Zwei Dinge werden schon bei der Terminfindung deutlich: Die grosse Bereitschaft, über ein Thema aufzuklären, das viele gerne verdrängen – und das riesige Commitment und Engagement für die Patient*innen auf der Abteilung. Dr. Monica Fliedner, Pflegeexpertin und Co-Leiterin des Palliativzentrums am Inselspital Bern, brennt für ihre Sache.
Kurz gesagt umfasst Palliative Care (PC) die Versorgung von Menschen mit einer lebenslimitierenden Erkrankung und deren Angehörige. Palliativpflege ist ein Teil davon.
PC hat zum Ziel, die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern und komplexe Situationen in machbare Teile aufzuteilen: Schritt für Schritt können diese unter subtiler Mithilfe des interprofessionellen Teams priorisiert und angegangen werden. Akute Atemprobleme beispielsweise sind jetzt wichtiger als ein Hausverkauf – der kann warten.
Der Zeitpunkt, wann PC eine medizinische Therapie ergänzt oder ersetzt, ist variabel und sollte so früh wie möglich und an den Bedürfnissen des Einzelnen ausgerichtet werden.
Palliative Care umfasst die Betreuung und Behandlung von Menschen, die von einer chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheit betroffen sind. Im Zentrum steht der Mensch als Ganzes mit seinen physischen, sozialen und spirituellen Bedürfnissen.
Im Vordergrund steht nicht der Kampf gegen die Krankheit, sondern der Erhalt der Lebensqualität, Würde und Selbstbestimmung der betroffenen Menschen.
Quelle: palliativzentrum.insel.ch
Ja, das ist mir wichtig zu betonen: PC ist nicht nur für Krebspatienten da, sondern für alle Patient*innen mit lebenslimitierenden Krankheiten. Seien das neurologische Erkrankungen, Herzinsuffizienz, Lungenkrankheiten – PC ist für alle da, die es brauchen. Hier am Inselspital betreuen wir mit spezialisierter PC die komplexen, instabilen Patient*innen; allgemeine Palliative Care wird in der Regel durch die Grundversorgung gewährleistet.
Es gibt verschiedene Wege: Hausintern werden Patient*innen durch ihren Arzt, ihre Ärztin für ein Konsil/Gespräch mit uns angemeldet. Das Ziel dieses Gesprächs wird durch das behandelnde Team festgelegt; das reicht von Symptommanagement über Hilfe bei der Entscheidungsfindung bis hin zum Aufbau eines tragfähigen Netzes an Betreuenden und dessen Support. Hausärzte oder externe Spezialistinnen können uns ebenfalls Patient*innen zuweisen – diese kommen dann entweder für ein Gespräch in unsere ambulante Sprechstunde oder werden direkt stationär der Abteilung für spezialisierte Palliative Care zugewiesen.
In der Regel gehen wir zusammen – Arzt und Pflege – in so ein Gespräch. Wir holen ab, was der/die Patient*in überhaupt für ein Verständnis, für eine Einschätzung von PC hat, nehmen das auf und erklären das Gesprächsziel.
Im weiteren Verlauf orientieren wir uns an der SENS-Struktur für unsere Gespräche mit Patient*innen und Angehörigen, die aufgrund vieler Gespräche entwickelt wurde: SENS steht für Symptome, Entscheidungsfindung und Erwartungen, Netzwerkaufbau und Support der Angehörigen. Es gibt dazu auch eine Webseite.
Die Angehörigen – das können Partnerin, Partner oder eine andere wichtige Bezugsperson sein – beziehen wir gerne so früh wie möglich und mit Zustimmung der betroffenen Person mit ein, am liebsten schon beim Erstgespräch. Vier Ohren hören mehr als zwei; und wir können auch gleich deren Anliegen, Fragen und allfällige Diskrepanzen mit aufnehmen. Zudem sind sie sehr wichtig, um ein stabiles Helfernetz aufbauen zu können.
Sie sind sehr interessant. Und wir sorgen ganz bewusst für Kontinuität: Wenn ein*e Patient*in beim Erstgespräch etwa rasch ermüdet, vertagen wir es auf den nächsten Tag. Das nimmt viel Druck von den Betroffenen. Bei der zweiten Begegnung erleben wir oft, dass in der Zwischenzeit gedanklich schon wieder viel passiert ist.
Auch deshalb sind wir froh, wenn wir die Betroffenen frühzeitig sehen, solange wir mit ihnen noch kommunizieren können.
In der ganzen Bandbreite. Gerade bei jüngeren Patient*innen, die vielleicht auch noch kleine Kinder haben, ist oft Verzweiflung zu spüren. Andere wiederum, die uns zum Teil von früheren Aufenthalten auch schon kennen, sind erleichtert: Weil wir hier etwas mehr Zeit haben, auch für Gespräche.
