Zu früh kommen, den Penis nicht zum Stehen bringen: Viele Männer fühlen oder setzen sich beim Sex unter Druck. Wagen sie es, den Entdecker und Geniesser in sich zu wecken, eröffnen sich ihnen neue Dimensionen.

Wir zehn Männer grinsen uns verlegen an. Soeben ist eine ältere Dame an der Fensterfront vorbeispaziert und hat interessiert den Kopf gedreht, um in die versammelte Männerrunde zu blicken. Die Frage liegt so sehr in der Luft, dass sie keiner auszusprechen braucht: Ob sie gesehen hat, was wir da machen?

Wahrscheinlich nicht, aber es fühlt sich doch ein bisschen so an, als wären wir ertappt worden. Wir nehmen am Kurs «Männliche Sexualität» teil, der in einem Alterszentrum stattfindet und den «ziss» anbietet, das Zürcher Institut für klinische Sexologie und Sexualtherapie. Mit Knetmasse modellieren wir … einen Penis – unseren Penis.

Die einen, versunken, denken über die Fragen nach, die uns gestellt worden sind: Mag ich meinen Penis? Hat er einen Namen? Wie gehe ich mit ihm um? Freue ich mich, wenn er steht? Mag ich ihn auch, wenn er schlaff ist? Wann hatte ich meine erste Erektion und wie habe ich darauf reagiert? Gebe ich ihn gerne aus der Hand – oder manchmal zu früh?
Andere reissen Witze oder reden über etwas anderes. Vielleicht ist es ihnen peinlich, sodass sie auf diese Art vom Thema ablenken. Oder es ist für sie die gewöhnlichste Sache der Welt, mit anderen Männern zusammen einen Penis zu kreieren?

Dann ist es ganz still. Wir liegen auf unseren Matten, kreisen und schaukeln mit unserem Becken. Nach vorne, nach oben, zur Seite. Wir erkunden die Muskeln des Beckenbodens, spannen sie an, um sie wieder bewusst zu entspannen, begleitet von bewusstem Atmen.

Spielerisch Neues ausprobieren

Für etliche ist das Neuland. Sie sind es gewohnt, durch viel Druck und Reibung, durch Spannen der Muskeln in Kürze zum Höhepunkt zu gelangen. Gewöhnt haben sie sich meist darum daran, weil sie sich oft heimlich, unter der Bettdecke oder unter der Dusche, befriedigen. Vielleicht etwas verschämt, um nicht ertappt zu werden. Etliche tun es, um Spannungen abzubauen und dann gut einzuschlafen.

«Was alleine funktioniert, kann mit einer Partnerin oder einem Partner zum Problem werden, weil die als erotisches Spiel gedachte Begegnung dann nur einseitig Lust beschert, was die Beziehung belastet.»
Marcel Friedli

«Versucht», ermuntert Kursleiter Stephan Fuchs, als wir uns wieder in der Runde auf unseren Stühlen versammeln, «beim Onanieren Neues auszuprobieren und mit dem ganzen Spektrum zu spielen: mal schneller, mal langsamer, mal mit weniger Druck, dann mit mehr. Mit lockeren Muskeln, mit leicht angespannten. Mit zwei Fingern, mit der Faust. Erkundet euren Körper, streichelt euch. Probiert aus, was euch gefällt. Lasst eure Phantasien zu.» Der Körper sei ein Geschenk, ein Instrument mit vielen Tönen. «Es geht nicht um die Performance, sondern um Musikalität, Kreativität, um Freude und ums Spielen.»

Genau da liegt die Krux: Viele Männer erwarten von sich beim Sex Heldentaten wie im Beruf und im Sport, sodass die Erotik zu einem weiteren Schauplatz verkommt, wo sie das Gefühl haben, sich beweisen und messen zu müssen: Wie lang und dick ist mein Glied, wie lange kann ich, wie erreiche ich am schnellsten das Ziel, den Orgasmus?

