Ob Yogalehrerin, Musiker, Königin, Autor: Wer sich einen Namen machen will, benötigt einen erkennbaren Stil. Wie findet man seinen Stil? Und wann ist ein Stil ein Stil: stilvoll und besonders – einzigartig statt stillos?

Das ist Götti-Style

Schicke ich meinen Göttikindern zum Geburtstag eine Karte, wissen sie vermutlich sofort: Das ist Götti-Style. Couvert und Karte sind jeweils mit Tintenfüller beschriftet und geschrieben; ergänzt mit farbigen, temperamentvollen Neocolor-Streifen. Die i-Punkte sind in Herzform und rot gemalt. Und an den Anfang des Textes platziere ich ein philosophisches Zitat.

«Die Art, wie ich meinen Göttikindern schreibe, ist nie genau gleich – und doch kohärent. Sie stimmt überein mit mir als Person: Ich mag Farben, mir gefällt Philosophisches.»
Marcel Friedli

Auch schwingt mit, dass es mir ein Anliegen ist, meinen Göttikindern Stärkendes auf den Weg mitzugeben. Und mit den «i-Herzen» will ich ihnen sagen, wie sehr ich sie gernhabe.

Diese Art, Post zu verschicken, kann man kopieren. Und doch wird es dann nie Götti-Marcel-Style sein. Alleine aufgrund der Schrift und weil ich bestimmte Zitate und Farben wähle: für jedes Kind etwas anderes, individuelles; je nach Person, Persönlichkeit.

Klares Markenzeichen

Etwas komplexer und langwierig war es, als Yogalehrer meinen Stil zu finden. Über Jahre habe ich verschiedenes ausprobiert; was sich bewährt hat und mit dem übereinstimmt, was ich als zentral erachte. Es hat sich zu dem entwickelt, was ich als meinen Stil bezeichne.

Im Verlauf der Jahre etablierte sich als eine Art Markenzeichen jeder Yogastunde, dass ich am Anfang eine (manchmal selbst geschriebene) Geschichte oder ein Gedicht vorlese. Die Thematik fliesst ein in die Auswahl sowie in die Anleitung von Körperhaltung, Atmung und der Meditation.

Auch im Yoga-Unterricht kann mit wiedererkennbaren Elementen eine persönliche Handschrift erkennbar sein.

Diverse Erfahrungen haben mich dazu geführt, gewisse Akzente zu setzen. Als ich zum Beispiel den Unterricht bei einer Lehrerin besuchte, die immer im Liegen begann, überzeugte mich dies. Auf dem Rücken den Körper und das Atmen wahrnehmen, ebenso die Gedanken, Gefühle und Geräusche. Ich erachte es als wertvoll, sich so aufs Yoga einzustimmen.

Da ich den Zugang zu Yoga vor allem über den Atem gefunden habe, ist dies ein weiteres zentrales Merkmal des Unterrichts: sich des Atmens in den Haltungen bewusst werden, bewusst zu sein. Und ihn gezielt in die diversen Atemräume lenken, um so energetische Effekte anzupeilen.

Zudem ist es mir ein Anliegen, sich beim Yoga nicht unter Druck zu setzen und zu lernen, auf die innere Stimme zu hören. Sich zu konzentrieren und zu fokussieren.

«Wiederkehrende Elemente wie diese führen dazu, dass jede Stunde wiedererkennbar ist. Nie gleich – jedoch mit klarer Handschrift.»
Marcel Friedli

Persönliche Handschrift

Auch beim Schreiben suche ich nach dieser Handschrift. Journalistische Texte sind oft nach demselben Muster gestrickt. Trotzdem versuche ich, eine persönliche Note zu setzen: mit möglichst originellen Worten. Oder auch mit Fragen mit einem überraschenden Zugang zum Thema. Oder indem ich kurze und lange Sätze abwechsle, mit Bildern etwas veranschauliche.

Manchmal scheint mir dies zu gelingen. Dann erhalte ich die Rückmeldung, dass dieser Text unverkennbar von mir stammt. Doch auch das kam schon vor: Jemand hielt den Text eines anderen für den meinigen – wohl, weil er im gängigen journalistischen Jargon geschrieben war.

Man kann wohl sagen: Je persönlicher und freier ich schreibe, desto mehr verdichtet sich dies zu (m)einem Stil. Das merke ich, wenn ich an einem längeren literarischen oder persönlichen Text feile. Die Bilder sind frecher und freier, der Rhythmus ist klarer, die Zwischentöne, die über die Zeilen transportiert werden, sind subtiler – mehr ich, persönlicher.

Individuelle Feinabstimmung

Manchmal geht es beim Stil indes auch darum, vor anderen gut dazustehen und Bewunderung einzuheimsen. Zum Beispiel, was die Mode anbelangt. Bei der Art, sich zu kleiden, kann man beobachten, wie es etlichen gelingt, durch geschicktes Assortieren ihre Persönlichkeit zur Geltung zu bringen.

Paart sich das mit jahrelanger Berühmtheit und Publizität, kann man es schaffen, zur Stilikone zu werden, über das eigene Leben hinaus. Mit ihren farbigen Hüten, der Handtasche am Arm und dem farblich abgestimmten Kleid hat es die englische Queen Elizabeth II. zur Stilikone geschafft. Ihre Nachfolgerin Camilla versucht zwar, sie zu imitieren; wahrscheinlich wird sie eine Kopie bleiben – sie hat keinen eigenen Stil, aber sie ist dank ihrer Inspirationsvorlage stilvoll.

Stimmiges Ganzes

Ob Schreiben, ob Mode, ob Yoga, ob «Götti-Style»: Alles entwickelt sich über die Jahre.

«Experimentieren, ausprobieren, weglassen, anpassen, ergänzen. Mit der Zeit stellt sich heraus, was sich bewährt und sich stimmig anfühlt. Dann ist der – persönliche und passende – Stil gefunden. Auch wenn es hier und dort noch etwas zu feilen gibt.»
Marcel Friedli

Welche Elemente und Akzente man auch miteinander kombiniert: überraschende Wortakrobatik mit atmosphärischen Beschreibungen beim Schreiben. Beim Yoga körperliche Präzision mit meditativer innerer Haltung plus philosophische Note. Oder Farben und Füller bei Karten an geliebte Menschen: Vieles ist möglich. Entscheidend ist, dass das Ganze in sich stimmig, ein stimmiges Ganzes ist – also ein Stil.

Persönlicher Ausdruck

Schreiben, Yoga, Mode, ist mit Musik vergleichbar. Da gibt es viele Stile: von Klassik über Jazz, von Reggae zu Pop bis hin zu Schlager und Volksmusik. Alle finden schliesslich ihr Genre oder den persönlichen, eigenen Ausdruck in der stimmigen Auswahl aus der breiten Vielfalt.

Alle Musiker*innen nutzen Klänge, Töne, Rhythmus, Instrumente, die Stimme. Über die Lebenserfahrung und übers Ausprobieren finden sie ihren persönlichen Stil – am berührendsten dann, wenn er aus dem Herzen fliesst.

Unberührt von der Furcht, es könnte nicht auf Anklang und Resonanz stossen. Musiker*innen sind Mystiker*innen: Im Moment des Musizierens kann das Ego mit etwas verschmelzen, das über einen hinausweist – eine Parallele zu Yogi*nis und Autor*innen.