Steinkorallen bilden Unterwasserparadiese für viele Arten.

Als Ökosystem-Ingenieure werden Tierarten bezeichnet, die ihren Lebensraum in besonderem Masse beeinflussen und dadurch die Biodiversität in ihrem Habitat erhöhen. Dazu zählen beispielsweise Siedelweber, Afrikanische Elefanten, Schwarzspechte, Biber und Korallen.

Tierisch wichtig fürs Ökosystem

Ökosysteme in ihrer gesamten Komplexität zu erfassen, ist schier unmöglich. Bislang wissen wir noch verhältnismässig wenig darüber, wie all die Lebewesen – ob Tiere oder Pflanzen – jeweils miteinander in Verbindung stehen und wie sie sich gegenseitig beeinflussen.

Greift man einzelne Arten eines Ökosystems heraus, ist es mit der Forschung schon etwas einfacher. 

«So weiss man inzwischen von zahlreichen Tierarten, dass ihnen eine besonders wichtige Rolle innerhalb ihres Ökosystems zukommt. Fehlen diese, kann das für viele andere Arten tragische Konsequenzen haben.»
Susanne Lieber

Siedelweber

Eine dieser Tierarten sind die Siedelweber. Die in Namibia beheimateten Singvögel leben in Kolonien und bauen in der Gemeinschaft riesige Nester. Ihre Nester sind auch für andere Tiere von Bedeutung, weil sie auch für diese wichtige Rückzugsorte in der Savanne darstellen.

Die Siedelweber nisten sich vorzugsweise in den Kronen von Kameldornbäumen ein – und die Bäume müssen hart im Nehmen sein. Denn durch diese Nester hängen oft mehrere Hundert Kilogramm an den Ästen. Die Wohnsiedlung wird unermüdlich mit Reisig und Gras erweitert, wobei die einzelnen Nester (sie sind jeweils von unten über eine Röhre zugänglich) direkt aneinandergebaut werden.

Die Siedelweber aus Namibia leben in Kolonien und bauen in der Gemeinschaft riesige Nester.
Die Siedelweber aus Namibia leben in Kolonien und bauen in der Gemeinschaft riesige Nester.

Ist ein Nest renovierungsbedürftig, wird einfach ein neues gemacht. Die dicken Wände der Bauten bieten einen idealen Hitze- und Kälteschutz in der Savanne – was nicht nur die Siedelweber zu schätzen wissen. Auch andere Tiere, die als Zwischen- oder Nachmieter in verlassene Nester einziehen, profitieren davon. Darunter Dickfingergeckos, Bilchmäuse und Zwergfalken. Sogar grosse Säugetiere wie Antilopen sind Nutzniesser der grossen Nester und legen sich gerne darunter – Schattenplätze sind schliesslich kostbar.

Afrikanische Elefanten

Die grauen Riesen bauen zwar nichts, dafür wirken sie «im Vorbeigehen» nachhaltig auf die Landschaft ein: Durchstreifen Elefanten die Savannen, fressen sie Bäume und Sträucher. Dadurch bewahren sie die Flächen vor Verbuschung und schaffen Platz für kleinere Pflanzen. Stossen sie grössere Bäume um, wirft das zugleich auch Nahrung wie etwa Früchte für kleinere Tiere am Boden ab, die normalerweise nicht in die Baumkronen hinaufkommen.

Darüber hinaus graben Elefanten beim Aufspüren von Wasser grosse Löcher, die als Wasserstellen auch für andere Tierarten überlebenswichtig sind.

«Und ganz nebenbei verteilen die Dickhäuter bei ihren langen Wanderungen Pflanzensamen über ihren Kot. Eine Hinterlassenschaft über weite Strecken, die für neues Wachstum sorgt.»
Susanne Lieber
Afrikanische Elefanten betreiben Landschaftspflege im grossen Stil.
Afrikanische Elefanten betreiben Landschaftspflege im grossen Stil.

