Die einen Menschen leiden Hunger – und andere schmeissen ihr Essen in den Abfall: Ein Drittel der Lebensmittel landen in der Schweiz jedes Jahr im Müll statt im Magen. Gefüttert wird vor allem der Abfalleimer zu Hause. Doch es gibt Lichtblicke.

In der Schweiz landen 2,3 Millionen Tonnen Lebensmittel in der Mülltonne. Das tut weh, auch dem Papst: «Es würde uns guttun, uns daran zu erinnern, dass die Nahrung, die man verschwendet, gleichsam vom Tisch des Armen, des Hungrigen, gestohlen ist», hat Franziskus vor Vertretern des UNO-Welternährungsprogramms gesagt. «Es ist eine eklatante Ungereimtheit, dass genügend Nahrung für alle vorhanden wäre – aber nicht alle essen können.» Auch weil Nahrung vergeudet wird.

Das verursacht zudem weltweit enorme Kosten: 2,6 Billionen US-Dollar, was rund vier Prozent des globalen Brutto­sozial­produktes entspricht, wie die Vereinten Nationen berechnet haben.
Zum Beispiel in den Supermärkten. Tag für Tag werden hier Milchprodukte mit Verfalldatum, schrumpliges Gemüse und Obst weggeworfen. Auf 115 000 Tonnen pro Jahr summiert sich das laut WWF. Auch in Restaurants wird ebenso viel Essen vom Tisch in die Küche zurückgetragen und dort in den Kübel geschmissen.

Doch das sind nicht die Hauptsünder des Food Waste, des Wegschmeissens von Lebensmitteln: Mit je fünf Prozent haben Gastronomie und Supermärkte einen vergleichsweise kleinen Anteil daran. Was verdrängt wird:

«Verschwendet wird vor allem zu Hause in der eigenen Küche. Fast die Hälfte des Essmülls fällt dort an.»
Marcel Friedli

Zum einen hat das damit zu tun, dass Nahrungsmittel noch nie so günstig waren wie heute. Sie machen nur einen Zehntel des Budgets der Schweizer Haushalte aus. Zum anderen sind die Grossverteiler darauf aus, möglichst viel zu verkaufen; und verpacken deshalb die Nahrungsmittel in zu grosse Portionen, womit man der grossen Zahl an Einpersonenhaushalten nicht gerecht wird.

Krumme Gurken und dreibeinige Rüebli

Wenn es denn überhaupt in die Regale gelangt: Das dreibeinige Rüebli wird bereits vorher aussortiert, weil es den optischen Ansprüchen nicht gerecht wird. Die zu krumme Gurke landet auf dem Kompost, weil man glaubt, sie schnurgerade besser verkaufen zu können. «Dabei», sagt Valentin Thurn, der mit seinem Film «Taste the waste» den täglichen Wahnsinn in der Lebensmittelbranche dokumentiert, «ist es letztlich auch eine Frage von Erziehung und Gewohnheit, ob man als Käufer auch Gemüse akzeptiert, das optisch nicht perfekt ist. Ich zweifle daran, ob die Kundschaft mit einer ungewöhnlichen Kartoffel wirklich Mühe hat.»

Was Sie gegen den Food Waste tun können

  • Vor dem Einkauf einen Blick in den Kühlschrank werfen
  • Menü planen und Einkaufsliste machen
  • Speisereste verwerten
  • Lebensmittel luftdicht verschlossen oder kühl aufbewahren
  • Frischprodukte besser häufiger, dafür gezielter einkaufen, statt grosse Wocheneinkäufe tätigen
  • Mit den Sinnen testen, ob abgelaufene Produkte wirklich nicht mehr geniessbar sind
  • Grüngut wenn möglich kompostieren

Quelle: WWF

Frisch von gestern

Die Reste, die in den Supermärkten anfallen, werden zu einem Teil zu Tierfutter oder Biogas verarbeitet oder an Menschen mit kargem Budget abgegeben. Monika Lüthy zum Beispiel geht jede Woche bei «Tischlein deck dich» einkaufen, für einen symbolischen Franken. Eine Karte vom Sozialamt ihrer Gemeinde berechtigt sie dazu. Bei ihrem Einkauf wird sie begleitet von jemandem, der ihr sagt, wie viel sie wovon in ihren Korb legen darf. «Das empfinde ich nicht als Bevormundung. Ich bin froh über die Lebensmittel und freue mich, dass ich zum Gemüse und zu den Teigwaren hie und da ein Dessert geniessen darf, Schokolade oder Ananas.»

