen können», heisst es auf der Webseite des Waldbaden Instituts Schweiz. Neben zum Wetter passender Kleidung rät das Institut, das Handy auszuschalten und sich bewusst eine störungsfreie Auszeit zunehmen. Beim Waldbaden soll der Wald mit allen Sinnen anders als gewohnt erlebt werden. So lautet ein weiterer Tipp denn auch: «Vielleicht möchten Sie an einen Baum anlehnen oder auf den Waldboden liegen? Alles ist möglich, so­ lange Sie sich wohl fühlen.»

Shinrin Yoku – die Kraft der Natur

Mehr Informationen zum Waldbaden sowie Kurse und Workshops:

achtsamkeitimwald.ch