Yogatherapie: Schlüssel zur Gesundheit
Lesezeit ca. 6 min
Foto: Ester Studerus

Bei Schmerzen, chronischen Krankheiten und Lebenskrisen, nach Unfällen, bei Burn-out: Yogatherapie kann vielfältig zur Förderung der Gesundheit beitragen. Passgenau auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt, trägt man selbst zum Heilungsprozess bei.

An einem Montagmorgen im Yogastudio von Daniela Küng in Wetzikon: Die erste Teilnehmerin, die das Studio betritt, hat eine Weile den Yogaunterricht nicht mehr besucht, da sie ein Burn-out hatte. Sie ist auf dem Weg zur Besserung, nimmt noch Antidepressiva. Eine weitere Person der Yogagruppe ist gestürzt und hat sich das Knie verletzt; es schmerzt, wenn es belastet wird. Die Frau, die nun auf ihrer Matte Platz nimmt, hat Probleme mit den Handgelenken, Karpaltunnelsyndrom. Und jene junge Frau, die heute zum Schnuppern dabei ist, hat eine Hüftluxation.

«An diesem Vormittag», sagt Daniela Küng, «wird mir bewusst, dass ich mehr Wissen brauche: Wissen über Krankheitsbilder und wie ich im Yoga damit umgehen soll.»

Individuell angepasst

In ihrer langjährigen Tätigkeit als Yogalehrerin ist Daniela Küng immer wieder Menschen begegnet, die körperliche Beschwerden hatten, aber trotzdem am Unterricht teilnehmen wollten oder sie nach spezifischen Übungen fragten. «Ich hatte das Bedürfnis nach mehr Sicherheit im Umgang mit Beschwerden», fügt Küng an. Deshalb hat sie an der Yoga University in Villeret eine spezifische und umfassende Weiterbildung in Yogatherapie absolviert. Seither bietet Daniela Küng Yogatherapie an.

Die Idee dieses Ansatzes: Nach einem gründlichen Erstgespräch wird ein Programm erarbeitet, das spezifisch auf die Klient*innen zugeschnitten ist.

«Eine ganz individuelle Geschichte, da gibt es keine Patentrezepte im Sinne von: Diese Übung hilft bei diesen Schmerzen.»
Marcel Friedli

Der Übungsplan wird von Meeting zu Meeting ergänzt, verfeinert, angepasst. Dabei bedient sich dieser Ansatz der breiten Palette von Yoga und Verwandtem: Sie reicht von Körperhaltungen und Bewegungsabläufen über Atemübungen, Mantras bis hin zur uralten Yogaphilosophie.

Geduldig üben

Die Yogatherapie ist oft nicht das Erste, woran man denkt, wenn man Schmerzen hat. So auch eine Frau mittleren Alters, die zuvor verschiedene Medikamente und Therapien ausprobiert hat. Sie leidet unter diversen körperlichen sowie psychischen Beschwerden.

Daniela Küng gab ihr eine Atem- und Achtsamkeitsübung mit auf den Weg, mit welcher die Klientin auf einem Stuhl üben konnte. Nach drei Wochen kam sie mit einem Lächeln im Gesicht ins Studio und sagte, sie habe diese Übung jeden Tag gemacht – jetzt spüre sie sich selbst wieder. «Ihre Beschwerden waren nicht geheilt», sagt Daniela Küng, «aber ihr Zustand hatte sich in kurzer Zeit sichtlich verbessert.»

Auch Yogatherapeutin Tanja Wenger weiss von ähnlichen Entwicklungen zu berichten: Jemand findet nach einer Chemotherapie wieder Vertrauen zu sich und seinem Körper. Eine andere Person hat Rückenschmerzen und erfährt, dass sie deutlich gelindert werden. «Nicht nach nur ein oder zwei Sitzungen», präzisiert Tanja Wenger, «aber nach fünf Treffen waren die Schmerzen fast weg. Entscheidet sich jemand für eine Yogatherapie, kann viel geschehen.»

