Der Ginkgobaum ist ein aussergewöhnliches Lebewesen: Er bewohnt unseren Planeten seit rund 300 Millionen Jahren, wie Funde fossiler Ginkgoblätter zeigen! Dies zeugt von einer fast unglaublichen Anpassungsfähigkeit an Umweltveränderungen, hat doch der Ginkgo in seiner langen Geschichte die Kontinentalplattenverschiebung miterlebt, das Zeitalter der Dinosaurier, das Aufkommen der Vögel und Säugetiere, das Erscheinen des Menschen.

Weder Laub- noch Nadelbaum

Die Fähigkeit, all diese Veränderungen zu bewältigen, lässt auf besondere Eigenschaften schliessen. Botanisch gesehen ist der Ginkgo (Ginkgo biloba) weder Laub- noch Nadelbaum, er nimmt eine Sonderstellung ein als einziger Vertreter einer eigenen Pflanzenklasse zwischen Nadelbäumen und Palmfarnen. Die nadelbaumähnliche Wuchsform, vor allem aber die charakteristischen fächerförmigen Blätter mit den parallel laufenden Blattadern, machen ihn unverwechselbar. Diese Blätter waren im Jugendstil ein beliebtes Motiv in Kunst und Schmuck.

Widerstandsfähige Delikatesse

Ginkgos waren einst über die ganze Nordhalbkugel verbreitet, bis die Eiszeiten sie in ein kleines Areal in Südchina zurückdrängten. Dort leben die letzten wildwachsenden Exemplare; darunter auch ein rund 5000 Jahre alter Methusalem, der als ältester Ginkgo gilt. Um 1730 kamen die ersten Ginkgos nach Europa, wo sie sich rasch grosser Beliebtheit erfreuten. Die Bäume zeigten gegen Pilze und Bakterien, Schadinsekten, Luftschadstoffe, Feuer, ja sogar Radioaktivität eine grosse Widerstandskraft.

«Berühmt geworden ist der Ginkgo von Hiroshima, der als einziges Lebewesen den Atombombenangriff nahe der Explosionsstelle überlebte.»
Ursula Glauser-Spahni

Aus einem scheinbar völlig zerstörten Wurzelstock schlug er im Frühling 1946 wieder aus und gab den traumatisierten Menschen die Hoffnung zurück.

Auch im heutigen urbanen Umfeld kommen Ginkgos problemlos klar und werden deshalb weltweit zur Stadtbegrünung eingesetzt. In Asien gelten die Früchte, die Ginkgonüsse, als Delikatesse. In Europa hingegen tut man sich schwer damit; denn die äussere Fruchtschale produziert während der Reife Buttersäure. Kurz gesagt, die Früchte stinken! Aus diesem Grund werden in Europa bevorzugt männliche Ginkgobäume angepflanzt. Der Botanische Garten Bern ist jedoch für Gleichberechtigung: Von den drei grossen Ginkgos sind zwei weiblich und fruchten regelmässig.

Ein weiblicher Ginkgo-Baum mit Früchten

Ginkgo – für Durchblutung und Gehirn

Die Wirkstoffe, die den Ginkgo zur Heilpflanze machen, sind so aussergewöhnlich wie der Baum selber: Die Terpenlaktone Ginkgolide und Bilobalid findet man nirgends sonst im Pflanzenreich. Weitere Wirkstoffe sind Flavonglykoside, Proanthocyanidine, Triterpene, organische Säuren, Carotinoide, Wachse.

Die traditionelle chinesische Medizin setzte die Samen bei Asthma, Bronchitis, Husten und zur Stärkung der Nierenenergie ein. Roh sollen die Samen Krebs vorbeugen, gekocht die Spermienproduktion verbessern. Die Blätter fanden Anwendung bei Asthma, Tuberkulose, Gedächtnisstörungen und Kreislaufkrankheiten.

In der westlichen Medizin ist Ginkgo heute eines der wichtigsten Pflanzenheilmittel mit den zwei Hauptindikationen Gehirn und periphere Zirkulation. Die Ginkgo-Wirkstoffe erweitern die Blutgefässe und verbessern die Fliessfähigkeit des Blutes. Dadurch gelangt das Blut leichter auch durch feinste Kapillaren, das Gewebe wird besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, freie Radikale werden abgefangen.

In der Gemmotherapie werden die sich öffnenden Frühlingsknospen von Ginkgo verwendet. Gedächtnisschwäche und Konzentrationsstörungen, Schwindel, Stimmungsschwankungen, wie sie im Alter auftreten können, benötigen Ginkgo. Wichtig ist, mit der Behandlung frühzeitig zu beginnen und sie längere Zeit fortzusetzen.

«Die altersbedingte Abnahme der Botenstoffe im Gehirn wird durch Ginkgo gehemmt, das Kurzzeitgedächtnis verbessert, die geistige Wachheit und die Orientierungsfähigkeit erhöht, Gleichgewichtsstörungen nehmen ab. Bei Alzheimer-Krankheit wird der Verlauf verlangsamt.»
Ursula Glauser-Spahni

Symbol für ein langes Leben

Ginkgo regt die Funktion der Nervenzellen im Gehirn an, stabilisiert die Mitochondrien – das sind die kleinen Kraftwerke der Zellen – und verbessert deren Funktion. Die Menschen werden wieder aktiver. Ginkgo steigert zudem die Toleranz des Hirngewebes gegenüber Sauerstoffmangel, hemmt die Entwicklung von Hirnödemen und beschleunigt deren Rückbildung. Bei peripheren Zirkulationsstörungen verbessert Ginkgo die Durchblutung von Händen und Füssen und vermindert die Gefahr eines Gefässverschlusses. Die bessere Durchblutung hilft ebenfalls bei chronischem oder akutem Tinnitus.

«Das zentrale Thema von Ginkgo ist Alter und Regeneration.»
Ursula Glauser-Spahni

Seine unbändige Lebenskraft, die Anpassungsfähigkeit und Robustheit machen ihn zu einem Symbol für Unbesiegbarkeit und ein langes Leben. Es gibt eine Verbindung zwischen Menschen und Ginkgo, die schon fast symbiotisch ist: Der Mensch kultiviert seit vielen Jahrhunderten Ginkgobäume, die wild nur noch in kleiner Anzahl existieren, und die Ginkgobäume stellen ihre einzigartigen Heilkräfte den immer älter werdenden Menschen mit ihren spezifischen Problemen zur Verfügung.