«Druck und Stress sind ein gutes Verhütungsmittel. Sie sind nichts Lustvolles. Aber viele Männer wünschen sich eine Sexualität, bei der es um Lust und Genuss geht.»
Stephan Fuchs
Sexologe

Sich auf den Weg machen

Ist Sexualität gekoppelt an Leistung und Effizienz und lässt mit dem Älterwerden die Elastizität der Gefässe nach, schiebt dies einen Teufelskreis an, der sich dreht und dreht: Der taktile Druck, die Spannung in den Muskeln müssen immer mehr gesteigert werden, um den Effekt zu erreichen – bis dieses Muster, oft seit Jugendjahren angelernt, nicht mehr funktioniert. Und es kippt ins Gegenteil: Die Schwellkörper im Penis werden abgedrückt, er wird nicht mehr hart genug, um eindringen zu können; oder der Mann empfindet die Stimulation in Vagina oder Anus als nicht mehr genügend. Und die optischen Reize, Stichwort Pornos, müssen immer mehr gesteigert werden, um sich ans Ziel zu hecheln.

«Kommen vor allem jüngere Männer zu früh, weil die Hormone drängen und die Gefässe elastisch sind, kämpfen viele Männer später damit, dass ihr Glied nicht mehr so strammsteht. Er steht, also bin ich: Diese Formel gerät aus dem Gleichgewicht.»
Marcel Friedli

Viele Männer fühlen sich persönlich in Frage gestellt, sind verunsichert. «Ist nicht so schlimm», ist zwar nett gemeint – aber genau das Falsche. «Dann geht es darum, dass man als Mann Verantwortung übernimmt», sagt ziss-Dozent Stephan Fuchs, «und sich auf den Weg macht, um neue Wege abseits der ausgetretenen Pfade zu entdecken. Es geht in der Sexualität ums Lernen, um Lernschritte – wie in anderen Bereichen des Lebens auch.»

Das Spielerische wiederentdecken, sich dem Genuss öffnen, ist dieser doch eine ideale Quelle der Erregung. «Wäre der Penis nur ein Muskel», erklärt Stephan Fuchs, der auch Bewegungs- und Psychotherapeut ist, «würden ihn die Männer im Fitnesscenter trainieren. Aber er ist nicht willentlich steuerbar: Alles, nicht nur ein erotischer Reiz, kann eine Erektion auslösen. Denn es handelt sich um einen Reflex. Es braucht nicht nur die anregende, nötig ist auch die entspannende Komponente.»

Sich innerlich aufrichten

Stephan Fuchs fordert uns auf, so im Raum herumzugehen, dass wir uns in unserer Kraft als Mann fühlen: breitbeinig, mit dem Geschlecht voran, selbstbewusst. Er ermuntert uns, auf die Position unseres Beckens zu achten, auf die Haltung unserer Schultern, auf unseren Gesichtsausdruck, unseren Blick.

«Richten wir uns innerlich als Mann auf, hat das einen positiven Einfluss auf unser Lebensgefühl als Mann und auch auf unsere Möglichkeiten, eine Erektion zu haben und sie als bereichernd und lustvoll zu erleben.»
Stephan Fuchs
Sexologe

Beim Mannwerden und Mannsein geht es darum, das spezifisch Männliche zu entdecken. Denn jeder Bub entdeckt früh, dass er anders als die Mutter ist, anders als die Frauen. Darum muss er diesen Graben überqueren, die Reise in die Männerwelt auf sich nehmen, um von anderen Männern zu lernen und sich selber in seiner Rolle als Mann zu finden und sie stimmig zu interpretieren. Dabei ist es wichtig, dass er glaubwürdige Vorbilder hat: den Vater, andere Männer, Kollegen und Freunde. Mit ihnen soll er sich über alle Facetten des Mannseins auszutauschen, auch über die Sexualität.
Männer können sich die besten Tipps geben – fernab von Floskeln und Geprahle.

«So findet er die eigene Identität als Mann und kann seine Stärken ausspielen; denn die Welt besteht aus beiden Energien, den weiblichen und den männlichen, und beide haben ihre Berechtigung und ihren Sinn.»
Marcel Friedli

Dabei soll der Mann seine Männlichkeit nicht leugnen, aber auch sensible Seiten zeigen, ohne sich als Memme oder Weichei abzustempeln.

In dieser Haltung des Aufrechtseins, der Aufrichtigkeit bewegen wir uns dann vor den Augen der Frauen, die an diesem Seminar teilnehmen. Mit positiver Wirkung, wie eine Frau sagt: «Ich wünsche mir mehr Männer, die mit diesem männlichen Selbstbewusstsein durchs Leben gehen.»