Das atopische Ekzem, auch atopische Dermatitis oder Neurodermitis, ist eine chronische Hauterkrankung. Sie basiert auf einer erblichen Veranlagung und tritt bei 85 Prozent der Fälle in den ersten fünf Lebensjahren auf.

Prof. Dr. med. Dagmar Simon, Leitende Ärztin der Dermatologie am Inselspital in Bern, erläutert ihren Patient*innen schon in der ersten Konsultation die wichtigen Aspekte der Neurodermitis. Je besser jemand Bescheid weiss, desto anpassungsfähiger und wirksamer ist die Therapie.

Was ist Neurodermitis?

Die Neurodermitis wird in der Fachsprache atopisches Ekzem oder atopische Dermatitis genannt. Sie ist eine chronische, entzündliche Hautkrankheit, die schubweise verläuft.

Etwa 80 Prozent der Patienten erleiden den ersten Schub vor dem fünften Lebensjahr. Bei 40 bis 60 Prozent der betroffenen Kinder verschwindet die Neurodermitis bis zur Pubertät.

Im Schub ist die Haut an typischen Körperstellen gerötet und geschwollen. Manchmal nässt sie. Später verdickt sie sich und schuppt. Die Ausschläge jucken stark, sind jedoch nicht ansteckend.

Die Krankheitsmechanismen verstehen

Der Neurodermitis liegt eine erbliche Veranlagung zugrunde. Diese bestimmt den Aufbau der Haut und die Entzündungs­reaktionen. Professorin Simon vergleicht die gesunde Haut mit einer Backsteinmauer: Ziegel und Mörtel bilden eine dichte und schützende Wand, an der Fremdstoffe abprallen. Gleichzeitig verhindert sie, dass zu viel Wasser verdunstet. Die Hautstruktur von Neurodermitis-Patient*innen entspricht der einer Trockensteinmauer.

Durch ihre Ritzen geht zu viel Feuchtigkeit verloren und es gelangen Teilchen aus der Aussenwelt in die Haut. Die Immunzellen reagieren darauf und lösen eine Abwehrreaktion aus. Bei dieser ist das Stoppsignal gestört. Sie verselbständigt sich und es kommt zu schubweisen oder chronischen Ausschlägen. Im Säuglingsalter sind die typischen Stellen dafür das Gesicht, der Oberkörper und die Aussenseiten der Arme und Beine. Bei Kleinkindern entzündet sich die Haut eher in den Kniekehlen und Ellenbeugen, am Hals und im Nacken. Jugendliche und Erwachsene leiden zusätzlich an Ausschlägen an den Händen.

Die Behandlung individuell anpassen

Gegen die gestörte Hautbarriere, also gegen die Ritzen der Trockenmauer, helfen rückfettende, feuchtigkeitsspendende Cremes, Salben oder Lotionen. Der beste Zeitpunkt für ihr Auftragen ist nach einem Bad oder einer Dusche. Diese tägliche Basispflege gehört zu jedem Therapieplan. Zur Behandlung der Ausschläge gibt es verschiedene Spezialsalben.

Halten die Schübe trotzdem an, kann die Entzündung mit Medikamenten systemisch eingedämmt werden. Manchmal bewährt sich auch eine spezielle Licht-Therapie.

Professorin Simon betont die Wichtigkeit der täglichen Basispflege. Diese hilft, die Häufigkeit der Schübe zu verringern und chronische Hautschäden zu verhindern.

Kinder mit einer Neurodermitis entwickeln öfter als andere Kinder eine Nahrungsmittelallergie, Asthma, Heuschnupfen und eine allergieähnliche Veränderung der Speiseröhre.

«Wenn es gelingt, die Störung der Hautbarriere und die Entzündungen rechtzeitig und wirksam zu behandeln, besteht die Hoffnung, dass sich der Krankheitsverlauf verkürzt und weitere allergische Erkrankungen ausbleiben oder sich verzögern.»
Prof. Dr. med. Dagmar Simon

Neurodermitis: häufige Diagnose

Neurodermitis ist so häufig, dass Kinder- und Hausärzte mit deren Diagnostik und Lokaltherapie vertraut sind. Wenn diese nicht ausreicht, empfiehlt Prof. Simon eine Überweisung an Spezialist*innen für zusätzliche Abklärungen und Therapien. In den letzten Jahren wurden neue Medikamente zur Therapie der Neurodermitis zugelassen.

