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Food Waste geht uns alle an. Rund ein Drittel aller Lebensmittel weltweit werden verschwendet oder gar vernichtet. Die Waste Warriors von Too Good To Go haben es sich zur Aufgabe gemacht, diesem Treiben ein Ende zu bereiten. Mit Country Managerin Alina Swirski habe ich über Ursachen, ihren täglichen Kampf und Lösungsansätze gesprochen.

Frau Swirski, wie gross ist der weltweite Anteil der Lebensmittel, die verschwendet werden?

Wir befassen uns tagtäglich mit diesem Thema. Weltweit wird mehr als ein Drittel aller Lebens­mittel, die für den menschlichen Konsum produziert werden, leider weggeworfen. Global betrachtet werden rund 2,5 Milliarden Tonnen Lebensmittel jährlich verschwendet oder gehen verloren (WWF, 2021). In der Schweiz liegt die Zahl bei 2,8 Millionen Tonnen Essen (Foodwaste.ch, 2019); pro Kopf entspricht das jährlich in etwa 330 Kilogramm. Anders ausgedrückt: In der Schweiz wandern jährlich rund 620 Franken pro Person in den Müll. Das sind alarmierende Zahlen, für deren Reduktion wir uns engagieren.

Wo befindet sich die Schweiz in diesem Ranking?

Viele sind der Meinung, dass die Schweiz aufgrund der hohen Aufklärung in diesem Bereich und der grossen Kaufkraft weniger davon betroffen ist. Dem ist leider nicht so.

Die Zahlen, die ich Ihnen genannt habe, sprechen eine andere Sprache. Je grösser die Kaufkraft und die Produktvielfalt, desto wichtiger ist es, die Menschen für das Thema Lebensmittelverschwendung zu sensibilisieren.

Foto von Alina Swirski

Food Waste ist der Überbegriff für …

… alles weggeworfene Essen, das für den menschlichen Verzehr produziert wurde. Abstrakt dargestellt ist es der Prozess vom Anbau in der Landwirtschaft bis zum Endprodukt auf dem Teller, bei dem Lebensmittel verschwendet werden können.

Worin liegen die Ursachen für Food Waste?

Passieren kann Lebensmittelverschwendung auf jeder Stufe der Lebensmittelproduktion und des Konsums: beim Anbau, bei der Verarbeitung, beim Verkauf oder auch beim Endkonsumenten. Zwei wesentliche Ursachen begünstigen meiner Meinung nach Food Waste: zum einen die fehlende oder ungenügende Aufklärung der Bevölkerung, besonders in Industrieländern. Zum anderen besteht ein Überangebot an Lebensmitteln, die wir uns jederzeit und womöglich an jeder Ecke leisten können. Vielen fehlt das Bewusstsein für die Wertschöpfungskette, aber auch für das Geld. Vielfach sind es beispielsweise «nur» fünf Franken, die den Weg in den Kübel finden. Dabei macht Kleinvieh bekanntlich auch Mist – oder anders ausgedrückt: Jeder Rappen zählt.

Wann und wie ist die Idee für Too Good To Go entstanden?

Die Idee entstand im Jahr 2016. Fünf Studen­ten sassen in einem Buffet-Restaurant in Dänemark und hatten sich gerade ihre Mahlzeiten bestellt. Im gleichen Moment bemerkten sie, wie eine Kellnerin das Buffet abräumte und die Nahrungsmittel in die Tonne wan­derten. Schlagartig waren sich die Freunde einig, dass dagegen etwas unternommen werden muss. Ursprünglich richtete sich die Mission der Waste Warriors ausschliesslich an Buffet-Restaurants. Nach dem Start in Dänemark im Jahr 2016 sind wir mittlerweile in 17 Ländern aktiv.

In der Schweiz begannen wir unseren Kampf gegen Food Waste im Sommer 2018. Die Akzeptanz ist überwältigend: Bisher konnten wir knapp fünf Millionen Mahlzeiten retten. Mit der CO2–Ersparnis, die wir seither erreicht haben, könnten Sie während der Dauer von 65 Jahren heiss duschen. Zudem arbeiten wir mittlerweile mit über 5200 Partnerbetrieben zusammen. Ausserdem haben sich bisher 1,6 Millionen Nutzerinnen und Nutzer über unsere App registriert – Tendenz steigend.

Welchen Hindernissen standen Sie anfangs gegenüber?

