Leistungskurve, Schlaf-Wach-Rhythmus, Körper-Uhr: Viele Begriffe versuchen, den biologischen Rhythmus in Worte zu fassen. Fakt ist: Er ist bei jedem Menschen unterschiedlich und kann kaum willentlich beeinflusst werden. Selbst regelt er aber wichtige Prozesse: Schlaf, Produktivität und Gesundheit. Was dabei genau passiert, will die Wissenschaft noch herausfinden.

Zwar ist es uns Menschen nicht bewusst, aber jeder Tag in unserem Leben wird fremdbestimmt: etwa vom Stoffwechsel, der Organtätigkeit und den vielen biochemischen Prozessen in unserem Körper, die uns am Leben erhalten.

Diese Prozesse folgen einer eigenen Regelmässigkeit, auf die wir keinen Einfluss haben. Umgangssprachlich spricht man von der «inneren Uhr» – gemeint ist damit unser biologischer Rhythmus. Dieser bestimmt, wie viele Stunden Schlaf wir brauchen, wann wir am produktivsten sind und wann wir müde werden.

Unsere Gene folgen der inneren Uhr

Doch wer stellt diese innere Uhr? Über 80 Prozent unserer Gene haben einen eigenen inneren Rhythmus. Sie folgen dabei einem circadianen Zyklus, das entspricht einem ungefähren 24-Stunden-Rhythmus. Das lateinische Adjektiv «circadian», bedeutet im übertragenen Sinn «ungefähr einen Tag lang» (circa = ungefähr, dies = Tag). Zu den circadianen Rhythmen gehören der Schlaf-Wach-Rhythmus der Menschen oder die Blattbewegungen vieler Pflanzen.

Die Hauptuhr sitzt im Gehirn

«Weil der circadiane Rhythmus eben nicht genau 24 Stunden lang ist, sondern leicht länger oder kürzer, braucht es Zeitgeber aus der Umgebung, um die inneren Uhren im Körper auf den 24-Stunden-Tag zu takten», erklärt Dr. Mirjam Münch. Sie forscht als Chronobiologin und Schlafforscherin am Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel:

«Die wichtigsten Zeitgeber sind die im Gehirn sowie das Tageslicht, das über die Netzhaut der Augen in den Körper kommt.»
Dr. Mirjam Münch

Wir schlafen, wie wir ticken

Die «Hauptuhr» im Gehirn ist ein metaphorischer Begriff für ein komplexes Zusammenspiel im Zwischenhirn. Dort sitzt der «Nucleus suprachiasmaticus» (suprachiasmatische Kern), kurz SCN genannt. Im SCN treffen viele Nervenbahnen zusammen und sitzen viele Synapsen. Mit zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört es, den Schlaf-Wach-Rhythmus zu regeln. Schlaf ist wichtig, auch unabhängig vom biologischen Rhythmus. «Ohne Schlaf kein Leben», sagt Mirjam Münch. «Schlaf ist für alle unsere physischen und psychischen Funktionen wichtig.»

Funktioniere die innere Hauptuhr im Gehirn nicht richtig, dann schlafe der Mensch zwar trotzdem, aber nicht mehr in einer zusammenhängenden, meist nächtlichen Schlafphase, sondern in mehreren kürzeren Schlafphasen über den Tag verteilt. Dies wisse man aus Tierversuchen mit Nagetieren mit beschädigtem SCN. Auch Krankheiten wie Alzheimer oder Demenz, die den SCN betreffen, führten zu kürzeren, fragmentierten Schlafphasen.

Sind Sie eine Lerche oder eine Eule oder etwas dazwischen?

Von Eulen und Lerchen

Die Wissenschaft teilt die Menschen in verschiedene Chronotypen ein, also in verschiedene «Zeit-Typen». Je nach Typ läuft ihre innere Uhr anders. Am bekanntesten sind die Modelle von Eule und Lerche, es sind Extrem-Modelle aller Schlaftypen. Die Eulen sind Langschläfer: Sie schlafen am Morgen gerne lange aus und haben ihre produktivste Phase gegen Abend, entsprechend spät gehen sie ins Bett. Die Lerchen sind Frühaufsteher. Schon vor dem Mittag sind sie aktiv und produktiv, dafür werden sie schon am frühen Abend müde.

