Sie wirken oft, ohne dass wir es merken: Glaubenssätze – Sätze und Vorstellungen darüber, wer und wie wir sind und was wir glauben zu können. Sie treiben uns an, sie behindern oder beflügeln uns.

Wie Glaubenssätze entstehen

Glaubenssätze sind Sätze, die in unser Unterbewusstsein eingraviert sind. Diese Sätze sind ein Anker: Sie definieren uns, grenzen uns von anderen ab und bieten Orientierung. Aussagen über unser Ich: wie wir sind, was wir können, was wir mögen und was nicht. Diese Aussagen bilden sich zum einen über die Feedbacks von Eltern, Lehrpersonen, Freunden, Geschwistern: Sie lassen uns wissen, wie wir wirken, welche Stärken und Schwächen wir haben.

Diese Informationen mischen sich zum anderen mit Werten und Vorstellungen von der Welt, welche uns vor allem die Eltern mitgeben: worauf sie achten, wie sie Dinge und Ereignisse beurteilen, wie sie reagieren, mit welcher Haltung sie durchs Leben gehen. Nicht nur mit ihren Worten, sondern auch mit ihren Blicken, mit ihrer Mimik und Gestik geben sie uns dies zu verstehen. Auch dann, wenn sie nichts sagen.

Auswirkungen auf unser Leben

All diese Informationen färben im Kindesalter auf uns ab, ohne dass wir dies bemerken. All dies führt zu Prägungen. Vermischt mit den Erfahrungen, die wir machen, entsteht ein grosser, bunter Strauss an Glaubenssätzen: eine Art inneres Programm, mit dem wir durchs Leben schreiten.

«Je nach Situation oder Herausforderung wird der entsprechende Glaubenssatz in uns aktiv – kaum je sind wir uns jedoch dessen bewusst.»
Marcel Friedli

Macht sich zum Beispiel jemand selbstständig, kommen je nach Person und Biografie unterschiedliche Glaubenssätze als innerer Motor in Gang. Beim einen klingt das so: «Wenn ich erfolgreich sein will, muss ich bis zum Umfallen arbeiten.» Ein anderer wiederum lässt sich von dieser inneren Aussage oft unbewusst treiben: «Auch wenn ich mein Bestes gebe, wird es nicht gut genug sein.» Im Nächsten arbeitet dieser Glaubenssatz: «Weil mich mein Schaffen und Wirken mit Freude erfüllt, kommt der Erfolg von alleine.» Je nach Inhalt des Glaubenssatzes gehe ich an eine Aufgabe heran – mit unterschiedlichen Ergebnissen: Der eine wird missmutig, der andere rennt in ein Burn-out, während der dritte strahlend durchs Leben fliegt.

Weil die Wirkung so unterschiedlich ist, lohnt es sich, auf Erkundungstour zu gehen: Welche Sätze treiben mich warum an? Wie haben sich diese Glaubenssätze verdichtet? Halten sie einer objektiven Prüfung stand? In welchen Satz texte ich ihn um?

Hoffnungen und Erwartungen

Diese Reise führt in die Kindheit und durchs ganze Leben. Sebastian kam beim Nachdenken über seine Antreiber im Leben auf dreissig Glaubenssätze. Er pickt einen zentralen Glaubenssatz heraus, um ihn zu erkunden:

«Geliebt werde ich nur dann, wenn ich die Erwartungen und Hoffnungen erfülle. So könnte die Grunderfahrung, die sich durch mein Leben zieht, auf einen Nenner gebracht werden: in einem Satz zusammengefasst, in einem Glaubenssatz. Prägungen und Erfahrungen haben mich zu diesem Glauben und dieser vermeintlichen Erkenntnis geführt.

Als Junge bin ich in die Welt gepurzelt – nicht als Mädchen, wie es sich meine Mutter erhofft hatte. Doch dies war nicht die einzige Hoffnung, die sie an mich knüpfte: Sie wünschte sich sehnlich, dass ich ihre zerrüttete Ehe retten würde. Sie hoffte, ihren Mann, der auf dem Absprung war, an sich zu binden, ihn so halten zu können. Doch auch ich konnte durch meine Geburt die Ehe meiner Eltern nicht davor bewahren, dass sie endgültig scheiterte: Bald zog mein Vater zu seiner neuen Frau und reichte die Scheidung ein. Über Jahre lieferten sich meine Eltern einen Rosenkrieg um das Sorgerecht. Mein Bruder wurde zu Papi gelockt. Er klaute, trank Schnaps, sorgte in der Schule für Aufsehen, aber nicht mit guten Noten. Er war der Haudegen, während mir die andere Rolle zukam: der brave Bub. Mein Bruder kam schliesslich in ein Heim. Ich wurde zum Einzelkind.

