Loben, danken, lächeln: Vielen rutscht das kaum über die Lippen – obwohl auch sie sich so sehr danach sehnen, dass daraus eine Sucht entstehen kann: die Sucht nach Anerkennung.

Anerkennung zu erhalten, ist Voraussetzung für ein gutes Selbstwertgefühl. Das schreibt die renommierte Psychologin Verena Kast in einem ihrer Bücher zu Selbstwert und Identität. Bereits als Säugling ist es wichtig, in seinem Wesen, Sein und Tun anerkannt zu werden. Es ist der Glanz in den Augen von Mutter und Vater, den ein Kind braucht.
Später, als Erwachsener, ist es der Glanz in den Augen der Partnerin oder des Partners sowie der Mitmenschen. Erhalten wir wohlwollende Bestätigung, fällt es uns später leichter, andern ein liebevoller und wohlwollender Spiegel zu sein. Viele psychische Erkrankungen hängen damit zusammen, dass die ersehnte Anerkennung nicht in gewünschter Form gewährt wird.
Grund genug, diesem Phänomen zusammen mit Psychologin Christa Thomke auf den Grund zu gehen:

Christa Thomke, Sie als Psychologin müssen es wissen: Warum brauchen wir die Anerkennung so sehr?

Anerkennung ist so wichtig wie Essen und Trinken. Ein Grund­bedürfnis. Wir wollen von anderen gesehen, gehört, wahr- und ernstgenommen werden. Anerkennung ist ein zentraler Bestandteil von Beziehungen.

Reicht es denn nicht, sich selber gern zu haben?

Es ist sehr wichtig, sich selber zu mögen. Doch ohne Resonanz von aussen geht es nicht. Wir brauchen den Bezug zu anderen, um unser Handeln und Wirken zu reflektieren.

Und wenn es einseitig ist?

Geben wir selber dauernd Wertschätzung, erhalten aber nichts zurück, fehlt etwas: das Gleichgewicht. Manche Menschen leisten enorm viel für ein Danke oder ein Lob – bis sie nicht mehr können. Ist man so sehr auf das Echo von aussen angewiesen, macht man sich abhängig von anderen. Dann dreht sich die Spirale: Man leistet noch mehr, um endlich ein Feedback zu erhalten. Weil Anerkennung so wichtig wie Nahrung ist, leisten wir immens viel, um dieses Grundbedürfnis zu decken.

Sucht nach Anerkennung

Und wenn dieses Grundbedürfnis nicht erfüllt wird?

Dann spulen und spulen wir, um zu bekommen, was wir so sehr benötigen – und laufen Gefahr, uns zu erschöpfen.

Das klingt nach Sucht.

Ja, Anerkennungssucht: Man verletzt seine Grenzen und seine Würde für ein bisschen Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Es ist wie bei einer Sucht: Man sieht nur sich selber, will den Stoff nur für sich – und spendet selber nie Lob. Dann kippt es in den Narzissmus.

Sind das Auswüchse unserer Leistungsgesellschaft?

Bei uns ist Anerkennung stark an Leistung gekoppelt. Lorbeeren erhalten wir vor allem für Leistungen – und nicht dafür, dass wir sind, was und wie wir sind. Für unser einmaliges Wesen.

Anerkennung ist meist ein knappes Gut.

Ist das der Fall, dreht sich die Spirale noch schneller. In der Arbeitswelt wird das manchmal bewusst eingesetzt: Verteilt man Lob spärlich, strengen sich die Leute an. So wird zudem Macht ausgeübt. Dies verschafft jenen, die das Mass an Anerkennung verteilen, Befriedigung.

Sind das Muster und Mechanismen, die auch in die Erziehung hineinspielen?

Das kommt durchaus vor. Ob es bewusst oder unbewusst geschieht, ist schwierig nachzuweisen. Lobt man ein Kind nur selten, bringt man es dazu, sich anzustrengen. Die Eltern sichern sich so den Gewinn, dass es mitarbeitet.

Welche Auswirkungen hat das?

Das Kind lernt so, dass es sich anstrengen muss, um die ersehnte Bestätigung zu erhalten. Oder es verweigert sich, wird aggressiv.

Funktioniert das auch im Berufsleben so?

Ja. Die einen strengen sich enorm an, bis sie nicht mehr können. Oder sie werden aggressiv und verseuchen das Arbeitsklima. Andere wiederum erkennen das Muster und schützen sich, indem sie gehen.

Und bei Freiwilligenarbeit?

Bei freiwilliger Arbeit ist ein Danke noch wichtiger. Bleibt es aus, verlieren die Menschen eher die Lust als bei einem Erwerb, der die finanzielle Existenz sichert.

Dabei wäre es doch einfach: Positives sagen, Gutes loben.

Werden wir gelobt, schütten wir Glückshormone aus. So betrachtet, ist regelmässige Wertschätzung ein Schritt in eine glücklichere Welt. Und man ist selber glücklicher, wenn man Positives ausspricht.

Gesten der Anerkennung

  • Die Mitmenschen anlächeln, ihnen damit sagen: «Ich nehme dich wahr. Schön, dass es dich gibt.»
  • Danke sagen, wenn einem jemand etwas zuliebe tut.
  • Äussern, wenn jemand schön gekleidet ist, sympathisch rüber kommt, Humor hat und so weiter.
  • Ideen, Initiativen, Vorschläge loben; beruflich und privat.

Warum fällt es vielen Menschen trotzdem so schwer?

Nicht allen fällt das schwer. Manche können das gut. Aber vielen ist zu wenig bewusst, wie sehr Anerkennung und Wertschätzung etwas Gegenseitiges sind: Man gibt, man erhält.

Wenn man gibt: Worauf ist zu achten?

Rückmeldungen sollen offen, ehrlich und respektvoll sein – frei von Konkurrenzdenken und Neid. So bringt man sich gegenseitig persönlich weiter.