Manchen Menschen schlagen Aufregung und Stress auf den Verdauungstrakt. Vor einer Prüfung oder einem Auftritt rumort es in ihrem Bauch, so dass sie Durchfall bekommen oder an Übelkeit leiden. Zwischen unserer emotionalen Verfassung und unseren Verdauungsorganen besteht ein direkter Draht. Dass die Verbindung eng ist, belegen immer mehr Studien.

Der Darm: unser zweites Gehirn

Unsere Verdauung wird durch ein komplexes System von 100 Millionen Nerven gesteuert. Allein der Gedanke an Essen führt dazu, dass unsere Magenschleimhaut Magensaft produziert; oder wir den Drang zur Darmentleerung verspüren, wenn sich unser Magen nach dem Essen oder dem Trinken von einem Glas Wasser ausgedehnt hat.

«Manche Fachleute bezeichnen das Nervensystem in unserem Verdauungstrakt gar als unser zweites Gehirn, weil es jeden Aspekt des Verdauungsprozesses regelt und gewisse Ähnlichkeiten mit unserem Gehirn im Kopf hat.»
Susanna Steimer Miller

Während sich die Nahrung auf die Reise durch unseren zehn Meter langen Verdauungstrakt macht, stehen das Gehirn im Kopf und im Bauch in permanenter Verbindung. Die Kommunikation zwischen dem Nervensystem im Magen und Darm und dem zentralen Nervensystem im Gehirn funktioniert in beide Richtungen und ist anfällig für Störungen.

Stress: Einfluss auf die Verdauung

Sowohl akuter als auch langfristiger Stress kann die Verdauung beeinträchtigen. Dass manche Menschen bei akutem Stress mit Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Appetitlosigkeit reagieren, lässt sich evolutionsbiologisch erklären. Unsere Vorfahren mussten bei einer Bedrohung kämpfen oder fliehen. Auch heute noch reagiert unser Körper zum Beispiel bei grosser Angst auf gleiche Weise: Er schüttet vermehrt das Stresshormon Adrenalin aus, unser Herz schlägt schneller und das Blut wird kaum mehr in den Darm gepumpt, sondern fliesst vor allem ins Gehirn und in die Muskeln, um diese zu aktivieren. Die Verdauung wird dadurch praktisch eingestellt.

Bei langfristigem Stress produziert unser Körper vermehrt das Hungerhormon Ghrelin und das Stresshormon Cortisol, das den Stoffwechsel ankurbelt. Da das Gehirn permanent aktiviert ist, benötigt es für seine Funktion viel Traubenzucker (Glukose).

«All diese Prozesse führen dazu, dass die meisten Betroffenen bei chronischem Stress mehr Energie zu sich nehmen, als ihr Körper eigentlich benötigt – in der Folge nehmen sie an Gewicht zu.»
Susanna Steimer Miller

Weshalb chronischer Stress bei den einen Menschen zu Durchfall und bei den anderen zu Verstopfung oder auch zu beidem im Wechsel führt, ist bis heute jedoch noch nicht geklärt.

Psyche und Reizdarm

Verdauungsprobleme können unser Wohlbefinden beeinträchtigen und sowohl die Folge als auch die Ursache von Ängsten und Stress sein.

Das trifft zum Beispiel beim Reizdarmsyndrom zu, bei dessen Entstehung die Psyche eine Rolle spielen kann, aber nicht muss. Eine nicht optimal funktionierende Verdauung beeinträchtigt die psychische Verfassung vieler Reizdarmpatienten.

Symptome bei Reizdarmsyndrom

Klassische Symptome sind Bauchschmerzen, die sich vor oder nach dem Toilettengang verändern und mit einem Wechsel der Stuhlbeschaffenheit (Konsistenz und Frequenz) in Verbindung gebracht werden.
Während die einen Patienten an Durchfall oder an Verstopfung leiden, sind andere abwechslungsweise von beiden Verdauungsstörungen betroffen. Blähungen sind ebenfalls ein häufiges Symptom.

Die Lebensqualität wird durch das Reizdarmsyndrom enorm eingeschränkt, und der Leidensdruck ist vergleichbar mit jenem von Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen. Einige Betroffene trauen sich kaum mehr aus dem Haus, ohne vorher die WC-Situation abzuklären.

Bis die Diagnose Reizdarmsyndrom feststeht, dauert es oft eine Weile. Das lässt manche Betroffene fast verzweifeln. Sie suchen nach Erklärungen für die teils heftigen Schmerzen im Verdauungstrakt und sie sind frustriert, wenn der behandelnde Arzt keine klar erkennbare Ursache finden kann. Für manche Patienten ist die Zeit der Ungewissheit eine Tortur, weil sie fürchten, an einer bedrohlichen Erkrankung – wie zum Beispiel an Darmkrebs – zu leiden. Obwohl die Krankheit mit grossen Schmerzen verbunden sein kann, wird sie auch heute noch von manchen Ärzten nicht ernst genommen.