Zu Beginn lag die Schwierigkeit darin, die ersten Partner von unserer Mission und dem Konzept dahinter zu überzeugen. Damit meine ich nicht die Dorfbäckerei oder den Metzger Ihres Vertrauens; hier sind die Grosskonzerne gemeint. Das Glück spielte uns in die Karten, sodass wir in den ersten sechs Monaten einige Grossbetriebe mit ins Boot nehmen konnten, was sehr erfreulich war und uns in unserem Tun bestärkte.

Erläutern Sie das Konzept von Too Good To Go.

Waste Warriors, die uns unterstützen wollen, laden sich unsere App auf ihr Smartphone, registrieren sich mithilfe einer Mailadresse und los geht’s. Die App hilft Ihnen dabei, Unter­nehmen und Partner in Ihrer Nähe zu finden, die Essen vor Food Waste retten wollen und zum Kauf anbieten. Sie finden verschiedene Profile, über welche Sie Ihr Essen direkt bestellen können. Mithilfe eines Beleges und der festgelegten Abholzeit, meist handelt es sich um die letzte halbe Stunde vor Betriebs­schluss, können Sie sich Ihr Überraschungspäckli abholen. Somit haben Sie nicht nur beigetragen, Essen zu retten; auch Ihr Geldbeutel freut sich. Denn: Für Ihr Überraschungspäckli zahlen Sie nur etwa ein Drittel des Ursprungspreises. Unsere Qualitätsstandards werden durch regelmässige Schulungen unserer Partner und Kontrollen gewährleistet. Es ist für jede*n etwas dabei.

Foto von App «Too Good To Go»
Mit der App von Too Good To Go können Sie Essen retten!

Umweltaktivistin Greta Thunberg geht freitags lieber auf die Strasse als in die Schule.

Food Waste ist einer der Gründe, um nicht zu sagen der Hauptgrund für den heiss diskutierten Klimawandel. Die Verschwendung unserer Ressourcen trägt ebenso dazu bei. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass wir alle positiver an die Sache herangehen.

«Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter. Vielmehr geht es darum, gemeinsam etwas für eine bessere Zukunft und idealerweise für einen Planeten ohne Food Waste zu tun.»
Alina Swirski
Country Managerin, Too Good To Go

Uns geht es darum, den Menschen zu signa­lisieren «weniger ist oftmals mehr» und sie für das globale Thema zu sensibilisieren.

Je mehr Waste Warriors sich unserer Mission anschliessen, desto besser. Beispielsweise enthalten unsere Überraschungspäckli jeweils ungefähr ein Kilogramm Lebensmittel, was einer CO2-Ersparnis von 2,5 Kilogramm entspricht. Seit Beginn unseres Engagements in der Schweiz konnten wir so eine CO2-Ersparnis von 11 000 Tonnen erzielen. Das entspricht zirka 60 000 Flügen von Zürich nach London. Mit solchen Beispielen bezwecken wir, das Bewusstsein der Menschen für ihr Handeln zu schärfen.

Wie geht Too Good To Go an das Thema Klimawandel heran?

Die Vision von Too Good To Go ist ein Planet ohne Lebensmittelverschwendung. Um auch in anderen Bereichen den Klimawandel zu unterstützen, bitten wir zum Beispiel die User unserer App, ihre eigenen Behälter mitzubringen, statt auf Papier- oder Plastiktüten zurückzugreifen. Unsere Kunden können ihre Überraschungspäckli in einem nachhaltigen Mehrweggeschirr abholen, das sie bei verschiedenen Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten, beziehen und retournieren können. Es ist eine Win-Win-Situation, die grossen Anklang findet – sowohl seitens der Kunden als auch aus Sicht unserer Partner.

Welche Tipps haben Sie im Hinblick auf beispielsweise Kreativität, unförmige Produkte, Haltbarkeitsdaten?

Mein Tipp: Machen Sie sich einen Einkaufszettel und planen Sie ihre Besorgungen. Beim Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) handelt es sich um die Zeitspanne, bis zu der der Produzent die Qualität der Ware oder Produkte garantiert. Es ist ein Hinweis, dass die Produkte bei korrekter Lagerung ihre spezifischen Eigenschaften wie Geschmack oder Konsistenz behalten.