«Die meisten Menschen sind eine Mischung zwischen Eule und Lerche.»
Manuela Donati

Biorhythmus bestimmt den Schlaf

Der Chronotyp ist genetisch bestimmt, von Geburt an vorhanden und kann selbst nicht willentlich beeinflusst werden. Das wird frisch gebackenen Eltern dann bewusst, wenn sie ein «Lerchen-Baby» haben und selbst eher zu den «Eulen» gehören. Kein Schlaftraining der Welt wird das Baby dazu bringen, am Morgen länger zu schlafen. Sobald Säuglinge einen Tag-Nacht-Rhythmus entwickelt haben, bestimmt ihr biologischer Rhythmus, beziehungsweise ihr Chronotyp, wie lange und wie viel sie schlafen.

Wenn Kinder einen anderen Biorhythmus haben, sind Eltern gefordert.

Hormone beeinflussen den Biorhythmus

Wie die Ernährung den Chronotyp beeinflusst, wird zurzeit noch erforscht. Schon bekannt ist der Einfluss der Hormone.

«Durch verschiedene Veränderungen, wahrscheinlich auch durch unterschiedliche Hormonspiegel im Laufe des Lebens, passt sich der Chronotyp an.»
Manuela Donati

So sind Kinder und ältere Menschen eher früh wach, während Jugendliche am Morgen kaum aus dem Bett zu bringen sind. «Jugendliche haben eine intrinsische Präferenz für späte Bett- und Aufstehzeiten. Darunter leidet nicht nur der Schlaf, sondern auch die schulischen Leistungen», sagt Mirjam Münch.

Wenn die innere Uhr durcheinander ist

Wenn wir verreisen und in andere Zeitzonen kommen, kommt unser innerer Rhythmus aus dem Takt. Das äussert sich als Jet-Lag. «Eine chronische Form dieser Desynchronisation trifft man auch zum Beispiel bei Schichtarbeitenden – und dort kann es dann auch zu körperlichen und psychischen Erkrankungen führen», sagt Mirjam Münch.

Leben nach dem Biorhythmus

Ein Leben nach dem biologischen Rhythmus ist in unserer 24-Stunden-Gesellschaft oftmals nicht realistisch. Doch Chronobiologin und Schlafforscherin Münch empfiehlt, sich seines Rhythmus bewusst zu werden und zu versuchen, sein Leben darauf abzustimmen:

«Es macht Sinn, sich Gedanken über seinen Schlaf und den Schlaf-Wach-Zyklus zu machen und wie man zu genügend Schlaf kommen könnte. So bekommt man ein Bewusstsein über die zeitlichen Unterschiede von Leistung, Verhalten und Stoffwechsel im Laufe des Tages.»

So verstehen wir dann vielleicht, weshalb wir am Morgen länger brauchen, um wach zu werden, als unser Partner oder weswegen wir bei Sitzungen vor dem Mittag effizienter sind, als bei Sitzungen am Nachmittag. Gut wäre es auch, wenn wir regelmässig abends zu Bett gehen, wenn wir müde sind und morgens ohne Wecker aufstehen können.

Was ist die Chronobiologie?

Die Chronobiologie (altgriechisch «chronos» = Zeit) ist ein Wissenschaftszweig der Biologie und untersucht die verschiedenen Arten von biologischen Rhythmen bei Menschen, Tieren und Pflanzen. Und ebenfalls die Funktionen dieser Rhythmen sowie ihre äusseren Einflussfaktoren.

Als Pionier der Chronobiologie gilt der deutsche Forscher Jürgen Aschoff. Für einen Versuch ging er 1961 neun Tage in Isolation in einen unterirdischen, fensterlosen Versuchsraum. Er zeigte auf, wie er auch ohne Tageslicht und andere Einflüsse von aussen nach einem bestimmten Rhythmus lebte, zum Beispiel immer zu ähnlichen Zeiten ins Bett ging und aufwachte.