Der Wacholder ist ein wahrer Verwandlungskünstler: Säulenförmig in die Höhe oder breit ausladend wächst er langsam und ändert durch die vielen Seitentriebe fortwährend seine Gestalt.

Wachhalter und Lebendigmacher

Wacholderbüsche im Nebel oder in der Dämmerung erinnern an bucklige Gestalten und beflügelten seit je die Fantasie von Wanderern. Kein Wunder ist der Baum in Sagen und Geschichten reich vertreten: In seinen Zweigen sollen Schlüssel zu verborgenen Schätzen, unter Wacholderbüschen der Eingang zur Anderswelt zu finden sein. In gewissen Nächten höre man daraus Klänge von Musik und Gelächter.

Der Nadelbaum aus der Familie der Zypressengewächse kommt auf der gesamten Nordhalbkugel vor; und war den Menschen so wichtig, dass er fast unzählige Namen trägt: Räucherstrauch, Knistebusch, Kranewitt, Knirk, Machandel, Feuerbaum, Krammetsbaum.

«Weckholder, Reckholder oder Queckholder sind besonders interessant: Sie bedeuten Wachhalter, Lebendigmacher, ein Hinweis auf die innewohnenden Heilkräfte.»
Ursula Glauser-Spahni

Botanik

Wacholder (Juniperus communis) ist zweihäusig, es gibt also männliche und weibliche Pflanzen. Nicht nur für das Wachsen nimmt er sich Zeit; die Beeren, die botanisch Zapfen sind, brauchen rund drei Jahre, bis sie reif sind. Etliche Vögel — wie Amseln, Drosseln, aber auch Birkhühner und Schneehühner — fressen sie und sorgen so für die Verbreitung.

In seinen Ansprüchen an den Lebensraum ist der Wacholder bescheiden und anspruchsvoll zugleich. Er gibt sich zwar mit fast jedem Boden zufrieden, benötigt aber viel Licht und Freiraum. Gegenüber anderen Bäumen kann er sich nicht durchsetzen, weicht deshalb oft auf karge Böden aus, wo er allein oder unter seinesgleichen wächst. Besonders gut gedeiht der sensible Eigenbrötler auf Weideland, wo Schafe den wehrhaften Gesellen meiden, etwaige Konkurrenz hingegen kurzhalten. Daraus entstand sogar eine eigene Kulturlandschaft, die Wacholderheide.

Wacholder wird drei bis fünf Meter hoch, selten höher. Bei milden Temperaturen vermag er auch im Winter weiterzuwachsen. Dabei hilft ihm, dass er keine versiegelten Winterknospen bildet, sondern die Wachstumszonen einfach mit seinen Nadeln abdeckt. Der Stamm wird durch eine rötliche Borke geschützt, die sich in Streifen ablöst, was gut zum urtümlich-wilden Aussehen passt.

Wacholder wird sehr alt: Im Neuenburger Jura steht der älteste Vertreter hierzulande, der rund 1000 Jahre auf dem Buckel hat.

Alte Heil- und Ritualpflanze

Einen echten Wacholderstrauch im Garten zu pflanzen, ist ökologisch wertvoll und würdigt die alte Heil- und Ritualpflanze. Er gilt als europäischer Totembaum und war den alten Völkern heilig. Mit seinen immergrünen Nadeln steht er für ewiges Leben.

Rituelle Räucherungen, die den Geist klären, Stärke und Schutz geben, reichen weit zurück in der Menschheitsgeschichte. Der Rauch sollte unheilvolle Einflüsse fernhalten und zugleich die eigene Lebenskraft bewahren. Geräuchert wurde mit Zweigen, Nadeln und Beeren.

«Wacholder galt als stärkste Abwehrpflanze.»
Ursula Glauser-Spahni

«Esst Kranewitt und Bibernell, dann sterbt ihr nicht so schnell», sollen die Vögel während der Pestzüge von den Dächern gepfiffen haben. Das Kauen der Beeren und das Räuchern mit den Zweigen war in einer Zeit ohne Antibiotika die einzige Schutzmöglichkeit vor der verheerenden Seuche.

Das grosse Ansehen, das der Wacholder genoss, zeigt sich auch im bekannten Spruch «Vor dem Holunder zieh den Hut, vor dem Wacholder geh in die Knie». Bei einem Hausbau wurde oft ein Wacholderzweig ins Fundament gesteckt, um schlechte Energien abzuwehren. Wacholdernadeln unter den Dielenbrettern dick eingestreut sollten zudem Mäuse fernhalten. Ruht sich ein ermatteter Wanderer unter einem Wacholder aus, fühlt er sich bald erfrischt und gestärkt.

Die Beeren sind noch heute in der Küche ein unentbehrliches Gewürz für Wildgerichte, Sauerkraut und Würste. Aus ihnen werden zudem Spirituosen wie Gin, Genever oder Kranewitter destilliert.

Bewährte Heilpflanze

Wacholder hat sich seit mehreren Tausend Jahren als Heilpflanze bewährt.

Die Wirkstoffe sind ätherisches Öl, Bitterstoffe, Flavonoide, Gerbstoffe, Harze und organische Säuren.

Bei Nierenschwäche und während der Schwangerschaft sollten jedoch Wacholderbeeren und -tinkturen gemieden werden.

In der Gemmotherapie regt die Essenz von Wacholder die Ausscheidungsorgane Leber und Niere an.

«Sie verbessert den gesamten Stoffwechsel, stärkt den Magen, hilft bei Sodbrennen und Völlegefühl, hemmt Gärungsprozesse im Darm. Wacholder facht das schwächer werdende Verdauungsfeuer älterer Menschen wieder an.»
Ursula Glauser-Spahni

Er schützt und regeneriert die Leber, verbessert die Nierenleistung, spült die Harnwege durch und hilft bei immer wiederkehrenden Blasenentzündungen. Zudem fördert die Essenz die Harnsäure­ausscheidung und lindert rheumatische Beschwerden, Gicht und Arthritis.

Wacholder ist blutreinigend, verbessert die Blutwerte und stärkt die Milz. Bei allergischer Veranlagung hilft er, auszuleiten.

Und nicht zuletzt wirkt die Wacholderessenz als Jungbrunnen, stärkt die Lebenskraft, erfrischt und stimmt fröhlich – der «Weckholder» wird seinem Namen gerecht!