«Mit unserem Label «oft länger gut» wollen wir Menschen dazu bewegen, sich auf ihre Sinnesorgane zu verlassen, denn das Mindesthaltbarkeitsdatum ist nicht gleichzusetzen mit dem Verbrauchsdatum.»
Alina Swirski
Country Managerin, Too Good To Go

Neben Schauen, Schmecken, Riechen der Lebensmittel ist auch Kreativität gefragt. In diesem Zusammenhang lege ich Ihnen unser Kochbuch «Remix» mit verschiedenen schmackhaften Rezepten ans Herz. Es ist ein globales Hilfsmittel zur grösstmöglichen Vermeidung von Food Waste, das wir unseren Usern an die Hand geben. Denn: Knapp 28 Prozent des gesamten Food Waste entstehen im Haushalt.

Foto des Kochbuchs «Remix» von Too Good To Go
Kochbuch «Remix»: ein Zero-Waste-Handbuch.

Auch bei der Produktion und in Bezug auf Lieferketten besteht in Sachen Lebensmittelverschwendung Handlungsbedarf.

Unser Ziel ist es, über die ganze Wertschöpfungskette Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. In diesem Zusammenhang arbeiten wir auch eng mit dem Schweizer Bauernverband zusammen. So konnten wir letztes Jahr durch eine gemeinsame Aktion am Haupt­bahnhof Zürich neun Tonnen Äpfel vor der Vernichtung retten. 35 Prozent der Lebensmittelverschwendung entsteht bei der Produktion.

Viele Produzenten konnten ihre Produkte be­dingt durch die Pandemie und den folgenden Lockdown nicht an die Verbraucher weitergeben. Branchen wie Hotellerie oder Gastronomie mussten die Schotten dichtmachen. Uns bot diese Situation die Möglichkeit, vermehrt und enger mit Produzenten an einem Strang zu ziehen. Beispielsweise konnten wir durch eine Kooperation etwa 3,8 Tonnen Planted Chicken (pflanzenbasiertes Fleisch) retten. Ein weiteres Beispiel ist eine Partnerschaft, die wir als Too Good To Go mit einem Eiscreme Produzenten eingegangen sind und wir in einer Woche etwa 16 000 Eiscremes vor der Vernichtung retten konnten. Allerdings bin ich der Meinung, dass insbeson­dere in diesem Bereich auch die Politik durch entsprechende Gesetze ihren Beitrag leisten muss.

Sie arbeiten mit Reformhäusern zusammen. Geben Sie uns einen Einblick in Art und Umfang der Kooperation.

Hier arbeiten wir mit kreativen Köpfen zusammen. Wir haben beispielsweise einen ge­meinsamen Podcast realisieren können und arbeiten regelmässig an neuen Konzepten. Durch die Zusammenarbeit konnten wir bis heute etwa 6000 Mahlzeiten retten. Als jüngstes Beispiel haben wir gemeinsam mit REFORMHAUS und dem Schweizer Bio-Saft-Pionier das Pink Power Getränk umsetzen können. Damit setzten wir uns aktiv gegen Industrial Food Waste ein.

Bildung bildet. Wie sieht ihr Engagement in diesem Bereich aus?

In Frankreich arbeiten wir mit staatlichen Organisationen zusammen und haben ein Tool erstellt, mit dem wir in Schulen Aufklärung ab der ersten Klasse betreiben. In Dänemark veranstalten wir Aufklärungskurse und sind mit den Kids auf Bauernhöfe gegangen, um sie für dieses globale Thema zu sensibilisieren. In der Schweiz sind wir zwar noch nicht so weit, allerdings frohen Mutes und auf einem guten Weg. Je früher wir mit der Aufklärungs­arbeit beginnen können, desto effektiver und nachhaltiger können wir die junge Generation für unsere Mission, nämlich einen Planeten ohne Food Waste, gewinnen und begeistern.

Was braucht es Ihrer Meinung nach für eine Welt ohne Food Waste?

Wir müssen komplett umdenken. So zum Beispiel darin, wie wir über Essen denken und damit umgehen. Wir müssen es schaffen, eine gewisse Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln zu erlangen, beziehungsweise uns rückbesinnen auf Zeiten, in denen wir nicht so viel hatten. Dabei geht es nicht um DEN Haushalt oder DIE Produktionsstätte: Food Waste geht uns alle an und wir haben nur diesen einen Planeten, den wir unseren Kindern und Enkeln vererben werden!

Werden auch Sie ein Waste Warrior!

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