Palliative Care (englisch; von lateinisch cura palliativa von palliare ‹mit einem Mantel bedecken›; englisch care ‹Fürsorge, Versorgung, Betreuung, Aufmerksamkeit›) …
Quelle: Wikipedia
Es geht darum, dass Patient*innen in ihrer Salutogenese gestärkt werden, d. h. wir bemühen uns darum, dass sie die Situation verstehen, sie bewältigen und ihr bestenfalls auch noch einen Sinn abgewinnen können. Dann können wir vielleicht «shared decision making» erreichen, gemeinsames Entscheiden.
Patient*innen sollen, wann immer möglich, mitreden können – das kann auch durch eine frühzeitige gesundheitliche Vorausplanung erreicht werden: also etwa auch mit einer Patientenverfügung, einem Vorsorgeauftrag, dem Basisdokument Netzwerk. Informationen und entsprechende Dokumente gibt es beim BAG oder Palliative Bern.
An einem runden Tisch wird ein SENS-Gespräch geführt, an dem der/die Betroffene das Steuer so weit wie möglich selbst übernimmt. Es werden die Themen angesprochen, die wichtig sind, etwa für den geplanten Austritt. Die Teilnehmenden sind – neben Betroffenen und Angehörigen – Ärztin/Arzt, Pflege und ggf. Personen anderer Berufsgruppen wie Sozialdienst oder Physiotherapie. Wenn möglich, wird das Gespräch mit der/dem Patient*in vorbesprochen, damit die Ziele möglichst klar sind.
Das kommt ganz darauf an, wo der/die Patient*in nach einem Aufenthalt auf der Palliativabteilung hingehen kann: nach Hause, in ein Pflegeheim, in eine andere Palliativeinrichtung… Da gibt es viele Möglichkeiten und der Wunschort wird miteinander besprochen – ist aber leider nicht immer möglich.
Wir haben im Kanton Bern glücklicherweise ein grosses, funktionierendes Netzwerk und können gut abschätzen, wo die Betroffenen am besten aufgehoben sind.
Nur knapp ein Drittel der Menschen, die zu uns auf die PC-Abteilung kommen, sterben auch hier; 70 Prozent finden einen anderen Ort.
Viele Patient*innen kommen mehrmals zu uns: Wir können oft noch palliative Chemo- oder Radiotherapie machen, was andernorts nicht möglich ist. Also etwa analgetische Bestrahlung zur Schmerzbekämpfung, viel konzentrierter als üblich, weil Spätschäden keine Rolle mehr spielen.
Aufgrund einer entsprechenden Warteliste müssen wir immer schauen, was die Indikation (komplex und instabil) für uns ist, sonst könnte der/die Patient*in auch auf eine andere Palliativstation verlegt werden.
Ja, es geht in einem Universitätsspital wohl primär um die Heilung; aber gerade hier entstehen in der letzten Lebensphase häufig so komplexe Situationen, dass eine «concurrent care» angezeigt ist: Will heissen, dass PC als problemorientierter Ansatz frühzeitig und parallel zu diagnosespezifischen Behandlungen erfolgt. Kommt dazu, dass PC an sich nicht verrechnet werden kann, weil dies keine Diagnose ist.
Ohne Netz keine PC – hier im Hause brauchen wir genauso ein Netz an Fachpersonen wie darüber hinaus in der spitalexternen Versorgung. Am liebsten sogar transsektoriell, über die verschiedenen Institutionen hinweg, denn Betroffene bleiben ja nicht an einem Ort. Damit für sie die besten Lösungen gefunden werden können, ist die Zusammenarbeit mit der Palliativen Spitex, den Heimen, Hausärzten, anderen Spitälern entscheidend.
Ja, PC wird weiterhin mit Sterben und Tod in Verbindung gebracht, das ist nicht attraktiv. Deshalb versuchen wir auch in Gesprächen, mit Projekten und speziellen Ansätzen – wie etwa Letzte-Hilfe-Kurse – das Thema aus der Versenkung herauszuholen und als etwas zu sehen, mit dem sich schlussendlich alle Menschen einmal auseinandersetzen müssen. Es ist nun einmal so, dass die Sterblichkeit des Menschen weiterhin bei 100 Prozent liegt.
Gespräche mit einer Person Ihres Vertrauens sind das Erste, was sehr relevant ist. Wenn die Erkenntnisse und Entscheidungen daraus dann auch noch schriftlich festgehalten werden, zum Beispiel in Form einer Patientenverfügung, dann hat man schon sehr viel an Vorausplanung und Vorbereitung erledigt.
Durch ein starkes interprofessionelles Team, in dem sowohl Humor als auch gegenseitiges Mitgefühl Platz haben.
Ja, vielleicht schon bewusster. Man feiert auch die kleinen Feste, nicht nur die grossen. Ich bin ja jetzt schon lange mit dabei, habe viele Schicksale erlebt – und mir immer wieder gedacht:
Ein wunderbares Schlusswort.