Dass Mütter für die Entwicklung der Kinder einen entscheidenden Einfluss haben, ist allgemein bekannt. Wie neuere Untersuchungen zeigen, ist auch die Wirkung des Vaters für Mädchen und Buben entscheidend. Fehlt er, so entgehen dem Kind wichtige Impulse bei der persönlichen Entfaltung.

Emotionale Distanz nimmt ab

Heutige Väter und Mütter haben ein wesentlich verändertes Rollenverständnis als es die Generation ihrer Grosseltern hatte. Die Mütter sind nicht mehr alleine für Kochen, Staubsaugen und Wäschewaschen verantwortlich, und Väter sind mittlerweile am Wickeltisch, in der Waschküche oder auf dem Spielplatz anzutreffen. Sie leisten zudem auch gefühlsmässig wesentliche Beiträge ans Familienleben: Sie nehmen Anteil an den Erlebnissen der Kinder, zeigen Verständnis für deren Sorgen und Nöte und trösten sie.

Vorbei ist die Zeit, als es hiess: Ein Bub weint doch nicht. Die emotionale Distanz zwischen Kindern und Vätern ist in den letzten Jahren kleiner geworden. 84 Prozent der Väter kuscheln laut Studie heute mit ihren Söhnen und Töchtern. Vor fünfzig Jahren war dies noch kaum vorstellbar.

Väterliche Zuwendung nimmt zu

Die Zeit, in der sich Väter im Durchschnitt mit den Kindern beschäftigen, hat sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt, sagt die Wissenschaft. Wenn es nach vielen Vätern ginge, könnte es noch mehr sein: In Befragungen gaben viele von ihnen an, dass sie gerne mehr Zeit mit ihren Töchtern und Söhnen verbringen möchten. Dies lassen aber die Berufstätigkeit sowie weitere Verpflichtungen nicht zu. Um dieses Bedürfnis dennoch leben zu können, teilen sich manche Mütter und Väter die Erwerbstätigkeit auf. Nicht alle Arbeitgeber akzeptieren allerdings Teilzeitarbeit von Vätern. Gelegentlich verunmöglicht auch die Haushaltskasse eine Reduktion der Berufstätigkeit zugunsten der Kinderbetreuung; denn das Familienleben bringt eine ganze Reihe von Kosten mit sich.

«Erziehungsexperten halten die häufige zeitliche Anwesenheit von Vätern für die Entwicklung von Kindern für sehr wichtig, doch noch höher wird ihre innere Haltung gewichtet: Grosses Engagement und viel Zuneigung ist das, was ein Kind vom Vater ganz besonders benötigt.»
Adrian Zeller

Unterschiedlicher Umgangsstil

Auch Mütter können heutzutage einen Nagel in die Wand schlagen, wenn etwa ein Bild aufzuhängen ist. Frauen können handwerklich geschickt sein und Männer können Babys gut versorgen – da liegt die Schlussfolgerung nahe, dass es kaum Unterschiede der beiden Elternteile für die  Kinderentwicklung gibt. Forscher haben sich in verschiedenen Ländern mit dieser Frage beschäftigt, sie kamen zu erstaunlichen Erkenntnissen:

«Wenn sich Väter Babys intensiv und liebevoll zuwenden, sind diese als Einjährige besonders fortgeschritten in ihrer Entwicklung.»
Adrian Zeller

Zudem haben sie eine höhere Sozialkompetenz. Als Grund für diese Wirkung vermuten die Forscher, dass Väter den Kontakt zu Kindern instinktiv anders gestalten als Mütter. Väter würden beispielsweise die Risiko- und die Wettbewerbsbereitschaft bei den Kindern fördern und sie so ermutigen, Herausforderungen anzunehmen.

Wie die Forscher beobachteten, balgen Väter häufiger mit den Kindern als die Mütter. Als Folge davon entwickeln die Töchter und die Söhne eine verbesserte Körperkoordination, und sie können Risiken besser einschätzen. Später tragen sie weniger Schrammen und Blessuren davon, weil sie ihr Gefahrenbewusstsein intensiver entwickeln konnten.

Wenn Väter mit ihren Kindern etwas alleine unternehmen, so besuchen sie beispielsweise Fussballplätze, steigen in Schlauchboote oder sie streifen mit ihnen in Wäldern herum. Dabei lernen Kinder Erfahrungsfelder kennen, die sie mit ihren Müttern eher weniger erkunden können. Mädchen und Buben lernen laut Studien von ihren Vätern vor allem Ausdauer, Durchhaltevermögen sowie Selbstbestimmung.