Viele Patient*innen probieren Methoden der Komplementär­medizin aus. Diese sind für die Neurodermitis­therapie kaum erforscht. Dagmar Simon rät, die gewählte Methode mit der behandelnden Ärztin abzustimmen. Die Haut reizende Substanzen sind zu meiden.

Der quälende Juckreiz

Der Juckreiz ist oft das erste und das leidvollste Symptom. Kratzen hilft kurzfristig; denn die aufgekratzte Haut entzündet sich zusätzlich und der Juckreiz nimmt weiter zu. Viele Betroffene schlafen deswegen schlecht. Müde und gereizt ist es noch schwieriger, mit dem quälenden Jucken umzugehen. «Unsere Patient*innen befürchten, die aufgekratzte Haut wirke abstossend auf andere.» Viele zögen sich darum zurück. Die Aufforderung «Kratz nicht!» ist nutzlos, man muss vom Kratzreiz abgelenkt werden.

Neurodermitis verstehen und behandeln | aha «sag Ja! zu deiner Haut»

Ein wirksames Medikament gegen den Juckreiz gibt es noch nicht. Manchmal wird er durch Wirkstoffe, die auch gegen Allergien eingesetzt werden, gelindert. Ursächlich muss aber die Entzündung behandelt werden. Bis der Juckreiz abnimmt, hilft vielen Kühlung. Eingesetzt werden gekühlte Pflegeprodukte sowie kühlende Wickel und Bäder. Salbenverbände können das Jucken ebenfalls vorübergehend beruhigen. Das Ziel sollte sein, die Haut nicht weiter zu verletzen. Einige kneifen, klopfen oder reiben darum die juckenden Stellen.

Kratzreiz unterdrücken

Manche können den Drang zu kratzen stillen, indem sie an einem Kissen oder einem gespannten Leder kratzen. Andere üben sich in Ablenkung und Entspannungstechniken, was auch bei intakter Haut nützt, sollte sich der Juckreiz verselbständigen. «Betroffene erzählen, dass es sie auch ohne Ausschläge juckt. Etwa wenn sie sich aufregen, wenn sie gelangweilt sind oder wenn sie abends zur Ruhe kommen», weiss Professorin Simon.

«Das Stillen des Juckreizes ist für die Lebensqualität oft entscheidender als die Verbesserung des Hautbildes.»
Prof. Dr. med. Dagmar Simon

Einflüsse erkennen

Zusammen mit Ärzt*innen und Pflegeexpert*innen entwickeln Patient*innen ihre individuelle Basis- und Schubtherapie. Sie erkennen mit der Zeit günstige und ungünstige Einflüsse auf ihre Neurodermitis. Diesen Lernprozess fördert die Professorin mit der in der Schweiz einzigartigen «Interdisziplinären Neurodermitis-Schulung» für Jugendliche und Erwachsene.

An fünf Terminen tauschen sich Betroffene mit Fachpersonen über die Krankheit und deren Behandlung aus. Dazu gehören auch Entspannungstechniken und Ernährungsberatung.

Die Teilnehmenden erzählen, was sich in ihrem Alltag bewährt. Wie behandeln die anderen den Juckreiz? Wie erklären sie ihre Neurodermitis in der Familie, im Freundeskreis und im Beruf? Wie gehen sie mit Stress um?

Neurodermitis-Schulung: geschätztes Engagement

«Unsere Gruppen sind immer gefüllt», freut sich Simon. Mit ihrem Team führt sie diese Schulungen schon seit 22 Jahren durch. Die Teilnehmenden reisen dafür aus der ganzen Schweiz an. Dagmar Simon wünschte, dass dieses Programm bekannter und auch an anderen Orten angeboten würde.

Die Professorin engagiert sich gleichermassen in Forschung und Praxis. Ihre Patient*innen scheinen dies zu schätzen. Viele von ihnen kämen seit Jahrzehnten zu ihr in die Sprechstunde.

«Ich habe immer noch so viele Ideen, was man alles erforschen könnte.»
Prof. Dr. med. Dagmar Simon

Zum Welt-Neurodermitis-Tag vom 14. September 2023 lancierte die Schweizerische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV) zusammen mit aha! Allergiezentrum Schweiz die nationale Aufklärungskampagne «Sag Ja! zu deiner Haut».

Zur Aufklärungskampagne

«Sag Ja! zu deiner Haut»