Unten auf der Strasse watschelt eine Stockente mit Küken umher. Offensichtlich haben sich die Kleinen gerade todesmutig von jener Dachterrasse gestürzt, auf der sie ihre Mama ausgebrütet hat.

Brutzeit in der Stadt

Ist da eben etwas Dunkles vom Himmel gefallen? Vorbei an meinem Wohnzimmerfenster im dritten Stock? Wupp …wupp … wupp-wupp … wupp … Eine Erklärung dafür habe ich auf die Schnelle keine. Also Augen reiben und kurz überlegen: Kann das denn überhaupt sein? Beim Blick aus dem Fenster dämmert es mir langsam. Unten auf der Strasse watschelt eine Stockente mit Küken umher. Offensichtlich haben sich die Kleinen gerade todesmutig von jener Dachterrasse gestürzt, auf der sie ihre Mama ausgebrütet hat.

Jetzt wollen sie ihr zum Zürichsee ans Wasser folgen – auf der Strasse quer durch die Stadt! Szenen, die sich während der Brutzeit in Zürich täglich abspielen. Bislang wusste ich davon allerdings nichts.

Dem Lebensraum angepasst

Einer, der das genau kennt, ist Patrick Huber von der Stiftung TierRettungsDienst. Seit sechs Jahren ist er hauptberuflich Tierrettungsfahrer und hilft Entenfamilien in Not wie «meiner». Über zweihundertmal im Jahr rücken er und sein Team aus, um sich um Stadtenten zu kümmern. Im Kanton Zürich, aber auch in anliegenden Gebieten. In einem Gespräch erklärt er, was es bei Rettungsaktionen im städtischen Getümmel zu beachten gilt:

Herr Huber, warum brüten Enten auf Dächern und Dachterrassen – mitten in der Stadt?

Durch Überbauungen schrumpft der Lebensraum vieler Tiere. Manche Arten wie beispielsweise die Stockente sind jedoch sehr anpassungsfähig und weichen auf andere Gebiete aus. Es handelt sich bei ihnen um sogenannte «Kulturfolger», das bedeutet, sie folgen dem Menschen in seinen Lebensraum und nutzen dadurch gewisse Vorteile: So ist die Stockente auf einem Hausdach zum Beispiel besser vor Feinden geschützt.

In welchen Monaten brüten Stockenten?

Das ist aufgrund des Klimawandels mittlerweile schwierig zu sagen. Normalerweise beginnt die Saison etwa Mitte März und dauert bis Ende September. Es gibt bereits im Februar brütende Enten. Gelegentlich kommt es zudem vor, dass sie zweimal im Jahr Nachwuchs bekommen.

Wie läuft die Brutphase grundsätzlich ab?

Die Brutzeit selbst dauert etwa 28 Tage, wobei sich die Mutter alleine um den Nachwuchs kümmert. Innerhalb eines halben Tages schlüpfen dann zwischen sechs und sechzehn Küken. Anfangs sind sie natürlich noch nass, weshalb die Mutter zunächst sechs bis zwölf Stunden auf ihnen sitzen bleibt. So kann der Nachwuchs erstmal trocknen. Dann fängt sie auch schon an, die Federchen einzufetten. Das ist wichtig, denn ohne Fett würden die kleinen Enten im Wasser untergehen.

Wann macht sich die Entenfamilie auf den Weg zum nächsten Gewässer?

Das geht relativ schnell, die Enten sind sogenannte «Nestflüchter». Sie kommen schon mit Flaum auf die Welt, können bereits sehen und hören. Sind alle Kükenfedern gründlich eingefettet, geht der Marsch zum Gewässer los: Die Mutter fliegt vom Hausdach hinunter auf die Strasse und fordert die Kleinen mit einem Lockruf auf, ihr zu folgen. Die Küken klettern aus dem Nest, watscheln zur Dachkante und springen dann nacheinander zu ihr hinunter.

Bis zu welcher Höhe können Küken einen solchen Sturz in die Tiefe überleben?

Ich habe es bereits erlebt, dass Tiere den Sprung von sechsgeschossigen Gebäuden überlebt haben. Während des Sprungs spreizen sie ihre Schwimmhäute und schlagen mit ihren Flügelchen schnell auf und ab. Dadurch wird die Landung abgedämpft und ist verhältnismässig weich. Zudem sind sie sehr leicht. Vereinzelt kommt es vor, dass sich ein Küken verletzt und stirbt.

Kommen Enten immer wieder an ihre alten Brutstellen zurück?

Ja. Wenn möglich brüten sie jedes Jahr am selben Ort.

Wie oft wird der TierRettungsDienst für Enteneinsätze gerufen?