Väter unterschätzen ihre Wichtigkeit

Ergänzende und entwicklungsstimulierende Rolle

Dagegen vermitteln Mütter ihren Töchtern und Söhnen primär soziale Kompetenzen. Und auch die sprachlichen Fähigkeiten werden vor allem von den Müttern gefördert; bezeichnenderweise spricht man von der Muttersprache. Aber auch der verbale Austausch zwischen Vater und Kind wirkt entwicklungsstimulierend. Väter neigen zu einem anderen Gesprächsverhalten als Mütter. Kinder, denen häufig vorgelesen wurde – egal ob von Vater oder Mutter – können später leichter lesen und sie haben eine bessere Konzentrationsfähigkeit. Mütter unterstützen Kinder ihrerseits auch bei der Entfaltung ihres eigenen Gefühlslebens, durch die Väter lernen sie dagegen eher, sich in der Welt zu orientieren und zu bewegen. Zu all diesen Resultaten kamen Forschungen.

Der Vater als Ruhepol

Die Anwesenheit eines Vaters ist für das Kleinkind bei der ersten Loslösung sehr wichtig. Nach der Geburt erlebt es sich und die Mutter als unverrückbare Einheit. Mit der Zeit macht sich ein natürlicher Drang nach ersten Schritten zur Eigenständigkeit bemerkbar, etwa wenn das Kleinkind krabbelnd die nähere Umgebung erkundet. Es verlässt gewissermassen die anfängliche Schutzzone. Die neue Umgebung ist voller unbekannter Reize. Dieser Prozess kann bei ihm Ambivalenz und Ängste auslösen.

«Die Präsenz des Vaters wirkt auf das Kind als Ruhepol, der ihm Sicherheit jenseits der Mutter vermittelt. Er wirkt ermutigend, fördernd und fordernd. Er bringt dem Kind das Bewältigen von Herausforderungen bei.»
Adrian Zeller

Gleichzeitig wirkt die Mutter bei diesen Entwicklungsschritten emotional bestärkend und motivierend.

Beides sind von den Wissenschaftlern festgestellte Tendenzen, die nicht bei jedem Elternpaar unbedingt zutreffen müssen; nicht alle Mütter und Väter sind nach dem gleichen Muster gestrickt.

Ein Vater, der seine Rolle gut und sicher ausfüllt, wirkt seinerseits beruhigend auf die Mutter, ihr Stresspegel sinkt.

Psychologische Schutzwirkung beider Elternteile

Kinder, die sich mit beiden Elternteilen stabil verbunden fühlen, sind später durchschnittlich weniger ängstlich, einsam und depressiv. Durch den Kontakt mit beiden Elternteilen macht das Kind zudem erste Erfahrungen mit den Unterschieden der weiblichen und der männlichen Wesensart – beide Anteile sind für seine Entwicklung wichtig. Sie verhelfen ihm in späteren Entwicklungsschritten, zu einer eigenen geschlechtlichen Identität zu finden und sich in ihr zu festigen.

«Diese verlässliche Beziehung zu beiden Elternteilen wirkt sich für sie wie eine psychologische Schutzhülle aus.»
Adrian Zeller

Wenn der Vater verstorben oder aus anderen Gründen nicht anwesend ist, wirkt sich die psychologische Schutzwirkung der Mutter gemäss Forschung weniger intensiv aus, als wenn beide Elternteile präsent sind und in einer harmonischen Beziehung zueinanderstehen.

Väter unterschätzen ihre Wichtigkeit

Keine Kinderbetreuer zweiter Klasse

Wie die Wissenschaft zeigt, empfinden sich Väter noch immer als Kinderbetreuer zweiter Klasse. Sie orientieren sich am gesellschaftlichen Bild, wonach Mütter viel kompetenter mit Kindern umgehen können als Väter. In der Folge unterschätzen sie ihren eigenen Beitrag an die Entwicklung ihrer Töchter und Söhne.

Zum Teil sorgen auch Mütter dafür, dass die Väter kein allzu inniges Verhältnis zu ihren Kindern aufbauen; sie erleben sie als Konkurrenz in der Zuwendung des Kindes. Untersuchungen haben ergeben, dass Väter bei Abwesenheit der Mütter genauso zärtlich, geduldig und fürsorglich mit Kindern umgehen wie die Frauen. Das intensiv gelebte Vatersein wirkt sich sogar vorübergehend auf den Hormonhaushalt des Mannes aus, dies lässt sich im Labor messen.

Mangel an väterlicher Zuneigung

Welche Folgen hat das Gegenteil, wenn sich Väter wenig um ihre Kinder kümmern und ihnen wenig Interesse und Zuneigung schenken? Auch hier kamen die Forscher zu einem eindeutigen Ergebnis:

«Wenn die Töchter und Söhne grösser werden, sind sie überdurchschnittlich oft von Verhaltensstörungen, Verstimmungen, delinquentem Verhalten sowie von Suchtkrankheiten betroffen.»
Adrian Zeller

Auch wenn die entsprechenden Mütter liebevoll und unterstützend sind, können sie den Mangel an positivem väterlichem Einfluss nur bedingt ausgleichen. Wenn sich gar beide Elternteile dem Kind gegenüber als wenig wertschätzend erweisen, steigt die Neigung zu aggressivem und emotional instabilem Verhalten erheblich an.