(Fehl-)Geleitet von Glaubenssätzen

Nun wachte meine Mutter mit Argusaugen darüber, dass es wenigstens mit mir klappte. Meinen Bruder weggeben zu müssen, schmerzte sie sehr, verunsicherte sie. Mit mir wollte sie sich und den anderen beweisen, dass sie als Mutter taugte. Wenigstens ich sollte sie nicht enttäuschen, so ihre Erwartung an mich. Regelmässig erinnerte sie mich – mit endlos scheinenden Moralpredigten – an meine Pflichten, die ich ihrer Meinung nach vernachlässigt hatte: zum Beispiel zu wenig Klarinette geübt, das Zimmer nicht aufgeräumt. Fassungslos starrte ich in die Gewitterwolken, die plötzlich aber regelmässig aufzogen, ohne dass ich etwas wirklich Schlimmes angestellt hatte.

Erwartungen lesen

Ein weiteres Kapitel in dieser Hoffnungs- und Erwartungsgeschichte wurde geschrieben, als meine Mutter einen Mann kennenlernte und wir mit ihm in eine Wohnung zogen. Er trank, sie stritten sich oft. Sie waren beide unglücklich, aber doch zu sehr gefangen, um sich zu trennen.

Um meiner Mutter keinen Kummer zu machen, lernte ich, ihre Erwartungen zu lesen: Spürte, dass sie ein Kompliment fürs Essen wollte, das sie gekocht hatte, lobte es nach dem ersten Bissen. Nicht, weil das meine explizite Meinung war. Ich tat es mechanisch, damit sie bekam, was sie wollte. Als ob sie das merken würde, freute sie sich kaum darüber und war enttäuscht, dass sie das Kompliment nicht von ihrem Partner erhalten hatte.

Meine Mutter setzte erneut alle Hoffnung in mich, als sie mich drängte, mit ihrem Freund zu sprechen. Ich könne gut reden, ich würde bestimmt die passenden Worte finden. Ich zögerte, doch da es immer schlimmer wurde, nahm ich einen Anlauf, bei dem ich mich jedoch nicht wohlfühlte. Es nützte nichts. All meine Mühe war vergebens – einmal mehr. Meine Mutter gab mir zu verstehen, dass ich meine Mission nicht erfüllt und sie erneut enttäuscht hatte.

(Fehl-)Geleitet von Glaubenssätzen

Die innere Stimme verstehen

Mit Mitte zwanzig verliebte ich mich – in einen Mann. Dies gab mir die Kraft meiner Mutter zu sagen, dass ich mich mehr von Männern angezogen fühle. Erneut hatte ich sie desillusioniert. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie von mir erwartet hatte, ich würde ein guter Vater sein und ihr Enkelkinder schenken. Eine Zeit lang brach sie den Kontakt ab.

Für mich war es eine wichtige Erfahrung, auf meine innere Stimme zu hören – trotz des Wissens, meine Mutter erneut zu frustrieren. Am Gymnasium, an der Universität und im Berufsleben verfolgte mich die Angst, den Erwartungen nicht zu genügen – an den Anforderungen zu scheitern.

Als meine Mutter im Sterben lag, tat ich erneut automatisch das, wovon ich das Gefühl hatte, dass ich es müsste: Ich sagte ihr, sie sei eine gute Mutter gewesen, ich würde zurechtkommen, sie könne gehen. Erst später wurde mir bewusst, dass dies nicht die Wahrheit war.

Geliebt und angenommen

Diese Erfahrungen prägten mich: Noch heute fällt es mir schwer, Nein zu sagen. Ich habe Angst davor, andere würden sich von mir abwenden, wenn ich mich nicht so verhalte, wie sie es erhoffen, wünschen, erwarten.

Als mir der eingangs erwähnte Glaubenssatz bewusst wurde, lernte ich mehr und mehr auf mich zu hören und mich so zu äussern und so zu handeln, dass es mit meinem Innern übereinstimmt. Doch dieses Muster holt mich immer wieder ein: in der Beziehung, im Beruf, in Freundschaften. Ich will möglichst Harmonie und leide, wenn nicht alle befriedigt sind.

Es ist ein stetes Üben und Lernen. Das Wissen um diesen Glaubenssatz hilft mir, mich immer wieder neu auszurichten, in mich zu gehen – und mit den tatsächlichen oder vermeintlichen Erwartungen umzugehen. Dies im Wissen, dass es allen recht zu machen eine Kunst ist, die niemand beherrscht – trotzdem bin und werde ich geliebt.»