In der Brutsaison rücken wir drei- bis fünfmal täglich aus. Das ist Stress pur. Es geht quasi von einer Entenfamilie zur nächsten. Zwischendurch sind wir froh, wenn wir zur Abwechslung ein anderes Tier retten können. (lacht)

Richtiges Verhalten während der Brutzeit

Wie reagieren, wenn eine Ente auf dem Dach brütet?

Wenn beobachtet wird, dass eine Ente immer wieder auf das Dach fliegt und versucht, sich dort ein Nest zu bauen, kann zunächst versucht werden, sie wegzuscheuchen. Sinnvoll ist es vor allem, potenzielle Nistmöglichkeiten mit einem Netz oder einer Folie abzudecken. Besonders gerne brüten Enten in bepflanzten Blumentöpfen. Ich habe es allerdings auch schon erlebt, dass sie auf einem Plastiksack mit Pflanzerde sassen.

Wenn sie bereits Eier gelegt haben, ist es verboten, sie zu stören. Dann muss abgewartet werden, damit die Ente ausbrüten kann. Enten sind Wildtiere, auch wenn sie in unserer Nähe leben. Das bedeutet, sie sollten grundsätzlich in Ruhe gelassen und weder Futter noch Wasser erhalten. Leider finden es viele Leute lustig, wenn sie Enten haben und gehen dicht ran. Doch das stresst die Tiere. Genauso wenig sollte eingegriffen werden, wenn bemerkt wird, dass die Eier alleine im Nest liegen. Das ist normal. Zweimal am Tag geht die Entenmutter auf Futtersuche und ist jeweils bis zu einer Stunde unterwegs.

Was tun, wenn Entenfamilien auf dem Weg zum nächsten Gewässer sind?

Wenn sich die Entenfamilie schon auf den Weg gemacht hat, sollte am besten die Polizei informiert werden, die die Enten dann durch die Stadt begleitet. Die Mutter weiss zwar, wo sich das Wasser befindet, wählt aber nicht unbedingt die «günstigste» Route. Womöglich läuft sie in eine Sackgasse. Es ist daher hilfreich, sie zu lotsen. Auch wir vom TierRettungsDienst machen das so. Als Passant kann zum Beispiel eine Jacke zur Hilfe genommen werden, um die Enten damit in die gewünschte Richtung zu treiben.

Dabei sollten Passanten der Entenmutter nicht zu nahekommen – sonst fliegt sie weg. Dann kann es durchaus länger dauern, bis sie sich wieder zurück zu ihrem Nachwuchs traut. Sie wird erstmal länger in der Luft kreisen und ihren Nachwuchs rufen.

Falls das Gewässer bereits in Sichtweite ist, könnten die Küken in ein offenes Behältnis gesetzt und direkt zum Wasser getragen werden. Jungtiere und Mutter müssen währenddessen in Kontakt bleiben können. Am Ufer gilt es so lange zu warten, bis die Mutter zu ihren Küken zurückgekehrt ist. Erst dann sollten die Kleinen aus dem Behältnis genommen werden, damit sie nicht panisch und orientierungslos auseinanderrennen.

Werden die Küken verstossen, wenn sie angefasst werden?

Grundsätzlich sollte vermieden werden, Wildtiere direkt anzufassen. Vögel haben allerdings keinen besonders guten Geruchssinn, und ihre Akzeptanz bezüglich Fremdgerüchen ist gross. In der Regel nehmen Elterntiere ihre Jungen wieder an. Vereinzelt schmuggeln wir Entenmüttern sogar fremde Küken unter: Es gibt Einsätze, bei denen wir einzelne Jungtiere finden, die zum Beispiel bei einer Stadtdurchquerung in einen Gullyschacht gefallen sind. Diese Tiere kommen dann zu uns ins Tierheim, bis wir zur nächsten Entenfamilie gerufen werden.

Ist es ratsam, eine Entenmutter einzufangen?

Nein, dafür sollte Hilfe geholt werden. Stockenten können enorme Kräfte entwickeln und man muss beherzt zupacken. Zudem sollte bedacht werden, dass sie wie ein Helikopter senkrecht losfliegen können. Entwischt ein Muttertier, ist es mühsam, die ganze Familie wieder zusammenzubringen. Dieser Stress sollte den Tieren erspart bleiben.

Wo melden, wenn ich bezüglich Enten Hilfe brauche?

Entweder Sie rufen die Polizei (117) oder Wasserschutzpolizei, die uns weitervermittelt. Oder Sie melden sich direkt beim TierRettungsDienst. Wir sind 24 Stunden täglich und an 365 Tagen im Jahr erreichbar.

Stiftung TierRettungsDienst – Leben hat Vortritt
Lufingerstrasse 1, 8185 Winkel
Tel. 044 864 44 00
Info@tierrettungsdienst.ch
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Notfallzentrale: 044 211 22 22