Den Schlüssel, damit sich etwas bewegen kann, hat jede*r selbst in der Hand. «Viele würden sich am liebsten hinlegen und die Therapie geschehen lassen», sagt Tanja Wenger. «Wie bei einer Massage, sodass sie selbst passiv bleiben können.» In der Yogatherapie seien indes Eigeninitiative und -motivation nötig: «Man soll neben den Therapiesitzungen regelmässig selbst üben und sich so mit sich und der Thematik auseinandersetzen.» Manchmal gehe es vielleicht nicht so schnell vorwärts, wie man es sich wünsche, sagt Tanja Wenger. «Oder die Übungen scheinen zu simpel, zum Beispiel eine Atem- oder Wahrnehmungsübung. Aber meistens ist es genau das, was der Mensch in diesem Moment braucht. Oft geht es darum, sich selbst wieder wahrzunehmen und zu beobachten – ohne dauernd zu beurteilen und zu verurteilen.»

Über Krankenkasse abrechnen

Zum Teil bezahlen die Teilnehmenden die Yogatherapie aus eigener Tasche. Damit mehr Menschen über die Zusatzversicherung ihrer Krankenkasse abrechnen können, ist es nötig, dass man als Therapeut*in ein Branchenzertifikat in Komplementärmedizin vorweisen kann und als weiteren Schritt den eidgenössischen Abschluss macht. «Damit auch jene Menschen die Yogatherapie in Anspruch nehmen können, die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, die Kosten selbst zu bezahlen», sagt Tanja Wenger. «Oft haben Klient*innen einen längeren Krankheitsverlauf hinter sich oder können aufgrund der Beschwerden einem regelmässigen Erwerb nicht mehr nachgehen.» Zurzeit haben noch verhältnismässig wenig Krankenkassen die Yogatherapie in ihren Methodenkatalog aufgenommen.

«Immer mehr Menschen», weiss Tanja Wenger, «interessieren sich für Unterstützung fernab der Schulmedizin oder in Kombination und Ergänzung mit einer aktuellen Behandlung. Die Yogatherapie bietet eine vielfältige Palette an Möglichkeiten. Für jede Person und für jede Situation ist wahrscheinlich das Passende und Stimmige dabei.»

«Es braucht Zeit»

Welchen Stellenwert, welches Potenzial hat Yogatherapie? Dazu Andrea Bürki, die sich in Komplementärtherapie auskennt.

Andrea Bürki, welchen Stellenwert hat Yoga in der Komplementärtherapie?

Alle zweiundzwanzig Methoden der Komplementärtherapie haben denselben Stellenwert und entsprechen dem Berufsbild Komplementärtherapeut*in.

Worin liegt Ihres Erachtens das Potenzial der Yogatherapie?

Ein zentraler Aspekt ist der therapeutische Prozess. Die Interaktion zwischen Therapeut*in und Klient*in ist wichtig. Weiter geht es darum, die Selbstwahrnehmung der Klientinnen und Klienten zu fördern, deren Selbstregulation und Genesungskompetenz zu stärken – dies über bereits vorhandene Res- sourcen oder solche, die während der Thera- pie gewonnen werden.

Warum ist die Yogatherapie nicht so bekannt?

Yoga ist in der breiten Öffentlichkeit insbe- sondere als Angebot für Gruppen bekannt – weniger als therapeutische Methode mit Einzelbehandlung. Je mehr Yogatherapeut*innen den anerkannten Berufsabschluss in Komplementärtherapie mit eidgenössischem Diplom erlangen, desto bekannter wird die Behandlungsmethode.

Wird die Yogatherapie von den Krankenkassen bezahlt?

Verglichen mit Methoden wie Craniosakraltherapie, Shiatsu oder Kinesiologie anerkennen Krankenkassen die Yogatherapie noch nicht oft. Die Versicherer bestimmen selbst, welche Methoden sie aufnehmen. Ist die Methode im Angebot und hat der/die Therapeut*in die geforderte Ausbildung, übernimmt die Krankenkasse einen Teil der Behandlungskosten – sofern die Klientin oder der Klient über eine Zusatzversicherung verfügt.

Als Klient*in in der Yogatherapie hat man also zurzeit finanziell schlechte Karten?

Es braucht Zeit, bis sich Yoga als therapeutische Methode bei weiteren Krankenkassen etablieren wird. Wir setzen uns bei den Versicherern dafür ein, dass Komplementärtherapie mit all ihren Methoden in Zukunft akzeptiert wird.