Das gleiche Ziel, aber etwas anders als «Tischlein deck dich», verfolgt die «Äss-Bar»: Sie ist auf Brot und Backwaren spezialisiert, holt diese bei Bäckereien ab und verkauft sie zum halben Preis. Den Bäckereien wird das Mitmachen schmackhaft gemacht, indem sie am Umsatz beteiligt werden. Die «Äss-Bar» verkauft die Backwaren zu einem günstigen Preis, dies unter dem Motto: frisch von gestern, Brot vom Vortag. Das kommt gut an, das Geschäft scheint zu florieren.

Food Waste – das Essen im Eimer
Lucerne, Switzerland - Exterior window for Äss Bar on August 29, 2018. Foto: shutterstock.com

Man kann also etwas dagegen unternehmen, dass kostbare Lebensmittel einfach fortgeschmissen werden. Das hat sich auch ein Hotel in Rüschlikon zu Herzen genommen und sich an einer Pilotstudie des Branchenzusammenschlusses United Against Waste beteiligt: Einen Monat lang wurde säuberlich notiert, was vom Teller gekratzt und vom Buffet abgetragen werden musste. Die Beobachtungen führten zu Anpassungen: Neu wird das Brot nach Bedarf geschnitten, gibt es Tages- statt Wochenmenüs und Buffets gehören der Vergangenheit an. Das bedeutet einen Drittel weniger Abfälle. Und zahlt sich aus: 3000 Franken pro Monat werden so gespart.

Frisch aus dem Müll

Sparen kann man auch als Privatperson. Das zeigt Lauren Wildbolz, die für Aufsehen gesorgt hat, als sie zwei Wochen lang in einem temporären Restaurant jeden Tag für bis zu siebzig Personen ein kostenloses Menü zubereitete – mit Lebensmitteln aus dem Abfallkübel. Seither kocht sie in Restaurants edle Mehrgänger gemäss der Devise: frisch aus dem Müll. «Lebensmittel soll man wertschätzen. Viele wissen gar nicht, was ihnen entgeht, wenn ihre Essensreste ungenutzt im Abfall landen.»

Das will auch die «RestEssBar» verhindern – mit öffentlichen Kühlschränken: So sind Lebensmittel mit Ablaufdatum, die aber noch geniessbar sind, allen zugänglich. Ab und zu finden auch Essen statt, bei denen die Bevölkerung zum (Rest-)Essen eingeladen wird.

In einem Supermarkt in Dänemark hingegen werden Lebensmittel nach dem Verfalldatum bis zur Hälfte günstiger verkauft. Somit wird nicht nur gegen die Verschwendung gekämpft, sondern es werden auch Menschen mit wenig Einkommen angesprochen. Überhaupt ist in Dänemark der Kampf gegen das Verschwenden ein Trend geworden, hat sich doch eine regelrechte Konsumentenbewegung mit etlichen Initiativen gegen Food Waste formiert. Ausgelöst hat diesen Schub Selina Juul, die eine Non-Profit-Organisation gründete, Kampagnen lancierte, ein Buch schrieb, Events organisierte und vor dem europäischen Parlament sprach. Mit Erfolg: In den letzten fünf Jahren wurden die Lebensmittelabfälle gemäss Schätzungen um einen Viertel reduziert. Der Verband der dänischen Landwirtschaft spricht von einem Sinneswandel: «Die Konsumenten nehmen das Thema heute viel ernster.»

Es besteht also Hoffnung. Auch in der Schweiz setzen sich Organisationen sowie Private dafür ein, dass dereinst auch hierzulande bewusster mit Nahrungsmitteln umgegangen wird.

 

Quellenhinweis: Die meisten Zitate stammen aus Artikeln des Tages-Anzeigers.

Lesen Sie auch unser Interview mit Alina Swirski von Too Good To Go

Zum Blickpunkt