Schwarzspechte

Auch etliche heimische Tierarten zählen zu den Ökosystem-Ingenieuren. So beispielsweise der Schwarzspecht, der für den Wald eine besondere Rolle spielt:

«Als grösste europäische Spechtart hackt er entsprechend geräumige Höhlen in die Bäume. Wird eine solche frei, stehen über fünfzig andere Tierarten Schlange, um sie als Nistplatz, Schlafplatz, Versteck oder Winterquartier zu nutzen.»
Susanne Lieber

Zu den potenziellen Nachmietern zählen zum Beispiel Eichhörnchen, Dohlen, Baummarder, Eulen, Fledermäuse, Haselmäuse, Hohltauben, Hornissen, Juchtenkäfer, Raufusskäuze, Siebenschläfer und Wildbienen. Besonders attraktiv sind die etwa 60 cm tiefen Höhlen nicht nur ihrer Grösse wegen, sondern auch aufgrund ihrer Lage: Als Höhlenbaum bevorzugt der Schwarzspecht hohe Buchen mit glattem Stamm, an dem Fressfeinde nicht allzu leicht hinaufkommen. Die Höhleneingänge liegen hierbei in einer Höhe von zehn bis zwanzig Metern. Beste Aussichtslage, sozusagen.

Die Baumhöhlen von Schwarzspechten sind bei den anderen Waldbewohnern heiss begehrt.
Die Baumhöhlen von Schwarzspechten sind bei den anderen Waldbewohnern heiss begehrt.

Biber

In der Tierwelt gilt der Biber als einer der begnadetsten Baumeister überhaupt. Und das zu Recht, denn er beherrscht gleich mehrere Disziplinen der Ingenieurskunst: Hochbau, Tiefbau, Wasserbau. Er gräbt Wohnhöhlen in Uferböschungen, baut hölzerne Burgen in die Höhe und legt Kanäle beziehungsweise Dämme an, um Gewässer umzuleiten und anzustauen. Mit weitreichenden Folgen: Aufgrund der Bautätigkeit des holzraspelnden Nagers wird die Landschaft nachhaltig verändert.

Der Biber krempelt mit seinen Baufähigkeiten ganze Landschaften um.
Der Biber krempelt mit seinen Baufähigkeiten ganze Landschaften um.

Durch die Verringerung der Fliessgeschwindigkeit von Bächen und Flüssen können sich auch stehende Wasserbereiche, also Teiche und Feuchtwiesen, bilden – kostbare Biotope für Fische, Frösche, Molche, Libellen, Vögel, Fledermäuse, Schlangen etc. Damit trägt der bis zu 1,20 m grosse Nager zu einem hohen Artenreichtum bei. Und mehr noch: 

«Er gilt sogar als Gewässerreiniger! Seine Dämme bilden nämlich ausgezeichnete Wasserfilter, die nicht nur Schlamm zurückhalten, sondern den Stickstoff- und Phosphatgehalt im Wasser deutlich reduzieren können.»
Susanne Lieber

Steinkorallen

Auch im Meer gibt es Ökosystem-Ingenieure, allen voran sind hier die Steinkorallen zu nennen. Sie schaffen zahlreiche Mikrolebensräume mit sehr unterschiedlichen Bedingungen hinsichtlich Wasserströmungs-, Licht- und Sauerstoffverhältnissen. Unzählige Lebewesen – darunter Fische, wirbellose Tiere, aber auch pflanzliche Organismen – finden Heimat zwischen den Korallen und sind von ihnen abhängig.

Solche Korallenriffe wurden früher aufgrund ihres Artenreichtums als «Regenwälder des Ozeans» bezeichnet. Inzwischen weiss man, dass die Artenvielfalt in Korallenriffen mit rund 1,2 Millionen Tier- und Pflanzenarten (Mikroorganismen sind dabei nicht eingerechnet) sogar noch höher liegt als im tropischen Regenwald.